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14.03.2018

GmbH-Geschäftsführer sind regelmäßig Beschäftigte und damit sozialversicherungspflichtig - Ausnahme bei Gesellschafter-Geschäftsführer, wenn rechtlich durchsetzbare Einflussmöglichkeiten auf Gesellschafterbeschlüsse besteht
(BSG, Urteile vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R, B 12 R 5/16 R) mehr


Das Bundessozialgericht hat mit Urteilen vom 14.03.2018 (B 12 KR 13/17 R, B 12 R 5/16 R) folgendes entschieden:

Geschäftsführer einer GmbH sind regelmäßig als Beschäftigte der GmbH anzusehen und unterliegen daher der Sozialversicherungspflicht.

Alerdings ist ein Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter der GmbH ist, ist nur dann nicht abhängig beschäftigt, wenn er die Rechtsmacht besitzt, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital hält (Mehrheitsgesellschafter). Ist der Geschäftsführer kein Mehrheitsgesellschafter, ist eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht ausnahmsweise auch dann anzunehmen, wenn er exakt 50 % der Anteile hält oder bei einer noch geringeren Kapitalbeteiligung kraft ausdrücklicher Regelungen im Gesellschaftsvertrag (Satzung) über eine umfassende ("echte"/qualifizierte) Sperrminorität verfügt, sodass es ihm möglich ist, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Damit hat das Bundessozialgericht seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt und entsprechende Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

Im ersten Fall verfügte der klagende Geschäftsführer lediglich über einen Anteil von 45,6 % am Stammkapital. Eine mit seinem Bruder als weiterem Gesellschafter der GmbH getroffene "Stimmbindungsabrede" änderte an der Annahme von Sozialversicherungspflicht ebenso wenig etwas, wie dessen Angebot an den Kläger, künftig weitere Anteile zu erwerben.

Im zweiten Fall verfügte der klagende Geschäftsführer lediglich über einen Anteil von 12 % am Stammkapital.

In beiden Fällen betonte das Bundessozialgericht, dass es nicht darauf ankomme, dass ein Geschäftsführer einer GmbH im Außenverhältnis weitreichende Befugnisse habe und ihm häufig Freiheiten hinsichtlich der Tätigkeit, zum Beispiel bei den Arbeitszeiten, eingeräumt würden. Entscheidend sei vielmehr der Grad der rechtlich durchsetzbaren Einflussmöglichkeiten auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung.


 

06.03.2018

Schiedsklausel in internationalem Investitionsschutzabkommen darf Überprüfung von Verträgen durch Gerichte nicht ausschließen - Verstoß gegen Unionsrecht
(EuGH, Urteil vom 06.03.2018 - C-284/16) mehr


Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 06.03.2018 (C-284/16 Slowakische Republik / Achmea BV [Niederlande]) auf Vorlage des Bundesgerichtshofs der Bundesrepublik Deutschland (Beschluss vom 03. 03.2016 - I ZB 2/15) folgendes entschieden:

Es ist mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar und daher unzulässig, dass die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel Rechtsstreitigkeiten, die sich auf die Anwendung oder Auslegung dieses Rechts beziehen können, dem Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung des Unionsrechts entzieht.

Im Jahr 1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen (BIT). Das BIT bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht beizulegen sind. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein.

Im Jahr 2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft.

Im Jahr 2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein, mit der Begründung, dass das genannte Verbot gegen das Abkommen verstoße und ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro an Achmea zu zahlen.

Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs. Nach ihrer Auffassung verstößt die Schiedsklausel im BIT gegen mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrags.

Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof (Deutschland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEU-Vertrag vereinbar ist.

Die Tschechische Republik, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Europäische Kommission haben Erklärungen zur Unterstützung des Vorbringens der Slowakei eingereicht, während Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich und Finnland die streitige Klausel und – allgemeiner – ähnliche Klauseln in den 196 gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten der EU bestehenden BIT für gültig halten.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der von dem fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden hat. Angesichts der Merkmale des Unionsrechts – wie seiner Autonomie gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht, seinem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten sowie der unmittelbaren Wirkung einer ganzen Reihe seiner Bestimmungen für die Unionsbürger und die Mitgliedstaaten – ist es zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher kann das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter hat, so dass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande ist. Folglich kann dieses Schiedsgericht nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden und ist daher nicht befugt, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen.

Zur Frage, ob der Schiedsspruch der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, das dem Gerichtshof unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig ist. Zudem legt das Schiedsgericht seine eigenen Verfahrensregeln fest und wählt insbesondere selbst seinen Sitz und folglich das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs gilt. Zum letztgenannten Punkt weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet – eine Bedingung, die im vorliegenden Fall nicht vollständig erfüllt ist, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsieht. In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof hervor, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zwar unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens legitimer Weise beschränkten Charakter aufweisen könnte, doch lassen sich diese Überlegungen nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. Während Ersteres nämlich auf der Parteiautonomie beruht, leitet sich Letzteres aus einem Vertrag her, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein kann.

