Kurzarbeit "Null": Kein anteiliger Urlaubsanspruch
30.11.2021 | Besteht bei Kurzarbeit keine Arbeitspflicht, dann kann Jahresurlaub entsprechend anteilig gekürzt werden - hiervon kann auch in einer Betriebsvereinbarng nicht abgewichen werden
(BAG, Urteile vom 30.11.2021 - 9 AZR 225/21; 9 AZR 234/21)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteilen vom 30.11.2021 (9 AZR 225/21; 9 AZR 234/21) Folgendes entschieden:
Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen.
Diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn die Kurzarbeit wirksam aufgrund einer Betriebsvereinbarung eingeführt worden ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten drei Tage wöchentlich als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten beschäftigt. Bei einer Sechstagewoche hätte ihr nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden. Dies entsprach bei einer vereinbarten Dreitagewoche einem Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen.
Aufgrund Arbeitsausfalls durch die Corona-Pandemie führte die Beklagte Kurzarbeit ein. Dazu trafen die Parteien Kurzarbeitsvereinbarungen, auf deren Grundlage die Klägerin ua. in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete.
Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle nahm die Beklagte eine Neuberechnung des Urlaubs vor. Sie bezifferte den Jahresurlaub der Klägerin für das Jahr 2020 auf 11,5 Arbeitstage. Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage müssten urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, den Urlaub zu kürzen. Für das Jahr 2020 stünden ihr weitere 2,5 Urlaubstage zu.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere 2,5 Arbeitstage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2020.
Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, ist die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Dies gilt entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.
Bei der vertraglichen Dreitagewoche der Klägerin errechnete sich zunächst ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage sind weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Kalenderjahr 2020 übersteigt deshalb nicht die von der Beklagten berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Zugrundelegung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausgefallen ist, hätte die Klägerin lediglich einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).
In einer weiteren Sache hat der Neunte Senat erkannt, dass diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn die Kurzarbeit wirksam aufgrund einer Betriebsvereinbarung eingeführt worden ist.
(PM 41/21 v. 30.11.2021)
COVID-19-Quarantäne: Nachgewährung von Urlaub nur bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
15.10.2021 | Arbeitsunfähigkeit infolge Quarantäne-Anordnung nicht mit Krankheit gleichzusetzen - Arbeitgeber muss Urlaub nicht nachgewähren
(LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 - 7 Sa 857/21)
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Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 15.10.2021 (7 Sa 857/21) Folgendes entschieden:
§ 9 BUrlG unterscheidet zwischen Erkrankung und darauf beruhender Arbeitsunfähigkeit. Beide Begriffe sind nicht gleichzusetzen. Die Nichtanrechnung der Urlaubstage bei bereits bewilligtem Urlaub erfordert, dass durch ein ärztliches Zeugnis die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Erkrankung nachgewiesen ist. Eine Erkrankung mit COVID-19 führt z.B. bei einem symptomlosen Verlauf nicht automatisch zu einer Arbeitsunfähigkeit.
Sachverhalt:
Die Klägerin, eine Maschinenbedienerin in einem Produktionsbetrieb, befand sich in der Zeit vom 10.12.2020 bis zum 31.12.2020 in bewilligtem Erholungsurlaub. Nach einem Kontakt mit ihrer mit COVID-19 infizierten Tochter ordnete das Gesundheitsamt zunächst eine häusliche Quarantäne bis zum 16.12.2020 an. Bei einer Testung am 16.12.2020 wurde bei der Klägerin eine Infektion mit COVID-19 festgestellt. Daraufhin ordnete das Gesundheitsamt für die Klägerin mit Bescheid vom 17.12.2020 häusliche Quarantäne vom 06.12.2020 bis zum 23.12.2020 an. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass die Klägerin als Kranke im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG anzusehen sei. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen Arzt ließ sich die Klägerin nicht ausstellen.
Die Klägerin verlangt von ihrer Arbeitgeberin die Nachgewährung von zehn Urlaubstagen für die Zeit vom 10.12.2020 bis 23.12.2020.
Sie meint, diese seien wegen der durch das Gesundheitsamt verhängten Quarantäne nicht verbraucht. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, dass sie den Urlaubsanspruch der Klägerin auch in diesem Zeitraum erfüllt habe. Der Landschaftsverband lehne in derartigen Fällen Erstattungsanträge mit der Begründung ab, dass für bereits genehmigten Urlaub kein Verdienstausfall entstehe und die Voraussetzung für eine Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz deshalb nicht erfüllt
sei.
Entscheidung:
Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat ebenso wie das Arbeitsgericht Oberhausen die Klage abgewiesen und dies mit der gesetzlichen Regelung in § 9 BUrlG begründet.
Die Vorschrift unterscheidet zwischen Erkrankung und darauf beruhender Arbeitsunfähigkeit. Beide Begriffe sind nicht gleichzusetzen. Danach erfordert die Nichtanrechnung der Urlaubstage bei bereits bewilligtem Urlaub, dass durch ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen ist, dass aufgrund der Erkrankung Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Daran fehle es hier. Aus dem Bescheid des Gesundheitsamts ergibt sich lediglich, dass die Klägerin an COVID-19 erkrankt war. Eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin und dies durch einen Arzt wurde nicht vorgenommen.
Eine analoge Anwendung der eng begrenzten Ausnahmevorschrift des § 9 BUrlG kommt nicht in Betracht. Nach der Konzeption des BUrlG fallen urlaubsstörende Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Eine Analogie kommt nur in Betracht, wenn generell und nicht nur ggfs. im konkreten Einzelfall eine COVID-19-Infektion zu Arbeitsunfähigkeit führt. Dies ist nicht der Fall. Eine Erkrankung mit COVID-19 führt z.B. bei einem symptomlosen Verlauf nicht automatisch zu einer Arbeitsunfähigkeit. Es liegt damit bei einer COVID-19-Infektion keine generelle Sachlage vor, die eine entsprechende Anwendung von § 9 BUrlG rechtfertigt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
(PM v. 15.10.2021)
"Corona-Lockdown": Kein Entgelt bei Betriebsschließung
13.10.2021 | Wird Betrieb aufgrund allgemeiner Anordnung geschlossen, um die Covid-19-Pandemie zu bekämpfen, entfällt auch der Vergütungsanspruch - Schließung folgt nicht wegen "Betriebsrisikos"
(BAG, Urteil vom 13.10.2021 - 5 AZR 211/21)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.10.2021 (5 AZR 211/21) Folgendes entschieden:
Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.
Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432,00 Euro im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23. März 2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung.
Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos.
Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die von der Freien Hansestadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klägerin hat für den Monat April 2020, in dem ihre Arbeitsleistung und deren Annahme durch die Beklagte aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließung unmöglich war, keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.
Es ist Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen. Soweit ein solcher – wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigter – nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.
(PM Nr. 31/21 v. 13.10.2021)
Weigerung des Masken-Tragens: Kündigung des Arbeitsverhältnisses zulässig
08.10.2021 | Lehnt Arbeitnehmer trotz Abmahnung das Tragen einer Corona-Schutzmaske ab, kann Arbeitsverhältnis sogar außerordentlich gekündigt werden
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.10.2021 - 10 Sa 867/21)
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Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit heute veröffentlichten Urteil vom 07.10.2021 (10 Sa 867/21) Folgendes entschieden:
Die außerordentliche Kündigung eines brandenburgischen Lehrers, der die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ablehnte, ist wirksam; die Kündigungsschutzklage wird unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Kündigung sei aufgrund der Äußerungen gegenüber der Schulelternsprecherin in E-Mails an diese gerechtfertigt. Eine E-Mail enthielt neben Ausführungen zur allgemeinen Bewertung der Maskenpflicht in der Schule („bin ich der Meinung, dass diese „Pflicht“ eine Nötigung, Kindesmissbrauch, ja sogar vorsätzliche Körperverletzung bedeutet.“), auch die Aufforderung an die Eltern, mit einem vorformulierten zweiseitigen Schreiben gegen die Schule vorzugehen.
Eine Abmahnung liege vor, der Kläger selbst verweise auf eine Erklärung des beklagten Landes, er müsse mit einer Kündigung rechnen, wenn er nicht von seinem Verhalten Abstand nehme.
Im Folgenden habe der Kläger jedoch mit einer erneuten Erklärung per E-Mail gegenüber der Elternvertreterin und weiteren Stellen an seinen Äußerungen festgehalten.
Als weiteren Kündigungsgrund nannte das Landesarbeitsgericht die beharrliche Weigerung des Klägers, im Schulbetrieb einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Das dann vorgelegte, aus dem Internet bezogene Attest eines österreichischen Arztes rechtfertige keine Befreiung.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.
(PM Nr. 39/21 v. 08.10.2021)
Arbeitsunfähig nach Kündigung? "Passgenaue" Bescheinigung kein Beweis mehr
08.09.2021 | Beweiswert des "Gelben Zettels" ist erschüttert, wenn Beginn und Dauer der AU mit der Kündigungsfrist übereinstimmen und Arbeitnehmer nichts weiter vorträgt
(BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) Folgendes entschieden:
Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte der Beklagten eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.
Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden.
Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.
Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hat Erfolg.
Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war.
Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin ist im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen. Die Klage war daher abzuweisen.