Aus diesen Gründen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten.

Unter diesen Umständen beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar.


 

18.07.2017

Wahlen zum AG-Aufsichtsrat: Mitbestimmungsgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar - Beschränkung auf inländische Arbeitnehmer zulässig
(EuGH, Urteil vom 18.07.2017 - C-566/15 Konrad Erzberger/TUI AG) mehr


Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 18.07.2017 (C-566/15 Konrad Erzberger/TUI AG) folgendes entschieden:

Der Ausschluss der außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer eines Konzerns vom aktiven und passiven Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Muttergesellschaft verstößt nicht gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Die TUI AG, eine deutsche Aktiengesellschaft, steht an der Spitze des weltweit tätigen Touristikkonzerns TUI. Der Konzern beschäftigt in Deutschland über 10 000 Personen und in den übrigen Mitgliedstaaten der Union fast 40 000 Personen.

Herr Konrad Erzberger ist Anteilseigner der TUI AG. Er wendet sich vor den deutschen Gerichten gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats dieser Gesellschaft, der mit der Überwachung des das Unternehmen leitenden Vorstands betraut ist. Nach dem deutschen Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer werden die Mitglieder des Aufsichtsrats der TUI AG jeweils zur Hälfte von den Anteilseignern und den Arbeitnehmern bestimmt.

Herr Erzberger macht geltend, das deutsche Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer verletze das Unionsrecht, da es vorsehe, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der Konzerns die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen könnten und in den Aufsichtsrat wählbar seien. Dass die bei einer Tochtergesellschaft der TUI-Gruppe in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer – bei denen es sich in der Regel nicht um deutsche Staatsangehörige handeln werde – an der Zusammensetzung des Aufsichtsrats der TUI AG nicht mitwirken dürften, verstoße daher gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus sei der Verlust der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat bei einer Versetzung in einen anderen Mitgliedstaat geeignet, die Arbeitnehmer davon abzuhalten, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen.

In diesem Zusammenhang hat das Kammergericht (Deutschland) beschlossen, den Gerichtshof zur Vereinbarkeit des deutschen Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Unionsrecht zu befragen.

In seinem heutigen Urteil unterscheidet der Gerichtshof zwei Fallgestaltungen.

Zu den bei einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe stellt der Gerichtshof fest, dass ihre Situation nicht anhand des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu prüfen ist, sondern anhand der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die ein besonderes Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den Bereich der Arbeitsbedingungen darstellt. 

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Situation der fraglichen Arbeitnehmer nicht unter die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fällt. Die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind nämlich nicht auf Arbeitnehmer anwendbar, die nie von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch gemacht haben oder Gebrauch machen wollen. Dass die Tochtergesellschaft, bei der die betreffenden Arbeitnehmer tätig sind, von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Deutschland) kontrolliert wird, ist insoweit ohne Bedeutung.

Zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe, die ihre Stelle aufgeben, um eine Stelle bei einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieses Konzerns anzutreten, stellt der Gerichtshof fest, dass ihre Situation grundsätzlich unter die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fällt. Ihre Situation ist daher nicht anhand des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu prüfen.

Der Verlust des aktiven und des passiven Wahlrechts für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Muttergesellschaft sowie gegebenenfalls der Verlust des Rechts auf Ausübung oder weitere Ausübung eines Aufsichtsratsmandats stellen jedoch keine Behinderung der Freizügigkeit dar. 

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer garantiert einem Arbeitnehmer nämlich nicht, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral sein wird. Ein solcher Umzug kann aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für den betreffenden Arbeitnehmer je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben. Daher verschafft die Arbeitnehmerfreizügigkeit dem Arbeitnehmer nicht das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihm im Herkunftsmitgliedstaat nach dessen nationalen Rechtsvorschriften zustanden.

Das Unionsrecht hindert einen Mitgliedstaat nicht daran, im Bereich der kollektiven Vertretung und Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen in den Leitungs- und Aufsichtsorganen einer Gesellschaft nationalen Rechts – der bislang nicht Gegenstand einer Harmonisierung oder auch nur einer Koordinierung auf Unionsebene war – vorzusehen, dass die von ihm erlassenen Vorschriften nur auf die Arbeitnehmer inländischer Betriebe Anwendung finden. 

Im vorliegenden Fall gehört die durch das deutsche Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer eingeführte Mitbestimmungsregelung, die darauf abzielt, die Arbeitnehmer durch gewählte Vertreter in die Entscheidungs- und strategischen Organe der Gesellschaft einzubeziehen, sowohl zum deutschen Gesellschaftsrecht als auch zum deutschen kollektiven Arbeitsrecht, deren Anwendungsbereich Deutschland auf die bei inländischen Betrieben tätigen Arbeitnehmer beschränken kann, sofern eine solche Beschränkung auf einem objektiven und nicht diskriminierenden Kriterium beruht.