(PM Nr. 25/21 v. 08.09.2021)
Homeoffice: Arbeitgeber darf Rückkehr des Arbeitnehmers anordnen
07.09.2021 | "Rückholung" aus dem Homeoffice vom Direktionsrecht gedeckt, wenn keine speziellen Regelungen bestehen - Bedeutung haben z.B. technische Ausstattung und Geschäftsgeheimnisschutz
(LAG München, Urteil vom 31.08.2021 - 3 SaGa 13/21)
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Das Landesarbeitsgericht München hat mit jetzt veröffentlichtem Urteil vom 26.08.2021 (3 SaGa 13/21) Folgendes entschieden:
Ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer gestattet hatte, seine Tätigkeit von zuhause aus zu erbringen, ist berechtigt, seine Weisung bei Vorliegen betrieblicher Gründe wieder zu ändern.
Der Arbeitnehmer war als Grafiker in Vollzeit beschäftigt. Seit Dezember 2020 arbeiteten die sonst im Büro tätigen Mitarbeiter aufgrund Erlaubnis des Geschäftsführers an ihrem jeweiligen Wohnort mitAusnahme des Sekretariats, das im eingeschränkten Umfang vor Ort im Büro in München anwesendblieb. Mit Weisung vom 24.02.2021 hat der Arbeitgeber gegenüber dem Kläger angeordnet, die Tätigkeit als Grafiker wieder unter Anwesenheit im Büro in München zu erbringen.
Der Arbeitnehmer wollte mit seiner Klage erreichen, dass ihm das Arbeiten aus dem Homeoffice gestattet wird und diese Homeoffice-Tätigkeit nur in Ausnahmefällen unterbrochen werden darf.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Arbeiten im Homeoffice ergebe sich weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-ArbSchV.
Aus § 106 S. 1 GewO lasse sich keine Pflicht des Arbeitgebers herleiten, sein Direktionsrechts im Rahmen billigen Ermessens in der gewünschten Weise auszuüben. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht sei Sache des Arbeitgebers. Die allgemeine Gefahr, sich auf dem Weg zur Arbeit mit Covid-19 anzustecken und das allgemeinen Infektionsrisiko am Arbeitsort und in der Mittagspause würden einer Verpflichtung zum Erscheinen im Büro nicht entgegenstehen.
Das LAG München hat diese Entscheidung bestätigt. Es hat entschieden, dass ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer gestattet hatte, seine Tätigkeit als Grafiker von zuhause aus zu erbringen, gemäß § 106 Satz 1 GewO grundsätzlich berechtigt ist, seine Weisung zu ändern, wenn sich später betriebliche Gründe herausstellen, die gegen eine Erledigung von Arbeiten im Homeoffice sprechen. Das LAG hat ausgeführt, dass der Arbeitgeber unter Wahrung billigen Ermessens den Arbeitsort durch Weisung neu bestimmen durfte. Der Arbeitsort war weder im Arbeitsvertrag noch kraft späterer ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung der Parteien auf die Wohnung des Verfügungsklägers festgelegt. Das Recht, die Arbeitsleistung von zuhause zu erbringen, habe im Februar 2021 auch nicht gem. § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-ArbSchVO bestanden.
Nach dem Willen des Verordnungsgebers vermittele diese Vorschrift kein subjektives Recht auf Homeoffice. Die Weisung habe billiges Ermessen gewahrt, da zwingende betriebliche Gründe der Ausübung der Tätigkeit in der Wohnung entgegenstanden. Die technische Ausstattung am häuslichen Arbeitsplatz habe nicht der am Bürostandort entsprochen und der Arbeitnehmer habe nicht dargelegt, dass die Daten gegen den Zugriff Dritter und der in Konkurrenz tätigen Ehefrau geschützt waren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
(PM v. 31.08.2021)
Kopftuchverbot im Unternehmen: Unter bestimmten Umständen zulässig
15.07.2021 | Wenn Neutralität vermittelt oder sozialer Friede gewahrt werden soll, kann Arbeitgeber das Tragen eines Kopftuches untersagen
(EuGH, Urteil vom 15.07.2021 – C-804/18, C-134/19)
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Der EuGH hat mit Urteil vom 15.07.2021 (C-804/18, C-341/19 - WABE und MH Müller Handel) folgendes entschieden:
Das Verbot des Tragens jeder sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen kann durch das Bedürfnis des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, gegenüber den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden.
Diese Rechtfertigung muss jedoch einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen, und die nationalen Gerichte können im Rahmen des Ausgleichs der in Rede stehenden Rechte und Interessen dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats, und insbesondere den in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigeren nationalen Vorschriften, Rechnung tragen.
IX und MJ, die bei Gesellschaften deutschen Rechts als Heilerziehungspflegerin bzw. als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt sind, trugen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch. Da der Arbeitgeber von IX, der WABE e. V. (im Folgenden: WABE), der Ansicht war, dass das Tragen eines solchen Kopftuchs nicht der Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität gegenüber Eltern, Kindern und Dritten entspreche, forderte er sie auf, das Kopftuch abzulegen, und stellte sie auf ihre Weigerung hin zweimal von der Arbeit frei, wobei er sie abmahnte. Die Arbeitgeberin von MJ, die MH Müller Handels GmbH (im Folgenden: MH), wies MJ, nachdem diese es abgelehnt hatte, das Kopftuch an ihrem Arbeitsplatz abzulegen, zunächst eine andere Stelle zu, die es ihr erlaubte, das Kopftuch zu tragen, und erteilte ihr dann, nachdem sie sie nach Hause geschickt hatte, die Weisung, ohne auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen.
IX erhob beim Arbeitsgericht Hamburg Klage auf Verurteilung von WABE, die Abmahnungen wegen des Tragens des islamischen Kopftuchs aus ihrer Personalakte zu entfernen.
MJ erhob vor den nationalen Gerichten Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der von MH erteilten Weisung sowie auf Ersatz des erlittenen Schadens.
Nachdem die vorinstanzlichen Gerichte der Klage von MJ stattgegeben hatten, legte MH Revision zum Bundesarbeitsgericht ein. Vor diesem Hintergrund haben die beiden vorlegenden Gerichte beschlossen, den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie 2000/78 zu ersuchen. Insbesondere ist der Gerichtshof gefragt worden, ob eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellt, unter welchen Voraussetzungen die etwaige mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus dieser Regel ergibt, gerechtfertigt sein kann, und welche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Angemessenheit einer solchen Ungleichbehandlung zu berücksichtigen sind.
In seinem Urteil erläutert der Gerichtshof (Große Kammer) u. a., unter welchen Voraussetzungen eine sich aus einer solchen internen Regel ergebende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung gerechtfertigt sein kann.
Würdigung durch den Gerichtshof:
Der Gerichtshof prüft in einem ersten Schritt im Zusammenhang mit der Rechtssache C-804/18, ob eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsvorschriften befolgen, eine nach der Richtlinie 2000/78 verbotene unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellt. Insoweit stellt er fest, dass das Tragen von Zeichen oder Kleidung zur Bekundung der eigenen Religion oder Überzeugung unter die „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ fällt. Für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 sind die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes.
Außerdem erinnert der Gerichtshof an seine Rechtsprechung, wonach eine solche Regel keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichbehandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass diese Feststellung nicht durch die Erwägung in Frage gestellt wird, dass einige Arbeitnehmer religiöse Gebote befolgen, die eine bestimmte Bekleidung vorschreiben. Die Anwendung einer internen Regel wie der oben genannten kann zwar solchen Arbeitnehmern besondere Unannehmlichkeiten bereiten, doch ändert dies nichts an der Feststellung, dass diese Regel, die Ausdruck einer Politik der Neutralität des Unternehmens ist, grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführt, die auf einem untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbundenen Kriterium beruht.
Im vorliegenden Fall scheint die in Rede stehende Regel allgemein und ohne jede Differenzierung angewandt worden zu sein, da der betreffende Arbeitgeber auch im Fall einer Arbeitnehmerin, die ein religiöses Kreuz trug, verlangt und erwirkt hat, dass sie dieses Zeichen ablegt. Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass unter diesen Umständen eine Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung gegenüber Arbeitnehmern darstellt, die in Anwendung religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen.
In einem zweiten Schritt prüft der Gerichtshof, ob eine sich aus einer solchen internen Regel ergebende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, um deren berechtigten Erwartungen Rechnung zu tragen. Er bejaht dies und benennt dabei die Voraussetzungen, von denen diese Schlussfolgerung abhängt.
Hierzu stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, ein rechtmäßiges Ziel darstellen kann. Allerdings reicht dieser bloße Wille für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses dieses Arbeitgebers festgestellt werden kann. Die für die Feststellung eines solchen Bedürfnisses maßgeblichen Gesichtspunkte sind insbesondere die Rechte und berechtigten Erwartungen der Kunden oder Nutzer, und speziell für den Bereich des Unterrichts der Wunsch von Eltern, dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen. Für die Beurteilung, ob ein wirkliches Bedürfnis besteht, ist es von besonderer Bedeutung, dass der Arbeitgeber nachgewiesen hat, dass ohne eine solche Politik der Neutralität seine unternehmerische Freiheit5 beeinträchtigt würde, da er angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem diese ausgeübt wird, nachteilige Konsequenzen zu tragen hätte. Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass die Ungleichbehandlung geeignet sein muss, die ordnungsgemäße Anwendung dieser Neutralitätspolitik zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird. Schließlich muss das Verbot, ein sichtbares Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, auf das beschränkt sein, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.
In einem dritten Schritt prüft der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Rechtssache C-341/19, ob eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein solches Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst, oder ob ein auf auffällige großflächige Zeichen beschränktes Verbot genügt, sofern es in kohärenter und systematischer Weise durchgesetzt wird.
Hierzu stellt er fest, dass solch ein begrenztes Verbot geeignet ist, Personen, die religiösen oder weltanschaulichen Strömungen anhängen, die das Tragen eines großen Kleidungsstücks oder Zeichens, wie beispielsweise einer Kopfbedeckung, vorsehen, stärker zu beeinträchtigen.