Was insbesondere den Verlust der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat nach einer Versetzung in einen anderen Mitgliedstaat betrifft, stellt der Gerichtshof fest, dass dies nur die Folge der legitimen Entscheidung Deutschlands ist, die Anwendung seiner nationalen Vorschriften im Bereich der Mitbestimmung auf die bei einem inländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer zu beschränken.

 

21.02.2017

Unwirksamkeit einer Widerrufsbelehrung bei einem sog. Präsenzgeschäft - unzureichend deutliche Formulierung
(BGH, Urteil vom 21.02.2017 – XI ZR 381/16) mehr

Der Bundesgerichtshof hat mit URteil vom 21.02.2017 (XI ZR 381/16) folgendes entschieden:
Ob der Verbraucher die anlässlich eines Präsenzgeschäfts erteilte Belehrung in Übereinstimmung mit dem Unternehmer stillschweigend richtig dahin verstanden hat, das Anlaufen der Frist für einen Widerruf setze die Abgabe ihrer Vertragserklärung voraus, ist unerheblich. Denn der Verbraucher ist zwingend in Textform zu belehren, so dass die Widerrufsbelehrung nicht anhand eines konkludenten gemeinsamen Verständnisses der Vertragsparteien korrigiert werden kann. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers kommt es nicht an.

Die Kläger verlangen nach Widerruf ihrer auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung die Erstattung der von ihnen gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung. Sie schlossen mit der Beklagten am 15.02.2006 zur Finanzierung einer Immobilie einen Verbraucherdarlehensvertrag über nominal 106.000 € mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Der Vertragsabschluss gestaltete sich so, dass ein Mitarbeiter der Beklagten und die Kläger – alle drei zeitgleich an einem Ort anwesend – die den Klägern erstmals vorgelegten schriftlichen Vertragsunterlagen unterzeichneten. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, die unter anderem folgenden Passus enthielt:
"Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag[,] nachdem Ihnen
  • eine Ausfertigung dieser Widerrufsbelehrung und
  • die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags
zur Verfügung gestellt wurden".

Im Herbst 2014 wollten die Kläger die finanzierte Immobilie verkaufen. Deshalb traten sie an die Beklagte heran, um das Darlehen vorzeitig abzulösen. Die Beklagte machte den Abschluss einer "Aufhebungsvereinbarung" von der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 4.569,82 € abhängig. Die Kläger gaben eine darauf gerichtete Willenserklärung am 21.10.2014 "unter dem Vorbehalt einer Überprüfung des geschlossenen Darlehensvertrages einschließlich der Widerrufsbelehrung" ab. Sie entrichteten die von der Beklagten beanspruchte Vorfälligkeitsentschädigung. Unter dem 21.11.2014 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.

Das Amtsgericht hat die Klage auf Erstattung der Vorfälligkeitsentschädigung und vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren weiter.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend:
Die von der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung ist als vorformulierte Erklärung gemäß den im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen objektiv auszulegen. Nach dieser Maßgabe ist sie unzureichend deutlich formuliert, weil sie entgegen der für die Vertragsbeziehungen der Parteien maßgebenden Rechtslage so verstanden werden kann, die Widerrufsfrist laufe unabhängig von der Abgabe der Vertragserklärung des Verbrauchers an. Ob die Kläger die anlässlich eines Präsenzgeschäfts erteilte Belehrung in Übereinstimmung mit der Beklagten stillschweigend richtig dahin verstanden haben, das Anlaufen der Frist setze die Abgabe ihrer Vertragserklärung voraus, ist unerheblich. Denn der Verbraucher war hier zu seinen Gunsten zwingend in Textform zu belehren, so dass die Widerrufsbelehrung nicht anhand eines konkludenten gemeinsamen Verständnisses der Vertragsparteien korrigiert werden kann. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers kommt es nicht an.

Der Bundesgerichtshof hat außerdem seine Rechtsauffassung bestätigt, dass eine Aufhebungsvereinbarung einen anschließenden Widerruf nicht hindert.

Das Landgericht wird nach Zurückverweisung der Sache nunmehr anhand der vom Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 12.07.2016 niedergelegten und vom Landgericht, das vorher entschieden hat, noch nicht berücksichtigten Grundsätze der Frage nachzugehen haben, ob die Kläger mit der Ausübung des Widerrufsrechts gegen Treu und Glauben verstoßen haben.

 

19.12.2016

Mängelhaftung bei e-bike-mobility - Symptomtheorie - konkrete Beschreibung der behaupteten Mängel erforderlich
(OLG München, Urteil vom 19.12.2016 - 21 U 979/16) mehr


Das Oberlandesgericht (OLG) München hat mit Urteil vom 19.12.2016 (21 U 979/16) folgendes entschieden:

Der Besteller einer Leistung genügt seiner Darlegungslast, wenn er lediglich Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Unternehmers zuordnet, genau bezeichnet. Zu den Ursachen der Mangelerscheinungen muss der Besteller nicht vortragen. Diese Ursachenkette ist vielmehr Gegenstand des Beweises. Derjenige, der Mängel an der Leistung geltend macht, muss allerdings die Fehler bzw. Störungen sowohl im Rahmen eines Nachbesserungsverlangens als auch im Prozess soweit konkretisieren, dass der Vertragspartner bzw. das Gericht nachvollziehen kann, inwieweit eine Abweichung von der vertraglich geschuldeten Leistung geltend gemacht wird.

1.
Die Kläger fordern von der Beklagten die Restkaufpreiszahlung in Höhe von € 290.000,- aus einem zwischen den Parteien geschlossenen „Vertrag über den Kauf von Entwicklungsergebnissen, einschließlich Know-How und Schutzrechten sowie weiteren Rechten“ im Zusammenhang mit dem Projekt „e-bike mobility“.

Die Kläger („alle Veräußerer“) haben nach der „Präambel“ des vorgenannten Vertrags unter der Projekt-Bezeichnung „e-Bike mobility“ Fahrradparklösungen und automatische Fahrradparksysteme, insbesondere sogenannte „Bike-tower“, sowie damit ggf. kombinierbare Ladetechniksysteme für elektrische Fahrräder entwickelt. Sie haben ihre Entwicklung in den Jahren 2011/2012 in drei Prototypen umgesetzt. Mit dem streitgegenständlichen Vertrag übertrugen die Kläger der Beklagten die gesamte Entwicklung „e-Bike mobility“, im Detail nach Vertrag: Register-Schutzrechte, Software, Internetdomains, „Know-how“ und „Good-Will“.

Die Beklagte ist vor allem im Bau- und Planungsbereich tätig. Sie hat nach Erwerb der streitgegenständlichen Entwicklung selbst eine Bike-Station errichtet. Hierbei hat sie die gekaufte Technologie eingesetzt und lediglich die Gebäudehülle weiter entwickelt. Da sich die Ladetechnik gegenüber den ursprünglichen Prototypen geändert bzw. fortentwickelt hat (ein Akku wird nunmehr mit 36 Volt aufgeladen), musste ergänzend die Software der Ladetechnik modifiziert werden, worin die Kläger die Beklagte unterstützt haben.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Bike-Station technisch bedingt ab und zu nicht „funktioniere“ (so der Beklagteneinwand) oder lediglich bei den Kunden bzw. konkret der Firma XY, Unzufriedenheit mit dem Service der Beklagten bestehe (so die Behauptung der Klageseite).

2.
Das OLG München hat die Beklagte zur Zahlung des Restkaufpreises in Höhe von € 290.000,00 verurteilt.

Es hat dabei folgendes festgestellt: Die Beklagte ist gemäß § 433 Absatz 2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag zur Zahlung des Restkaufpreises in Höhe des ausgeurteilten Betrages verpflichtet. Der Zahlungsanspruch ist nicht aufgrund einer Minderung der Beklagten gemäß § 441 BGB erloschen, da ein Mangel des Kaufgegenstands, also an der übertragenen Technologie, speziell an der Software oder dem „Know-How“, bereits nicht hinreichend substantiiert seitens der Beklagten dargelegt worden ist. Beweiserhebungen seien nicht veranlasst.

Nach § 434 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 1. Alt. BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Wegen dieser Korrelation von Beschaffenheit und Mangel ist die Beschaffenheit des hiesigen Kaufgegenstands klar herauszuarbeiten.

Die Beklagte hat nach Vertrag lediglich das Entwicklungsergebnis des Projekts „e-Bike mobility“ mit technischen und nicht-technischen Komponenten erworben, also keinen Bike-Tower als fertiges Objekt, dem allenfalls bautechnisch eine andere „Gebäudehülle“ überzustülpen ist. Die übertragene Technologie hat nämlich - so ausdrücklich der Vertragstext - „noch nicht das Stadium der Serienreife“ erreicht. Allerdings sind die technischen Entwicklungen und die Software so weit gediehen, dass drei Prototypen gebaut und in Betrieb genommen werden konnten, wobei die Erwerberin erkannt hat, dass es sich hierbei lediglich „um einen für den Kundenbetrieb tauglichen Prototyp“ handelt.