So wird in den Fällen, in denen das Kriterium des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen mit einer oder mehreren bestimmten Religion(en) oder Weltanschauung(en) untrennbar verbunden ist, das von einem Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern auf der Grundlage eines solchen Kriteriums auferlegte Verbot, diese Zeichen zu tragen, zur Folge haben, dass einige Arbeitnehmer wegen ihrer Religion oder Weltanschauung weniger günstig behandelt werden als andere. Dies stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar, die nicht gerechtfertigt werden kann. Für den Fall, dass keine unmittelbare Diskriminierung festgestellt werden sollte, weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Ungleichbehandlung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende dann, wenn erwiesen wäre, dass sie tatsächlich zu einer besonderen Benachteiligung der Personen führt, die einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anhängen, eine mittelbare Diskriminierung darstellen würde, die nur gerechtfertigt sein kann, wenn das Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erfasst.
Er erinnert insoweit daran, dass eine Neutralitätspolitik innerhalb des Unternehmens ein rechtmäßiges Ziel darstellen kann und einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entsprechen muss, wie beispielsweise die Verhinderung sozialer Konflikte oder ein neutrales Auftreten des Arbeitgebers gegenüber den Kunden, um eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen. Eine Politik der Neutralität im Unternehmen kann aber nur dann wirksam verfolgt werden, wenn überhaupt keine sichtbaren Bekundungen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erlaubt sind, wenn die Arbeitnehmer mit Kunden oder untereinander in Kontakt stehen, da das Tragen jedes noch so kleinen Zeichens die Eignung der Regel zur Erreichung des verfolgten Ziels beeinträchtigt. In einem vierten Schritt entscheidet der Gerichtshof, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften6 berücksichtigt werden dürfen.
Insoweit erinnert er als Erstes daran, dass bei der Prüfung, ob die Beschränkung, die sich aus einer Maßnahme zur Gewährleistung einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität ergibt, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 angemessen ist, die verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen sind und dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Anbetracht aller sich aus den betreffenden Akten ergebenden Umstände den beiderseitigen Interessen Rechnung zu tragen und die Beschränkungen der in Rede stehenden Freiheiten auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen. Dadurch kann gewährleistet werden, dass dann, wenn mehrere in den Verträgen verankerte Grundrechte und Grundsätze in Rede stehen, bei der Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die mit dem Schutz der verschiedenen Rechte und Grundsätze verbundenen Anforderungen miteinander in Einklang gebracht werden und dass zwischen ihnen ein angemessenes Gleichgewicht besteht. Als
Zweites stellt es fest, dass der Unionsgesetzgeber es dadurch, dass er in der Richtlinie 2000/78 nicht selbst den erforderlichen Einklang zwischen der Gedanken-, der Weltanschauungs- und der Religionsfreiheit und den rechtmäßigen Zielen, die zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung geltend gemacht werden können, hergestellt hat, sondern es den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten überlassen hat, diesen Einklang herzustellen, erlaubt hat, dem jeweiligen Kontext der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und jedem Mitgliedstaat im Rahmen dieses Ausgleichs einen Wertungsspielraum einzuräumen.
(PM 128/21 v. 15.07.2021)
Kein „forum shopping“ ausländischer Leiharbeitsfirmen: Recht am Sitz der Entleiherfirma gilt
03.06.2021 | Ausstellung der sog. A 1-Bescheinigung über das anzuwendende Arbeitsrecht: „gewöhnlicher Arbeitsort“ setzt nennenswerte Tätigkeit des Leiharbeitsunternehmens in dem Land voraus - keine Wahlmöglichkeit nach "günstigstem" Arbeitsrecht
(EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-784/19)
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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 03.06.2021 (C-784/19) folgendes entschieden:
Um als in einem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ angesehen werden zu können, muss ein Leiharbeitsunternehmen einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Arbeitnehmern für entleihende Unternehmen verrichten, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen und dort tätig sind.
Die Tätigkeit der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern im Mitgliedstaat des Sitzes des Leiharbeitsunternehmens reicht nicht aus, um annehmen zu können, dass dieses Unternehmen dort „nennenswerte Tätigkeiten“ ausübt.
Gründe:
Im Jahr 2018 schloss ein bulgarischer Staatsangehöriger einen Arbeitsvertrag mit Team Power Europe, einer Gesellschaft bulgarischen Rechts, deren Gesellschaftszweck in der Verschaffung von Leiharbeit und der Vermittlung von Arbeitsuchenden in diesem Mitgliedstaat und in anderen Ländern besteht. Aufgrund dieses Vertrags wurde er einem in Deutschland ansässigen entleihenden Unternehmen überlassen. Vom 15. Oktober bis 21. Dezember 2018 hatte er seine Arbeit unter der Leitung und Aufsicht dieses deutschen Unternehmens zu verrichten.
Da die Einnahmenverwaltung der Stadt Varna der Ansicht war, dass zum einen die direkte Bindung zwischen Team Power Europe und dem fraglichen Arbeitnehmer nicht aufrechterhalten worden sei und zum anderen dieses Unternehmen keine nennenswerte Tätigkeit im bulgarischen Hoheitsgebiet ausübe, lehnte sie den Antrag von Team Power Europe auf Ausstellung einer sog. A 1- Bescheinigung ab, mit der bescheinigt werden sollte, dass die bulgarischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit während des Zeitraums der Überlassung dieses Arbeitnehmers anwendbar seien. Die Situation dieses Arbeitnehmers fiel nach Auffassung der Einnahmenverwaltung nicht in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/20041, wonach die bulgarischen Rechtsvorschriften anwendbar gewesen wären.
Der von Team Power Europe gegen diese Entscheidung der Einnahmenverwaltung eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen. Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien), bei dem eine Klage auf Aufhebung der Zurückweisung dieses Widerspruchs anhängig ist, beschlossen, den Gerichtshof nach den maßgebenden Kriterien zu fragen, die zu berücksichtigen sind, um zu beurteilen, ob ein Leiharbeitsunternehmen im Sinne von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/20092 , durch den Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 präzisiert wird, gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats seines Sitzes ausübt. Von der Erfüllung dieser Voraussetzung durch Team Power Europa hängt nämlich die Anwendbarkeit der letztgenannten Bestimmung in der vorliegenden Rechtssache ab.
In seinem Urteil hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Leiharbeitsunternehmen die Tragweite des in dieser Bestimmung enthaltenen und in Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 präzisierten Begriffs des Arbeitgebers, der in einem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig ist“, erläutert.
Würdigung durch den Gerichtshof:
Der Gerichtshof hat zunächst eine wörtliche Auslegung des genannten Art. 14 Abs. 2 vorgenommen und festgestellt, dass ein Leiharbeitsunternehmen dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine Reihe von Tätigkeiten ausübt, die in der Auswahl, der Einstellung und der Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen bestehen.
In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass zwar die Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern nicht als „reine interne Verwaltungstätigkeiten“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden können, dass aber die Ausübung dieser Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat, in dem ein solches Unternehmen ansässig ist, nicht ausreicht, um annehmen zu können, dass es dort „nennenswerte Tätigkeiten“ ausübt. Einziger Zweck der Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern ist nämlich deren spätere Überlassung an entleihende Unternehmen.
Der Gerichtshof hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Auswahl und die Einstellung von Leiharbeitnehmern zwar dazu beitragen, den von einem Leiharbeitsunternehmen erzielten Umsatz zu generieren, da diese Tätigkeiten eine unerlässliche Voraussetzung für die spätere Überlassung solcher Arbeitskräfte sind, dass dieser Umsatz tatsächlich aber nur durch die Überlassung dieser Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen in Erfüllung der zu diesem Zweck mit diesen Unternehmen geschlossenen Verträge erwirtschaftet wird. Denn die Einkünfte eines Leiharbeitsunternehmens hängen von der Höhe der Vergütung ab, die den Leiharbeitnehmern, die entleihenden Unternehmen überlassen wurden, gezahlt wird.
Was sodann den Zusammenhang betrifft, in dem die in Rede stehende Bestimmung steht, hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Fall, dass ein Arbeitnehmer, der zur Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, wonach eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Folglich ist die Bestimmung, die einen solchen Fall regelt, eng auszulegen.
Unter diesem Blickwinkel kann diese Ausnahme nicht auf ein Leiharbeitsunternehmen angewandt werden, das im Mitgliedstaat seines Sitzes in keiner oder allenfalls in zu vernachlässigender Weise diese Arbeitnehmer an ebenfalls dort ansässige entleihende Unternehmen überlässt. Im Übrigen stützen die Definitionen der Begriffe „Leiharbeitsunternehmen“ und „Leiharbeitnehmer“ in der Richtlinie 2008/1044 , da sie den Zweck der Tätigkeit eines Leiharbeitsunternehmens zum Ausdruck bringen, ebenfalls die Auslegung, dass bei einem solchen Unternehmen nur dann angenommen werden kann, dass es in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, „nennenswerte Tätigkeiten“ ausübt, wenn es dort in nennenswertem Umfang Tätigkeiten der Überlassung dieser Arbeitnehmer für im selben Mitgliedstaat tätige entleihende Unternehmen ausübt.
Was schließlich das mit der in Rede stehenden Bestimmung verfolgte Ziel betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 enthaltene Ausnahme, die einen Vorteil für Unternehmen darstellt, die von der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs Gebrauch machen, nicht von Leiharbeitsunternehmen beansprucht werden kann, die ihre Tätigkeiten der Überlassung von Leiharbeitnehmern ausschließlich oder hauptsächlich auf einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten als den ihres Sitzes ausrichten. Die gegenteilige Lösung könnte für diese Leiharbeitsunternehmen einen Anreiz für ein „forum shopping“ schaffen, indem sie sich in dem Mitgliedstaat niederlassen würden, dessen Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit für sie am günstigsten wären. Auf längere Sicht könnte eine solche Lösung zu einer Verringerung des von den Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten gebotenen Schutzniveaus führen.