Nach der - allerdings zunächst zum Werkvertragsrecht von der Rechtsprechung entwickelten - Symptomtheorie genügt der Besteller seiner Darlegungslast, wenn er lediglich Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Unternehmers zuordnet, genau bezeichnet. Zu den Ursachen der Mangelerscheinungen muss der Besteller nicht vortragen. Diese Ursachenkette ist vielmehr Gegenstand des Beweises. Derjenige, der Mängel an der Leistung geltend macht, muss allerdings die Fehler bzw. Störungen sowohl im Rahmen eines Nachbesserungsverlangens als auch im Prozess soweit konkretisieren, dass der Vertragspartner bzw. das Gericht nachvollziehen kann, inwieweit eine Abweichung von der vertraglich geschuldeten Leistung geltend gemacht wird. Spiegelbildlich zur Abhilfe wäre beispielsweise die pauschale Rüge, das Kaufobjekt „entspreche nicht den vertraglichen Vereinbarungen“ gerade nicht ausreichend.

Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an einem im vorgenannten Sinne konkretisierten Vortrag zu den Mangelerscheinungen. Die pauschale Behauptung, dass etwas nicht funktioniere, genügt nicht; eine darauf gestützte Beweiserhebung würde die Grenze zur Ausforschung überschreiten. Durch die Erklärung „funktionierte immer wieder, dann wieder nicht“ bleibt völlig unklar, wann genau welche konkreten Störungen aufgetreten sind.


 

12.10.2016


Haftungsfragen im Kaufrecht bei "Mangelerscheinung" – Anwendungsbereich der Beweislastumkehr eines Kaufvertrages nach § 476 BGB zugunsten des Verbrauchers und zulasten des Händlers erweitert
(BGH, Urteil vom 12.10.2016 - VIII ZR 103/15) mehr

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12.10.2016 (VIII ZR 103/15) folgendes entschieden:

Der Verkäufer hat den Nachweis zu erbringen, dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung, bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs habe - zumindest ein in der Entstehung begriffener - Sachmangel ("Mangelerscheinung") vorgelegen, nicht zutrifft, es sei denn dass ein Mangel vorlag, der mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar war. Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten.

Der Sachverhalt:
Der Kläger kaufte von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen gebrauchten BMW 525d Touring zum Preis von 16.200 €. Nach knapp fünf Monaten und einer vom Kläger absolvierten Laufleistung von rund 13.000 Kilometern schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung in der Einstellung "D" nicht mehr selbständig in den Leerlauf; stattdessen starb der Motor ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz geltend gemachter Schäden.

Prozessverlauf:
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat im Einklang mit dem Landgericht die Auffassung vertreten, der Kläger habe nicht den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass das Fahrzeug bereits bei seiner Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe. Zwar seien die aufgetretenen Symptome nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen auf eine zwischenzeitlich eingetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers zurückzuführen. Auch sei es grundsätzlich möglich, dass der Freilauf schon bei der Übergabe des Fahrzeugs mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die im weiteren Verlauf zu dem eingetretenen Schaden geführt haben könnten. Nachgewiesen sei dies jedoch nicht. Vielmehr komme als Ursache auch eine Überlastung des Freilaufs, mithin ein Bedienungsfehler des Klägers nach Übergabe in Betracht.
Bei einer solchen Fallgestaltung könne sich der Kläger nicht auf die zugunsten eines Verbrauchers eingreifende Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB* berufen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründe diese Vorschrift lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe. Sie gelte dagegen nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Wenn daher - wie hier - bereits nicht aufklärbar sei, dass der eingetretene Schaden auf eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstands zurückzuführen sei, gehe dies zu Lasten des Käufers.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine bislang zu § 476 BGB entwickelten Grundsätze zugunsten des Käufers angepasst, um sie mit den Erwägungen in dem zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juni 2015 (C-497/13, NJW 2015, 2237 - Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV) in Einklang zu bringen.

Die mit diesem Urteil durch den Gerichtshof erfolgte Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der durch § 476 BGB in nationales Recht umgesetzt wurde, gebietet es, im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB den Anwendungsbereich dieser Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern.

Dies betrifft zunächst die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des - die Voraussetzung für das Einsetzen der Vermutungswirkung des § 476 BGB bildenden - Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang. Anders als dies der bisherigen Senatsrechtsprechung zu § 476 BGB entspricht, muss der Käufer nach Auffassung des Gerichtshofs im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchgüterkaufrichtlinie weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist. Vielmehr hat er lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte. In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB lässt der Senat nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine "Mangelerscheinung") gezeigt hat, der - unterstellt er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Dagegen muss der Käufer fortan weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.

Außerdem ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB die Reichweite der dort geregelten Vermutung um eine sachliche Komponente zu erweitern. Danach kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Damit wird der Käufer - anders als bisher von der Senatsrechtsprechung gefordert - des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Folge dieser geänderten Auslegung des § 476 BGB ist eine im größeren Maß als bisher angenommene Verschiebung der Beweislast vom Käufer auf den Verkäufer beim Verbrauchsgüterkauf. Der Verkäufer hat den Nachweis zu erbringen, dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung, bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs habe - zumindest ein in der Entstehung begriffener - Sachmangel vorgelegen, nicht zutrifft. Er hat also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil sie ihren Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und ihm damit nicht zuzurechnen ist. Gelingt ihm diese Beweisführung - also der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen - nicht hinreichend, greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann ein, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben ist, also letztlich ungeklärt geblieben ist, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag.

Daneben verbleibt dem Verkäufer die Möglichkeit, sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei, weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar sei (§ 476 BGB am Ende). Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten.

Der Senat hat nach alledem das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Insbesondere wird dieses unter Anwendung der sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB* ergebenden neuen Grundsätze zur Beweislastverteilung zu prüfen haben, ob der Beklagten der Nachweis gelungen ist, dass der akut aufgetretene Schaden am Freilauf des Drehmomentwandlers zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs auch nicht im Ansatz vorlag, sondern auf eine nachträgliche Ursache (Bedienungsfehler) zurückzuführen ist.
 

Mängelhaftung bei e-bike-mobility - Symptomtheorie - konkrete Beschreibung der behaupteten Mängel erforderlich
(OLG München, Urteil vom 19.12.2016 - 21 U 979/16) mehr


Das Oberlandesgericht (OLG) München hat mit Urteil vom 19.12.2016 (21 U 979/16) folgendes entschieden:

Der Besteller einer Leistung genügt seiner Darlegungslast, wenn er lediglich Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Unternehmers zuordnet, genau bezeichnet. Zu den Ursachen der Mangelerscheinungen muss der Besteller nicht vortragen. Diese Ursachenkette ist vielmehr Gegenstand des Beweises. Derjenige, der Mängel an der Leistung geltend macht, muss allerdings die Fehler bzw. Störungen sowohl im Rahmen eines Nachbesserungsverlangens als auch im Prozess soweit konkretisieren, dass der Vertragspartner bzw. das Gericht nachvollziehen kann, inwieweit eine Abweichung von der vertraglich geschuldeten Leistung geltend gemacht wird.

1.
Die Kläger fordern von der Beklagten die Restkaufpreiszahlung in Höhe von € 290.000,- aus einem zwischen den Parteien geschlossenen „Vertrag über den Kauf von Entwicklungsergebnissen, einschließlich Know-How und Schutzrechten sowie weiteren Rechten“ im Zusammenhang mit dem Projekt „e-bike mobility“.

Die Kläger („alle Veräußerer“) haben nach der „Präambel“ des vorgenannten Vertrags unter der Projekt-Bezeichnung „e-Bike mobility“ Fahrradparklösungen und automatische Fahrradparksysteme, insbesondere sogenannte „Bike-tower“, sowie damit ggf. kombinierbare Ladetechniksysteme für elektrische Fahrräder entwickelt. Sie haben ihre Entwicklung in den Jahren 2011/2012 in drei Prototypen umgesetzt. Mit dem streitgegenständlichen Vertrag übertrugen die Kläger der Beklagten die gesamte Entwicklung „e-Bike mobility“, im Detail nach Vertrag: Register-Schutzrechte, Software, Internetdomains, „Know-how“ und „Good-Will“.

Die Beklagte ist vor allem im Bau- und Planungsbereich tätig. Sie hat nach Erwerb der streitgegenständlichen Entwicklung selbst eine Bike-Station errichtet. Hierbei hat sie die gekaufte Technologie eingesetzt und lediglich die Gebäudehülle weiter entwickelt. Da sich die Ladetechnik gegenüber den ursprünglichen Prototypen geändert bzw. fortentwickelt hat (ein Akku wird nunmehr mit 36 Volt aufgeladen), musste ergänzend die Software der Ladetechnik modifiziert werden, worin die Kläger die Beklagte unterstützt haben.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Bike-Station technisch bedingt ab und zu nicht „funktioniere“ (so der Beklagteneinwand) oder lediglich bei den Kunden bzw. konkret der Firma XY, Unzufriedenheit mit dem Service der Beklagten bestehe (so die Behauptung der Klageseite).

2.
Das OLG München hat die Beklagte zur Zahlung des Restkaufpreises in Höhe von € 290.000,00 verurteilt.

Es hat dabei folgendes festgestellt: Die Beklagte ist gemäß § 433 Absatz 2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag zur Zahlung des Restkaufpreises in Höhe des ausgeurteilten Betrages verpflichtet. Der Zahlungsanspruch ist nicht aufgrund einer Minderung der Beklagten gemäß § 441 BGB erloschen, da ein Mangel des Kaufgegenstands, also an der übertragenen Technologie, speziell an der Software oder dem „Know-How“, bereits nicht hinreichend substantiiert seitens der Beklagten dargelegt worden ist. Beweiserhebungen seien nicht veranlasst.