Der Gerichtshof hat zudem hervorgehoben, dass die Gewährung dieses Vorteils an solche Unternehmen zwischen den verschiedenen möglichen Beschäftigungsbedingungen eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten des Einsatzes von Leiharbeit gegenüber Unternehmen erzeugen würde, die ihre Arbeitnehmer direkt einstellen, die dann dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem sie arbeiten, angeschlossen wären.
Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Leiharbeitsunternehmen nur dann als in diesem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ angesehen werden kann, wenn es einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern für entleihende Unternehmen ausübt, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen und dort tätig sind.
(PM 92/21)
Compliance-Verstöße: Arbeitnehmer hat Ermittlungskosten grundsätzlich zu ersetzen
(BAG, Urteil vom 29.04.2021 - 8 AZR 276/20) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.04.2021 (8 AZR 276/20) folgendes entschieden:
Sofern ein konkreter Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers vorliegt, gehören auch die zur Abwendung drohender Nachteile notwendigen Aufwendungen des Geschädigten zu dem nach § 249 BGB zu ersetzenden Schaden. Die Grenze der Ersatzpflicht richtet sich nach dem, was ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich getan haben würde.
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch darüber, ob der Kläger der Beklagten zum Ersatz von Anwaltskosten iHv. 66.500,00 Euro für Ermittlungen im Zusammenhang mit Vorwürfen des Spesenbetrugs, des Abrechnungsbetrugs und von Compliance-Verstößen verpflichtet ist.
Der Kläger war bei der Beklagten als Leiter des Zentralbereichs Einkauf und Mitglied einer Führungsebene zu einem Jahresbruttogehalt iHv. zuletzt ca. 450.000,00 Euro tätig. Nachdem bei der Beklagten mehrere anonyme Verdachtsmeldungen wegen eventueller Compliance-Verstöße des Klägers eingegangen waren, traf das bei dieser zuständige Gremium die Entscheidung, eine Untersuchung unter Einschaltung einer auf die Durchführung von Compliance-Ermittlungen spezialisierten Anwaltskanzlei durchzuführen. Die Kanzlei legte einen Untersuchungsbericht vor, nach dem der Kläger ua. auf Kosten der Beklagten Personen ohne dienstliche Veranlassung zum Essen eingeladen sowie gegenüber der Beklagten Reisekosten für von ihm unternommene Fahrten zu Champions-League-Spielen des FC Bayern München abgerechnet hatte. Die Tickets für die Spiele hatte der Kläger auf Anforderung von Geschäftspartnern der Beklagten erhalten. Die Anwaltskanzlei stellte der Beklagten für ihre Tätigkeit ausgehend von einem Stundenhonorar iHv. 350,00 Euro insgesamt 209.679,68 Euro in Rechnung.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich wegen Verstoßes gegen das sog. Schmiergeldverbot, Abrechnung privater Auslagen auf Kosten der Beklagten und mehrfachen Spesenbetrugs. Gegen die Kündigung hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, die rechtskräftig abgewiesen wurde.
Mit ihrer Widerklage hat die Beklagte den Kläger auf Ersatz der ihr von der Anwaltskanzlei in Rechnung gestellten Ermittlungskosten in Anspruch genommen und dies damit begründet, der Kläger habe diese Kosten nach den vom Bundesarbeitsgericht für die Erstattung von Detektivkosten aufgestellten Grundsätzen zu ersetzen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch stehe die Regelung in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entgegen. Zudem habe die Beklagte die Erforderlichkeit der Kosten nicht dargetan.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und der Beklagten 66.500,00 Euro zugesprochen. Es hat angenommen, die Beklagte könne die Kosten ersetzt verlangen, die ihr durch die Tätigkeit der Anwaltskanzlei bis zum Ausspruch der Kündigung entstanden seien. Mit der Revision begehrt der Kläger die vollständige Abweisung der Widerklage.
Die Revision des Klägers war vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich. Zwar kann ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die durch das Tätigwerden einer spezialisierten Anwaltskanzlei entstandenen notwendigen Kosten ersetzt verlangen, wenn er die Anwaltskanzlei anlässlich eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers mit Ermittlungen gegen diesen beauftragt hat und der Arbeitnehmer einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Sofern ein konkreter Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers vorliegt, gehören auch die zur Abwendung drohender Nachteile notwendigen Aufwendungen des Geschädigten zu dem nach § 249 BGB zu ersetzenden Schaden. Die Grenze der Ersatzpflicht richtet sich nach dem, was ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich getan haben würde. Dem steht § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, der als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen, sondern auch einen materiellen Kostenerstattungsanspruch ausschließt, nicht entgegen. Diese Bestimmung findet in einem solchen Fall keine Anwendung.
Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass die von ihr geltend gemachten Kosten erforderlich waren. Es fehlt an einer substantiierten Darlegung, welche konkreten Tätigkeiten bzw. Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Kläger von der beauftragten Anwaltskanzlei ausgeführt wurden.
(PM Nr. 11/21)
Arbeitszeit bzw. Ruhezeit: nur ein „Entweder-oder“ möglich
(EuGH, Urteil vom 17.03.2021 – C-585/19) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17.03.2021 (C 585/19) folgendes entschieden:
Hat ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen, gilt die tägliche Mindestruhezeit für die Verträge zusammen genommen und nicht für jeden der Verträge für sich genommen.
Die Academia de Studii Economice din Bucureşti (ASE) (Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge Bukarest, Rumänien) erhielt eine von den rumänischen Behörden gewährte nicht rückzahlbare europäische Finanzierung für die Durchführung eines sektoriellen operationellen Programms zur Personalentwicklung mit dem Titel „Leistung und Exzellenz in der Postdoktoranden-Forschung in den Wirtschaftswissenschaften in Rumänien“.
Am 4. Juni 2018 belastete das Ministerul Educaţiei Naţionale (Ministerium für Bildung, Rumänien) die ASE mit einer Haushaltsforderung in Höhe von 13.490,42 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 2.800 Euro), die Gehaltskosten für Arbeitnehmer der Arbeitsgruppe zur Durchführung des Projekts entsprach. Die diesen Kosten entsprechenden Beträge wurden für nicht erstattungsfähig erklärt, weil die Höchststundenzahl (13 Stunden), die diese Arbeitnehmer täglich arbeiten können, überschritten worden war.
In der Zeit von Oktober 2012 bis Januar 2013 hätten bei der ASE beschäftigte Sachverständige nämlich aufgrund von mehreren Arbeitsverträgen an bestimmten Tagen die im Rahmen der Regelarbeitszeit gearbeiteten Stunden, d. h. 8 Stunden pro Tag, mit den im Rahmen des Projekts oder im Rahmen von anderen Projekten oder Tätigkeiten gearbeiteten Stunden kumuliert. Die Gesamtzahl der pro Tag geleisteten Arbeitsstunden habe für diese Sachverständigen die in den Anweisungen der das Projekt verwaltenden Behörde vorgesehene Obergrenze von 13 Stunden pro Tag überschritten.
Das mit der Rechtssache befasste Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest) fragt den Gerichtshof, ob die in Art. 3 der Arbeitszeitrichtlinie2 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammen genommen oder für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.
Mit seinem Urteil vom heutigen Tage weist der Gerichtshof erstens darauf hin, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf ‒ insbesondere tägliche ‒ Ruhezeiten, nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ausdrücklich verbürgt ist.
Der Gerichtshof führt insoweit aus, dass die Arbeitszeitrichtlinie den Begriff „Arbeitszeit“ definiert als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit „jedem Arbeitnehmer“ pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.
Im Übrigen ist die „Ruhezeit“ als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit definiert. „Ruhezeit“ und „Arbeitszeit“ sind somit Begriffe, die einander ausschließen, und die Arbeitszeitrichtlinie sieht keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor.
Die Anforderung der Arbeitszeitrichtlinie, dass jedem Arbeitnehmer täglich mindestens elf zusammenhängende Ruhestunden gewährt werden, kann jedoch nicht erfüllt werden, wenn diese Ruhezeiten für jeden Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getrennt geprüft werden.
In einem solchen Fall könnten die Stunden, die im Rahmen eines Vertrags als Ruhezeiten angesehen werden, nämlich, wie in der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssache, im Rahmen eines anderen Vertrags Arbeitszeiten darstellen. Da jedoch ein und derselbe Zeitraum nicht gleichzeitig als Arbeitszeit und als Ruhezeit eingestuft werden kann, sind die Arbeitsverträge, die ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossen hat, folglich zusammen zu prüfen.
Diese Auslegung wird auch durch das Ziel der Richtlinie bestätigt, das darin besteht, Mindestvorschriften festzulegen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Mit diesem Ziel soll ein besserer Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleistet werden, indem diesen – u. a. tägliche – Mindestruhezeiten gewährt werden.
Der Gerichtshof ist daher der Ansicht, dass die tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammen genommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.
(PM 41/21 v. 17.03.2021)
Rufbereitschaft: dann Arbeitszeit, wenn Freizeit-Einschränkungen „ganz erheblich"
(EuGH, Urteile vom 09.03.2021 - C-580/19 u.a.) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteilen vom 09.03.2021 (Rechtssachen C-580/19 u.a., RJ ./. Stadt Offenbach am Main u.a.) folgendes entschieden:
Eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft stellt nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit dar, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, während dieser Zeit seine Freizeit zu gestalten, ganz erheblich beeinträchtigen. Organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen kann, sind unerheblich.