Nach § 434 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 1. Alt. BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Wegen dieser Korrelation von Beschaffenheit und Mangel ist die Beschaffenheit des hiesigen Kaufgegenstands klar herauszuarbeiten.

Die Beklagte hat nach Vertrag lediglich das Entwicklungsergebnis des Projekts „e-Bike mobility“ mit technischen und nicht-technischen Komponenten erworben, also keinen Bike-Tower als fertiges Objekt, dem allenfalls bautechnisch eine andere „Gebäudehülle“ überzustülpen ist. Die übertragene Technologie hat nämlich - so ausdrücklich der Vertragstext - „noch nicht das Stadium der Serienreife“ erreicht. Allerdings sind die technischen Entwicklungen und die Software so weit gediehen, dass drei Prototypen gebaut und in Betrieb genommen werden konnten, wobei die Erwerberin erkannt hat, dass es sich hierbei lediglich „um einen für den Kundenbetrieb tauglichen Prototyp“ handelt.

Nach der - allerdings zunächst zum Werkvertragsrecht von der Rechtsprechung entwickelten - Symptomtheorie genügt der Besteller seiner Darlegungslast, wenn er lediglich Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Unternehmers zuordnet, genau bezeichnet. Zu den Ursachen der Mangelerscheinungen muss der Besteller nicht vortragen. Diese Ursachenkette ist vielmehr Gegenstand des Beweises. Derjenige, der Mängel an der Leistung geltend macht, muss allerdings die Fehler bzw. Störungen sowohl im Rahmen eines Nachbesserungsverlangens als auch im Prozess soweit konkretisieren, dass der Vertragspartner bzw. das Gericht nachvollziehen kann, inwieweit eine Abweichung von der vertraglich geschuldeten Leistung geltend gemacht wird. Spiegelbildlich zur Abhilfe wäre beispielsweise die pauschale Rüge, das Kaufobjekt „entspreche nicht den vertraglichen Vereinbarungen“ gerade nicht ausreichend.

Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an einem im vorgenannten Sinne konkretisierten Vortrag zu den Mangelerscheinungen. Die pauschale Behauptung, dass etwas nicht funktioniere, genügt nicht; eine darauf gestützte Beweiserhebung würde die Grenze zur Ausforschung überschreiten. Durch die Erklärung „funktionierte immer wieder, dann wieder nicht“ bleibt völlig unklar, wann genau welche konkreten Störungen aufgetreten sind.


 

05.07.2016

Löschung einer im Registerordner des Handelsregisters aufgenommenen Gesellschafterliste ist nicht zulässig.
(KG, Beschluss vom 05.07.2016 - 22 W 114/15) mehr

Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 05.07.2016 (22 W 114/15) folgendes entschieden:
Die Löschung einer in den Registerordner des Handelsregisters aufgenommenen Gesellschafterliste ist gesetzlich nicht vorgesehen. § 395 FamFG ist auf diese Fälle weder direkt noch analog anwendbar. Das Registergericht trifft bei der Entgegennahme einer Gesellschafterliste keine inhaltliche Prüfpflicht. Es darf jedoch prüfen, ob die eingereichte Gesellschafterliste den formalen Anforderungen des § 40 GmbHG entspricht.

Die Beteiligte zu 2) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 28. Juni 1993 gegründet und am 13. Dezember 1993 im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg eingetragen. Die Gesellschaft entwickelt professionelle Audiotechnik im Soft- und Hardwarebereich. Sie betreibt keinen Vertrieb an Endverbraucher. Ihr Stammkapital beträgt 940.000 DM. An diesem war der Beteiligte zu 1) mit einem Anteil von 550.000 DM beteiligt. Darüber hinaus sind weitere 17 Gesellschafter, überwiegend Mitarbeiter, ehemalige Mitarbeiter oder deren Angehörige beteiligt, ebenso die S V GmbH mit einem Kapitalanteil von ursprünglich 30.000 DM. Die Beteiligte zu 2) hielt ursprünglich eigene Geschäftsanteile in Höhe von 24.000 DM. Der Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) ist seit deren Eintragung als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Der Beteiligte zu 1) bzw. seine drei Söhne sind über die Beteiligung an der Beteiligten zu 2) hinaus auch an der S A GmbH beteiligt.

Im Laufe des Jahres 2014 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Beteiligten zu 1) und seinen Angehörigen einerseits und - soweit ersichtlich - den übrigen Gesellschaftern andrerseits. Am 22. Januar 2015 hat Notar Dr. P dem Registergericht eine entsprechende Gesellschafterliste vom 22. Januar 2015 mit der Bitte um Aufnahme im Handelsregister vorgelegt. Das Amtsgericht Charlottenburg hat am 06. August 2015 diese Gesellschafterliste in den Registerordner aufgenommen.