In der Rechtssache C-580/19 war ein Beamter in der Stadt Offenbach am Main (Deutschland) als Feuerwehrmann tätig. Neben seiner regulären Dienstzeit musste er regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft leisten. Während dieser Zeiten war er nicht verpflichtet, sich an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten, musste aber erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen.
In der Rechtssache C-344/19 war ein spezialisierter Techniker damit betraut, während mehrerer aufeinanderfolgender Tage den Betrieb von Fernsehsendeanlagen in den slowenischen Bergen sicherzustellen. Neben seinen zwölf Stunden regulärer Arbeitszeit leistete er täglich sechs Stunden Bereitschaftsdienst in Form von Rufbereitschaft. Während dieser Zeiträume war er nicht verpflichtet, in der betreffenden Sendeanlage zu bleiben, musste aber telefonisch erreichbar und in der Lage sein, erforderlichenfalls innerhalb einer Stunde dorthin zurückzukehren. De facto war er in Anbetracht der geografischen Lage der schwer zugänglichen Sendeanlagen gezwungen, sich während seiner Bereitschaftsdienste ohne große Freizeitmöglichkeiten in einer von seiner Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufzuhalten.
Die beiden Betroffenen waren der Ansicht, dass ihre in Form von Rufbereitschaft geleisteten Bereitschaftszeiten aufgrund der mit ihnen verbundenen Einschränkungen in vollem Umfang als Arbeitszeit anzuerkennen und entsprechend zu vergüten seien, unabhängig davon, ob sie während dieser Zeiten tatsächlich tätig waren. Der erste Betroffene erhob Klage beim Verwaltungsgericht Darmstadt (Deutschland), nachdem sein Arbeitgeber seinem Antrag nicht entsprochen hatte. Der zweite Betroffene legte, nachdem seine Klage in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden war, Revision beim Vrhovno sodisce (Oberster Gerichtshof, Slowenien) ein.
Der Gerichtshof, der mit zwei Vorabentscheidungsersuchen dieser Gerichte befasst ist, stellt in zwei Urteilen der Großen Kammer insbesondere klar, inwieweit Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.
Würdigung durch den Gerichtshof:
Einleitend weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen ist, da beide Begriffe einander ausschließen. Außerdem stellt eine Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer tatsächlich keine Tätigkeit für seinen Arbeitgeber ausübt, nicht zwangsläufig eine „Ruhezeit“ dar.
So geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs insbesondere hervor, dass eine Bereitschaftszeit automatisch als „Arbeitszeit“ einzustufen ist, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit verpflichtet ist, an seinem Arbeitsplatz, der nicht mit seiner Wohnung identisch ist, zu bleiben und sich dort seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu halten.
Nach diesen Klarstellungen entscheidet der Gerichtshof erstens, dass Bereitschaftszeiten, einschließlich Zeiten in Form von Rufbereitschaft, auch dann in vollem Umfang unter den Begriff „Arbeitszeit“ fallen, wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeiten auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt ist, wenn es keine solchen Einschränkungen gibt, nur die Zeit als „Arbeitszeit“ anzusehen, die mit der gegebenenfalls tatsächlich während solcher Bereitschaftszeiten erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist.
Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass bei der Beurteilung, ob eine Bereitschaftszeit „Arbeitszeit“ darstellt, nur Einschränkungen berücksichtigt werden können, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Dagegen sind organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen kann, unerheblich. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Gebiet, das der Arbeitnehmer während einer Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft praktisch nicht verlassen kann, nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten bietet.
Außerdem hebt der Gerichtshof hervor, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, um zu prüfen, ob eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft als „Arbeitszeit“ einzustufen ist; dies ist nämlich, wenn keine Verpflichtung besteht, am Arbeitsplatz zu bleiben, nicht automatisch der Fall.
Zu diesem Zweck ist zum einen zu berücksichtigen, ob die Frist sachgerecht ist, innerhalb deren der Arbeitnehmer nach der Aufforderung durch seinen Arbeitgeber die Arbeit aufzunehmen hat, wozu er sich in der Regel an seinen Arbeitsplatz begeben muss. Die Folgen einer solchen Frist sind jedoch anhand des konkreten Falls zu beurteilen, wobei nicht nur weitere dem Arbeitnehmer auferlegte Einschränkungen wie die Verpflichtung, mit einer speziellen Ausrüstung am Arbeitsplatz zu erscheinen, zu berücksichtigen sind, sondern auch ihm gewährte Erleichterungen. Solche Erleichterungen können beispielsweise in der Bereitstellung eines Dienstfahrzeugs bestehen, mit dem von Sonderrechten gegenüber der Straßenverkehrsordnung Gebrauch gemacht werden kann. Zum anderen müssen die nationalen Gerichte die durchschnittliche Häufigkeit der von einem Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeiten geleisteten Einsätze berücksichtigen, sofern insoweit eine objektive Schätzung möglich ist.
Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die Art und Weise der Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten nicht der Richtlinie 2003/88 unterliegt. Sie steht daher der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, eines Tarifvertrags oder einer Entscheidung des Arbeitgebers nicht entgegen, wonach bei der Vergütung Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ anzusehen sind. Umgekehrt steht es der Richtlinie 2003/88 ebenfalls nicht entgegen, wenn Bereitschaftszeiten, die nicht als „Arbeitszeit“ eingestuft werden können, in Form der Zahlung eines zum Ausgleich der dem Arbeitnehmer durch sie verursachten Unannehmlichkeiten dienenden Betrags vergütet werden.
Drittens führt der Gerichtshof aus, dass die Einstufung einer nicht als „Arbeitszeit“ anzusehenden Bereitschaftszeit als „Ruhezeit“ die besonderen Pflichten unberührt lässt, die den Arbeitgebern nach der Richtlinie 89/3912 obliegen. Insbesondere dürfen die Arbeitgeber keine Bereitschaftszeiten einführen, die so lang oder so häufig sind, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen, unabhängig davon, ob sie als „Ruhezeiten“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.
(PM 35/21 v. 09.03.2021)
Kein gleiches Gehalt trotz gleichwertiger Arbeit: Schadensersatz
(BAG, Urteil vom 21.01.2021 - 8 AZR 488/19) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.01.2021 (8 AZR 488/19) folgendes entschieden:
Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson, regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Sie erhielt im August 2018 von der Beklagten eine Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG, aus der ua. das Vergleichsentgelt der bei der Beklagten beschäftigten männlichen Abteilungsleiter hervorgeht. Angegeben wurde dieses entsprechend den Vorgaben von § 11 Abs. 3 EntgTranspG als "auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median" des durchschnittlichen monatlichen übertariflichen Grundentgelts sowie der übertariflichen Zulage (Median-Entgelte). Das Vergleichsentgelt liegt sowohl beim Grundentgelt als auch bei der Zulage über dem Entgelt der Klägerin.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte u.a. auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, es lägen schon keine ausreichenden Indizien iSv. § 22 AGG vor, die die Vermutung begründeten, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Aus der von der Beklagten erteilten Auskunft ergibt sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson. Nach den Vorgaben des EntgTranspG liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts dieses Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit erhält. Die Klägerin hat gegenüber der ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichsperson eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG erfahren, denn ihr Entgelt war geringer als das der Vergleichsperson gezahlte. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts begründet dieser Umstand zugleich die - von der Beklagten widerlegbare - Vermutung, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung "wegen des Geschlechts" erfahren hat.
Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt hat. Zugleich ist den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.
(PM 1/21)
Bereitschaftsdienst und Pflicht zum Freizeitausgleich
(OVG Münster, Urteil vom 13.02.2020 - 1 A 1512/18 u.a.) mehr
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteilen vom 13.02.2020 (1 A 1512/18 u.a.) folgendes entschieden:
Die Ruhezeiten, die für die Einsatzkräfte der Bundespolizei anlässlich des G7-Gipfels in Schloss Elmau und der anschließenden Bilderberg-Konferenz in Österreich in den Dienstplänen festgesetzt waren, sind arbeitszeitrechtlich als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren und dementsprechend mit Freizeit auszugleichen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster mit heute verkündeten Urteilen entschieden.
Die Kläger aus Hannover, Solingen, Mönchengladbach, Langenhahn, Neuwied und Garbsen waren als Bundespolizisten im Zeitraum vom 27. Mai 2015 bis zum 14. Juni 2015 anlässlich des G7-Gipfels und der Bilderberg-Konferenz eingesetzt. Für die Dauer dieser Einsätze waren sie in Hotels untergebracht, wo sie auch während der in den Dienstplänen ausgewiesenen Ruhezeiten möglichst geschlossen verbleiben sollten. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland lehnte die Anträge der Kläger ab, die Ruhezeiten als Bereitschaftszeiten anzurechnen und hierfür Freizeitausgleich zu gewähren. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Kläger hatten Erfolg.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, den Klägern stehe der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung weiteren Freizeitausgleichs zu, weil die Ruhezeiten tatsächlich Bereitschaftsdienst gewesen seien. Die Kläger hätten sich auch während dieser Zeiten grundsätzlich in der vom Dienstherrn zugewiesenen Unterkunft aufhalten und sich dort für mögliche Einsätze bereithalten müssen. Die Kläger hätten auch mit solchen Einsätzen rechnen müssen. Die Anweisung, das Hotelgelände allenfalls nach vorheriger Genehmigung zu verlassen, erforderliche Ausrüstung wie beispielsweise Dienstwaffen und Munition bei sich zu führen, ununterbrochen erreichbar zu sein und keinen Alkohol zu sich zu nehmen, habe gerade ermöglichen sollen, die Beamten im Bedarfsfall jederzeit unverzüglich zum Volldienst heranziehen zu können.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
(PM v. 13.02.2020)
Aufklärungspflichten des Arbeitgebers im Einzelfall
(BAG, Urteil vom 18.02.2020 - 3 AZR 206/18) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.02.2020 (3 AZR 206/18) folgendes entschieden:
Der Arbeitgeber hat zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.
Der im Jahr 2014 in den Ruhestand getretene Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Vor dem Hintergrund des zu Beginn des Jahres 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) schloss die Beklagte mit einer Pensionskasse einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung. Im April 2003 nahm der Kläger an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkasse die Arbeitnehmer der Beklagten über Chancen und Möglichkeiten der Entgeltumwandlung als Vorsorge über die Pensionskasse informierte. Der Kläger schloss im September 2003 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit Kapitalwahlrecht ab. Anfang 2015 ließ er sich seine Pensionskassenrente als Einmalkapitalbetrag auszahlen. Für diesen muss der Kläger aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichten.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn vor Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung über das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Beitragspflicht auch für Einmalkapitalleistungen informieren müssen. In diesem Fall hätte er eine andere Form der Altersvorsorge gewählt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.
Es kann offenbleiben, ob den Arbeitgeber nach - überobligatorisch - erteilten richtigen Informationen über betriebliche Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung überhaupt weitere Hinweispflichten auf bis zum Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung erfolgende Gesetzesänderungen oder entsprechende Gesetzesvorhaben, die zulasten der Arbeitnehmer gehen, treffen. Jedenfalls setzte eine solche Verpflichtung voraus, dass der Arbeitnehmer konkret über diejenigen Sachverhalte informiert worden ist, die durch die (geplante) Gesetzesänderung zu seinen Lasten geändert wurden. Dies traf im vorliegenden Verfahren nicht zu. Auf der Betriebsversammlung ist über Beitragspflichten zur Sozialversicherung nicht unterrichtet worden. Daher konnte auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagten das Verhalten des Fachberaters der Sparkasse zuzurechnen ist.
(PM 8/20)
Ständige Erreichbarkeit: Feuerwehrleute erhalten Ausgleich
(Niedersächsisches OVG - 5 LB 49/18 u.a.) mehr
Der 5. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteilen vom 11.03.2020 (5 LB 49/18 u.a.) folgendes entschieden:
Den Klagen von 12 Berufsfeuerwehrleuten der Stadt Oldenburg wird vollumfänglich, den Klagen von 5 Berufsfeuerwehrleuten der Stadt Osnabrück wird teilweise stattgegeben. Die beklagten Städte werden verurteilt, den Feuerwehrleuten eine finanzielle Entschädigung oder Freizeitausgleich für geleisteten Bereitschaftsdienst zu gewähren.
Die Kläger dieser Verfahren sind aktive bzw. pensionierte Beamte der Berufsfeuerwehr der Städte Oldenburg und Osnabrück. Sie leisteten außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit sogenannte Führungsdienste, die im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet waren, denen aber gemeinsam ist, dass sich die Betreffenden außerhalb der Feuer-/Rettungswache für einen möglichen Einsatz bereit zu halten hatten. Sie waren während der in Rede stehenden Zeiten mit einem dienstlichen Mobiltelefon, einem Funkalarmempfänger und einem dienstlichen Einsatzfahrzeug ausgestattet, um ihre Erreichbarkeit und im Alarmierungsfall ihre Dienstaufnahme am jeweiligen Einsatzort zu gewährleisten.
Die beklagten Städte stuften die entsprechenden Dienste als „Rufbereitschaft“ (= dienstfreie Zeit) ein und glichen diese auf der Grundlage einer pauschalen Berücksichtigung von 12,5 Prozent der entsprechenden Stunden entweder durch die Gewährung von Freizeit oder durch die Zahlung einer finanziellen Entschädigung aus, wobei die tatsächlichen Einsatzzeiten vollumfänglich als Dienstzeit angerechnet wurden.
Hiergegen haben sich die Kläger gewandt und mit ihren bei den Verwaltungsgerichten Oldenburg und Osnabrück erhobenen Klagen begehrt, die entsprechenden Stunden vollumfänglich als Arbeitszeit anzuerkennen und entsprechend durch Freizeit bzw. finanziell auszugleichen.
Die Verwaltungsgerichte Oldenburg und Osnabrück hatten die Klagen mit Urteilen vom 15. Juni 2016 bzw. vom 10. Februar/2. Mai 2017 abgewiesen und zur Begründung u. a. darauf abgestellt, es habe sich bei den in Rede stehenden Tätigkeiten um (Hintergrund-)Dienste gehandelt, in denen erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme nicht zu rechnen gewesen sei und die die Betreffenden außerhalb der Feuer-/Rettungswache in ihrem privaten Bereich hätten wahrnehmen können. Deshalb seien die jeweiligen Feuerwehrleute durch die in Rede stehenden Dienste nicht in einem solchen Maß belastet gewesen, dass diese Dienste der Arbeitszeit zugerechnet werden könnten.
Dem ist der 5. Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2018 (Az. C-518/15) im Falle der Klagen der 12 aktiven bzw. pensionierten Feuerwehrleuten aus Oldenburg nicht gefolgt und hat die beklagte Stadt verurteilt, ihnen eine finanzielle Entschädigung zu gewähren. Das "Sich-Bereit-Halten" ist wie Arbeitszeit zu werten; es handelt sich nicht bloß um "Rufbereitschaft". Den Klagen von 5 aktiven bzw. zwischenzeitlich pensionierten Feuerwehrleuten der Stadt Osnabrück hat der Senat hingegen nur teilweise stattgegeben. Aufgrund der Änderung der Ausgestaltung der Dienste ab dem 1. Oktober 2014 handele es sich bei diesen Zeiten des Sich-Bereit-Haltens nicht um Arbeitszeit, bei den Zeiten davor jedoch schon.
Die Revision gegen die Urteile hat der Senat nicht zugelassen.
(PM v. 13.03.2020)
Arbeitgeber im internationalen Lkw-Verkehr: tatsächliche Umstände maßgeblich
(EuGH, Urteil vom 16.07.2020 - C-610/18 AFMB u. a. / Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 16.07.2020 (C-160/18, AFMB u. a.) folgendes entschieden:
Im Sinne der Verordnungen Nr. 1408/711 und Nr. 883/20042 ist Arbeitgeber eines im internationalen Güterkraftverkehr tätigen Lkw-Fahrers dasjenige Unternehmen, das diesem Lkw-Fahrer gegenüber tatsächlich weisungsbefugt ist, das in Wirklichkeit die entsprechenden Lohnkosten trägt und das tatsächlich befugt ist, ihn zu entlassen, nicht aber das Unternehmen, mit dem dieser Lkw-Fahrer einen Arbeitsvertrag geschlossen hat und das in diesem Vertrag formal als Arbeitgeber des Fahrers angegeben ist.
Im Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens hatte die AFMB Ltd, eine in Zypern gegründete Gesellschaft, mit in den Niederlanden ansässigen Transportunternehmen Verträge geschlossen, in denen sie sich gegen Zahlung einer Provision verpflichtete, die Verwaltung der Lastkraftwagen dieser Unternehmen für deren Rechnung und auf deren Gefahr zu übernehmen. Sie hatte ferner mit im internationalen Güterkraftverkehr tätigen Lkw-Fahrern mit Wohnsitz in den Niederlanden Arbeitsverträge geschlossen, in denen sie als Arbeitgeber dieser Arbeitnehmer bezeichnet wurde. Die betroffenen Lkw-Fahrer waren für Rechnung der Transportunternehmen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder auch in einem oder mehr Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) tätig.
AFMB und die Fahrer wandten sich gegen Entscheidungen des Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank (Verwaltungsrat der Sozialversicherungsanstalt, Niederlande) (im Folgenden: Svb), mit denen die Rechtsvorschriften der Niederlande auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für auf diese Fahrer anwendbar erklärt wurden. Nach Ansicht der Svb waren nämlich allein die in den Niederlanden niedergelassenen Transportunternehmen als Arbeitgeber dieser Fahrer einzustufen, so dass die niederländischen Rechtsvorschriften anwendbar seien, während AFMB und die Fahrer die Auffassung vertraten, dass AFMB als Arbeitgeber einzustufen sei und dass, da sie in Zypern ansässig sei, die zyprischen Rechtsvorschriften gälten.
In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht unter Hinweis auf die entscheidende Bedeutung dieses Punktes für die Ermittlung der anwendbaren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit den Gerichtshof um Klärung der Frage ersucht, wer – Transportunternehmen oder AFMB – als „Arbeitgeber“ der betroffenen Fahrer anzusehen.
Nach den Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 883/2004 unterliegen nämlich Personen wie die in Rede stehenden Fahrer, die in zwei oder mehr Mitgliedstaaten tätig sind, ohne überwiegend im Gebiet des Mitgliedstaats beschäftigt zu sein, in dem sie wohnen, im Bereich der sozialen Sicher-heit den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 883/2004 für die Bestimmung des Bedeutungsgehalts der Begriffe „Arbeitgeber“ und „Personal“ nicht auf nationale Rechtsvorschriften oder Praktiken verweisen. Daher ist eine autonome und einheitliche Auslegung dieses Begriffs geboten, die nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Regelungszusammenhang und den mit der fraglichen Regelung verfolgten Zweck berücksichtigt.