Dagegen hat sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Gegenvorstellung vom 18. August 2015 gewendet. Diese hat das Amtsgericht Charlottenburg als Antrag auf Entfernung der Gesellschafterliste aus dem elektronischen Registerordner gedeutet und diesen mit Beschluss vom 06. Oktober 2015 (Bl. 17) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, ihm stehe lediglich ein formell-rechtliches Prüfungsrecht dahingehend zu, ob die Anforderungen des § 40 GmbHG erfüllt seien, was auf die Gesellschafterliste vom 22. Januar 2015 zutreffe. Außerdem sei die Entfernung einmal in das Handelsregister aufgenommener Gesellschafterlisten gesetzlich nicht geregelt.

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) mit am 09. Oktober 2015 beim Registergericht eingegangenen Schriftsatz
vom selben Tage Beschwerde eingelegt.

Die Beschwerde hat das Kammergericht u.a. mit folgender Begründung zurückgewiesen.

Die Löschung einer in das Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Die Löschung einer Gesellschafterliste lässt sich insbesondere nicht auf den § 395 FamFG stützen. Nach dieser Vorschrift kann das Registergericht eine Eintragung von Amts wegen dann löschen, wenn sie wegen des Mangels einer wesentlichen Voraussetzung unzulässig ist. Hier fehlt es bereits an einer Eintragung. Die Aufnahme einer Gesellschafterliste in den Registerordner des Handelsregisters stellt keine Handelsregistereintragung i.S.d. § 395 FamFG dar. Zudem gilt der allgemeine Grundsatz, nach dem das Handelsregister für die Richtigkeit der Eintragungen zu sorgen hat, bei der Gesellschafterliste nicht. Denn die Gesellschafterliste ist dem Registerordner zuzuordnen, weil sie aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung beim Registergericht einzureichen ist, ohne dass dies zu einer Eintragung führen würde. Sie wird von der Gesellschaft vielmehr privat geführt und nach Aufnahme im Handelsregister im Registerordner (vgl. § 9 HRV) sicher “verwahrt”.

Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) ist hier § 395 FamFG auch nicht analog anwendbar. Es fehlt bereits an der für eine Analogiebildung notwendigen planwidrigen Gesetzeslücke. Der Gesetzgeber hat auch bei der letzten Reform des GmbHG durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) keine Notwendigkeit gesehen, eine entsprechende Regelung zu schaffen. Zwar sah er die Problematik, dass an eine Gesellschafterliste, die über mehrere Jahre unrichtig und zudem widerspruchslos geblieben ist, die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs geknüpft ist (vgl. BT-Drs. 16/6140, S. 43), hat aber nur eine Prüfpflicht des Geschäftsführers postuliert, wodurch “im Regelfall die gebotene Sorgfalt bei Abgabe der Liste gewährleistet sein” sollte, während das Registergericht die Listen lediglich entgegen nehme, ohne eine eigene Prüfpflicht zu haben (BT-Drs. 16/6140, S. 44). Zusätzlich spricht gegen die Möglichkeit der Löschung einer Gesellschafterliste die gesteigerte materiell-rechtliche Bedeutung der Gesellschafterliste. Der für den Zeitraum der Aufnahme im Handelsregister gemäß § 16 Abs. 1 und 2 GmbHG gesetzte Rechtsschein darf nicht einfach durch Löschung der Gesellschafterliste im Registerordner beseitigt werden.

Um dennoch der von ihm befürchteten faktischen Enteignung durch Erwerb seiner Gesellschaftsanteile durch einen gutgläubigen vorzubeugen, steht dem Beteiligten zu 1) die Möglichkeit zu, der vermeintlich falschen Gesellschafterliste einen Widerspruch zuordnen zu lassen (vgl. § 16 Abs. 3 S, 3 GmbHG). Darüber hinaus lässt sich eine fehlerhafte Gesellschafterliste nur mit Wirkung für die Zukunft durch Aufnahme einer neuen geänderten Gesellschafterliste korrigieren, wofür der Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) zuständig ist. Auf keinen Fall kann der Beteiligte zu 1) das Registergericht dazu instrumentalisieren, den gesetzlich vorgesehenen Rechtsweg abzuschneiden und stattdessen seine Interessen auf dem Weg über das für die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen gar nicht zuständige Registergericht durchzusetzen.

Das Registergericht darf aber prüfen, ob die Gesellschafterliste den formalen Anforderungen des § 40 GmbHG entspricht und im Falle von Beanstandungen die Entgegennahme verweigern. Dieses formale Prüfungsrecht umfasst die Prüfung, ob Veränderungen in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung eingetreten sind und ob die geänderten Eintragungen in der eingereichten Gesellschafterliste von dem Notar, der an den Veränderungen mitgewirkt hat, stammen.

Eine Rechtsbeschwerde hat das Kammergericht nicht zugelassen.


 
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