Was den Wortlaut und den Zusammenhang betrifft, hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass die Beziehung zwischen einem „Arbeitgeber“ und dessen „Personal“ mit dem Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen diesen beiden einhergeht. Zum anderen hat er darauf hin-gewiesen, dass der objektiven Situation, in der sich der betreffende Arbeitnehmer befindet, und allen Umständen seiner Beschäftigung Rechnung zu tragen ist. Insoweit kann zwar der Abschluss eines Arbeitsvertrags ein Indiz für das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses sein, doch erlaubt dieser Umstand allein nicht den Schluss auf das Bestehen eines solchen Verhältnisses. Für einen solchen Schluss sind nämlich nicht nur die formal im Arbeitsvertrag enthaltenen Informationen zu berücksichtigen, sondern auch die Art und Weise, in der die Pflichten des Arbeitnehmers und des betreffenden Unternehmens praktisch erfüllt werden. Unabhängig vom Wortlaut der Vertragsunterlagen ist es daher notwendig, die Stelle zu ermitteln, der der Arbeitnehmer tatsächlich untersteht, die in Wirklichkeit die entsprechenden Lohnkosten zu tragen hat und die tatsächlich befugt ist, diesen Arbeitnehmer zu entlassen.
Nach Auffassung des Gerichtshofs würde eine Auslegung, die ausschließlich auf formale Erwägungen wie den Abschluss eines Arbeitsvertrags gestützt wäre, den Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, den Ort zu verlegen, der für die Bestimmung der anwendbaren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit als maßgebend anzusehen ist, ohne dass eine solche Verlegung tatsächlich mit dem mit den Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 883/2004 verfolgten Ziel der Gewährleistung der wirksamen Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Einklang stünde. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das mit diesen Verordnungen geschaffene System zwar lediglich die Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit unterstützen soll, ist jedoch der Ansicht, dass der mit ihnen verfolgte Zweck gefährdet werden könnte, wenn die Auslegung darauf hinausliefe, es den Unternehmen zu erleichtern, sich rein künstlicher Konstruktionen zu bedienen, um die unionsrechtliche Regelung allein zu dem Zweck zu nutzen, die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Systemen auszunutzen.
Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Fahrer offenbar zum Personal der Transportunternehmen gehörten und diese Unternehmen ihre Arbeitgeber waren, so dass auf sie die niederländischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit anwendbar sein dürften, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist. Diese Fahrer waren nämlich vor Abschluss der Arbeitsverträge mit AFMB von den Transportunternehmen selbst ausgewählt worden und haben nach Abschluss dieser Verträge ihre Tätigkeit für Rechnung und auf Gefahr dieser Unternehmen ausgeübt. Darüber hinaus wurde die tatsächliche Lohnbelastung über die an AFMB gezahlte Provision von den Transportunternehmen getragen. Die Transportunternehmen waren schließlich offenbar tatsächlich zur Entlassung befugt, und einige der Fahrer waren vor Abschluss der Arbeitsverträge mit AFMB bereits bei diesen Unternehmen beschäftigt.
(PM Nr. 93/20 v. 16.07.2020)
"Arbeitsvorgang": Zusammenfassung zu einer Einheit möglich
(BAG, Urteil vom 09.09.2020 - 4 AZR 195/20) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 09.09.2020 (4 AZR 195/20) folgendes entschieden:
Die Tätigkeit einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit bei einem Amtsgericht erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe 9a Fallgruppe 2 Teil II Abschnitt 12.1 der Entgeltordnung zum TV-L (TV-L EntgeltO), wenn innerhalb von Arbeitsvorgängen, die mindestens die Hälfte der Gesamtarbeitszeit ausmachen, schwierige Tätigkeiten in rechtlich erheblichem Ausmaß erbracht werden müssen. Dabei kann auch die gesamte Tätigkeit der Beschäftigten aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang bestehen. Maßgeblich für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist allein das Arbeitsergebnis, nicht die tarifliche Wertigkeit der Einzeltätigkeiten.
Die Klägerin ist ausgebildete Justizfachangestellte. Ihr ist die Tätigkeit einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit im Sachgebiet Verkehrsstrafsachen an einem Amtsgericht übertragen worden. Nach einer durch das beklagte Land erstellten Beschreibung des Aufgabenkreises hat die Klägerin insgesamt zu 25,17 vH ihrer Gesamtarbeitszeit schwierige Tätigkeiten im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO auszuüben.
Das beklagte Land ist hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin von elf Arbeitsvorgängen ausgegangen. Jede Einzeltätigkeit, die in der Protollerklärung Nr. 3 aufgeführt ist, hat es als eigenen Arbeitsvorgang angesehen und daher die Klägerin nach Entgeltgruppe 6 TV-L vergütet. Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre Tätigkeit bestehe lediglich aus einem Arbeitsvorgang, innerhalb dessen sie in rechtserheblichem Ausmaß schwierige Tätigkeiten auszuüben habe. Deshalb stehe ihr eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a TV-L (bis zum 31. Dezember 2018 Entgeltgruppe 9 TVL) zu. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Klage ist begründet. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe 9a TV-L EntgeltO. Alle Tätigkeiten in der Serviceeinheit sind ihr einheitlich zugewiesen und führen zu einem Arbeitsergebnis. Sie stellen deshalb lediglich einen Arbeitsvorgang dar, innerhalb dessen die Klägerin in rechtserheblichem Ausmaß schwierige Tätigkeiten erbringt.
Der Senat hält an seiner seit dem Jahr 2013 bestehenden Rechtsprechung zur Bestimmung und Bewertung von Arbeitsvorgängen fest. Danach kann die gesamte Tätigkeit einen einheitlichen Arbeitsvorgang bilden. Auch Tätigkeiten mit unterschiedlicher tariflicher Wertigkeit können, wenn sie zu einem einheitlichen Arbeitsergebnis führen, zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden. Bei der Bewertung der Arbeitsvorgänge genügt es für die Erfüllung der tariflichen Anforderung der "schwierigen Tätigkeiten", wenn solche innerhalb des jeweiligen Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Umfang anfallen. Nicht erforderlich ist, dass innerhalb eines Arbeitsvorgangs schwierige Tätigkeiten ihrerseits in dem von § 12 Abs. 1 Satz 4 und 7 TV-L** bestimmten Maß - vorliegend also mindestens zur Hälfte, zu einem Drittel oder zu einem Fünftel - anfallen. Diese nach den tarifvertraglichen Regelungen maßgebliche Grundregel gilt uneingeschränkt auch bei einer Eingruppierung nach den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften (Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO). Entgegen der Auffassung des beklagten Landes steht dieser Auslegung nicht ein anderer Wille der Tarifvertragsparteien entgegen. Ein solcher hat in den tariflichen Eingruppierungsbestimmungen nicht den erforderlichen Niederschlag gefunden.
(PM Nr. 30/20)
Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung?
(BAG, Beschluss vom 11.11.2020 - 10 AZR 185/20 (A)) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 11.11.2020 (10 AZR 185/20 (A)) u.a. folgendes entschieden:
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:
1.
Behandelt eine nationale gesetzliche Vorschrift Teilzeitbeschäftigte schlechter gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten iSv. § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG, wenn sie es zulässt, eine zusätzliche Vergütung für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran zu binden, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, und es damit erlaubt, auf die Gesamtvergütung, nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen?
2.
Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
Ist eine nationale gesetzliche Vorschrift, die es erlaubt, einen Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung davon abhängig zu machen, dass für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, mit § 4 Nr. 1 und dem Pro-rata-temporis-Grundsatz in § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG vereinbar, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?
Tarifvertragliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, werfen Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssen durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet.
Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger ist bei ihr als Flugzeugführer und Erster Offizier in Teilzeit beschäftigt. Seine Arbeitszeit ist auf 90 % der Vollarbeitszeit verringert. Er erhält eine um 10 % ermäßigte Grundvergütung. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) hat. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten für die erbrachten Mehrflugdienststunden eine höhere als die bereits geleistete Vergütung. Er ist der Auffassung, die tariflichen Bestimmungen seien unwirksam. Sie behandelten Teilzeitbeschäftigte schlechter als Arbeitnehmer in Vollzeit. Ein sachlicher Grund bestehe dafür nicht. Die Auslösegrenzen seien entsprechend seinem Teilzeitanteil abzusenken. Die Beklagte hält die Tarifnormen für wirksam. Die Vergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Sie bestehe erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, Fragen nach der Auslegung der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG zu beantworten. Ist für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen? Kann eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?
Das Revisionsverfahren wird bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
(PM 40/20)
Risiko: „Crowdworking“ kann Arbeitsverhältnis sein
(BAG, Urteil vom 01.12.2020 - 9 AZR 102/20) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.12.2020 (9 AZR 102/20) folgendes entschieden:
Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.
Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten.
Auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäftsbedingungen bietet die Beklagte die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.
Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem ua. Vergütungsansprüche verfolgt, um einen Kündigungsschutzantrag erweitert. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien verneint.
Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat erkannt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stand.
Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.
So liegt der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgeundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war abe darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision des Klägers gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Kläger kann nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht aufzuklären hat.
(PM 43/20)
Nochmals: Keine Kurzarbeit ohne wirksame Vereinbarung
(ArbG Siegburg - Urteil vom 11.11.2020 (4 Ca 1240/20) mehr
Das Arbeitsgericht Siegburg hat mit heute veröffentlichtem Urteil vom 11.11.2020 (4 Ca 1240/20) folgendes entscheiden:
Der Arbeitgeber darf einseitig Kurzarbeit nur anordnen, wenn dies individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich zulässig ist. Bei einer Anordnung ohne rechtliche Grundlage besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitnehmer behalten ihren vollen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber.
Der Kläger war bei der Beklagten als Omnibusfahrer beschäftigt. Einen Betriebsrat gibt es bei der Beklagten nicht. Mit Schreiben vom 16.03.2020 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und teilte ihm im gleichen Schreiben mit, dass Kurzarbeit in verschiedenen Bereichen des Betriebes angemeldet werden müsse und dass der Kläger „zunächst in der Woche vom 23.03. bis zum 28.03.2020“ für Kurzarbeit vorgesehen sei. Eine gesonderte Vereinbarung über Kurzarbeit wurde mit dem Kläger nicht geschlossen. Die Beklagte kürzte ab März 2020 einen Teil des Gehaltes des Klägers und bezeichnete die Zahlung in den erteilten Abrechnungen als „Kurzarbeitergeld“. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten selbst fristlos zum 14.06.2020 und klagte seinen vollen Lohn ein.
Mit Urteil vom 11.11.2020 gab das Arbeitsgericht Siegburg der Klage statt. Nach Auffassung des Gerichts steht dem Kläger der Anspruch auf seinen vollen Lohn zu. Die Anordnung der Kurzarbeit war weder individualvertraglich noch durch Betriebsvereinbarung noch tarifvertraglich zulässig. Die Beklagte hat mit dem Kläger keine wirksame Individualvereinbarung zur Kurzarbeit geschlossen. Einen Betriebsrat gab es bei der Beklagten nicht und damit auch keine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit; ebenso wenig gab es eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift. Ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung ist die einseitige Anordnung von Kurzarbeit unzulässig.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
(PM v. 10.12.2020)
Anmerkung Rechtsanwalt Eckart Schulz/SCHULZ KLUGE PARTNER:
Schon vor 12 Jahren hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16.12.2008 - 9 AZR 164/08) entschieden: Kurzarbeit kann nicht "angeordnet" werden; das Direktions- oder Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst eine solche einseitige Festlegung durch den Arbeitgeber nicht. Vielmehr gilt: Kurzarbeit muss zwischen dem Unternehmen und dem/der Beschäftigten "vereinbart" worden sein.
Wenn jedoch die Kurzarbeit weder individualvertraglich noch durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag vereinbart ist, dann sind die (zwingenden) Voraussetzungen für die Einführung von Kurzarbeit im Unternehmen nicht erfüllt. Sind aber die Voraussetzungen für Kurzarbeit nicht erfüllt, dann besteht auch kein Anspruch des Unternehmens gegenüber der Agentur für Arbeit auf Auszahlung des "Kurzarbeitergeldes". Hat das Unternehmen aber dennoch Kurzarbeit bereits beantragt und ist dies (weil das Unternehmen unrichtige Angaben gemacht hat) bewilligt und sind womöglich bereits Zahlungen der Agentur für Arbeit an das Unternehmen geflossen, dann bestehen u.a. folgende erhebliche Risiken: Die Agentur für Arbeit kann die Zahlungen in voller Höhe zurückfordern und Schadensersatz geltend machen; es kann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren z.B. wegen Betruges oder ein Ordnungswidrigkeitenverfahren mit äußerst empfindlichen Geldbußen folgen.
Hinzu kommen können weitere, schwerwiegende Probleme z.B. in sozialversicherungsrechtlicher oder steuerrechtlicher oder sogar gewerberechtlicher Hinsicht.
Und schließlich muss der Unternehmer dem/der Beschäftigten dann noch das Arbeitsentgelt in voller Höhe (also nicht durch Kurzarbeit gekürzt) nachzahlen.
Deshalb: Erst prüfen, ob eine - wirksame - Vereinbarung mit der/dem Beschäftigten besteht; liegt sie vor, kann Kurzarbeit beanragt werden. Meist werden Beschäftigte bereit sein, eine solche Vereinbarung abschließen, wenn dadurch der Arbeitsplatz zumindest sicherer gemacht werden kann.
Die Corona-Pandemie im Arbeitsrecht: Berliner Urteile in 2020
(ArbG Berlin u.a., Urteil vom 05.11.2020 - 38 Ca 4569/20 - u.a.) mehr
Mit heute veröffentlichten Entscheidungen haben das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und das Arbeitsgericht Berlin zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie folgende Entscheidungen getroffen:
Mund-Nase-Bedeckung: Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen ist wirksam
Das Arbeitsgericht Berlin hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren eine Pflicht zum Tragen eines vom Arbeitgeber bereitgestellten Mund-Nasen-Schutzes bestätigt. Eine Arbeitnehmerin hat geltend gemacht, bei ihrer Arbeit als Flugsicherheitsassistentin am Flughafen statt dieses Mund-Nasen-Schutzes einen Gesichtsschutzschirm zu tragen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes abgewiesen. Den Arbeitgeber treffe die Pflicht, die Beschäftigten und das Publikum am Flughafen vor Infektionen zu schützen. Ein Gesichtsvisier sei für den Schutz Dritter weniger geeignet als der hier vorgeschriebene Mund-Nasen-Schutz. Dass ihr das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei, habe die Arbeitnehmerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
(ArbG Berlin, Urteil vom 15.10.2020 - 42 Ga 13034/20)
Krankenpfleger darf nebenbei bei einem anderem Arbeitgeber in der Intensivpflege tätig sein
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in einer beabsichtigten Tätigkeit als Krankenpfleger in der Intensivpflege keinen Grund für die Untersagung einer Nebentätigkeit gesehen und damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin bestätigt.
Der klagende Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin, einem großen Krankenhaus, langjährig als Krankenpfleger in der Intensivpflege eingesetzt. Zuletzt ist der Kläger als Patientenmanager mit regelmäßigen Arbeitszeiten von Montag bis Freitag tätig. Er teilte der Arbeitgeberin mit, er beabsichtigte für eine Zeitarbeitsfirma an Samstagen und Sonntagen als geringfügig beschäftigte Krankenpflegekraft auf Intensivstationen zu arbeiten. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab und führte zur Begründung aus, es liege eine Wettbewerbssituation vor, der Kläger wolle seinen besonderen Erfahrungsschatz als Intensivpfleger anderweitig nutzen, zudem stehe die besondere Lage in der Pandemie mit Ansteckungsgefahren der Nebentätigkeit entgegen. Sie habe dem Kläger angeboten, Dienste in ihrem Intensivbereich im Rahmen einer Nebenabrede wahrzunehmen.
Das Landesarbeitsgericht hat wie das Arbeitsgericht keinen Grund gesehen, die beabsichtigte Nebentätigkeit zu untersagen. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, es liege keine unmittelbare Konkurrenzsituation vor, gesetzliche Ruhezeiten könnten eingehalten werden, sonstige nachteilige Folgen aufgrund der beabsichtigten anderweitigen Tätigkeit habe die Arbeitgeberin nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger könne sowohl im Rahmen seiner Tätigkeit für die Arbeitgeberin als auch im Rahmen der angestrebten Nebentätigkeit mit an Covid 19 erkrankten Patientinnen und Patienten in Kontakt kommen. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine fehlende Einhaltung der erforderlichen Schutzmaßnahmen in den Krankenhäusern, in denen der Kläger im Rahmen seiner Nebentätigkeit eingesetzt werde.
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.09.2020 - 16 Sa 2073/19)
"Corona"-bedingter Umsatzrückgang rechtfertigt nicht allein betriebsbedingte Kündigungen
Betreffend betriebsbedingte Kündigungen hat das Arbeitsgericht Berlin in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass allein ein Hinweis auf „Corona“ oder einen Umsatzrückgang aufgrund der Pandemie nicht ausreicht, um eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen.
Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf.
(ArbG Berlin, Urteil vom 05.11.2020 - 38 Ca 4569/20)
Die Erklärung, es habe einen starken Umsatzrückgang gegeben und man habe nicht anders auf denselben reagieren können, als eine Anzahl von Kündigungen auszusprechen, ist keine ausreichende Begründung zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung.
(ArbG Berlin, Urteile vom 25.08.2020 - 34 Ca 6664/20, 34 Ca 6667/20, 34 Ca 6668/20)
Beschäftigte haben keinen allgemeinen Anspruch auf Home-Office
Auch wenn kein allgemeiner Anspruch auf eine Tätigkeit im Home-Office bestehe, könne die mögliche Arbeit von zu Hause aus bei vorhandenen technischen Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes entgegenstehen. Die stärkere Verbreitung des Arbeitens im Home-Office aufgrund der Pandemie zeige, dass Arbeiten von zuhause aus möglich sei.
Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
(ArbG Berlin, Urteil vom 10.08.2020 - 19 Ca 13189/19)
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(PM Nr. 34/20)
11.12.2019
(BAG, Urteil vom 11.12.2019 - 5 AZR 505/18) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.12.2019 (5 AZR 505/18) folgendes entschieden:
Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte.
Die Klägerin war bei der Beklagten bis zum 31.07.2017 als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit dem 07.02.2017 war sie infolge eines psychischen Leidens arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich 20.03.2017. Im Anschluss bezog die Klägerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die zuletzt am 05.05.2017 eine bis einschließlich 18.05.2017 fortbestehende Arbeitsunfähigkeit attestierten, Krankengeld. Am 19.05.2017 unterzog sich die Klägerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer seit längerem geplanten Operation. Ihre niedergelassene Frauenärztin bescheinigte am 18.05.2017 als „Erstbescheinigung“ eine Arbeitsunfähigkeit vom 19.05.2017 bis zum 16.06.2017 und durch Folgebescheinigung eine fortbestehende Arbeitsverhinderung bis einschließlich 30.06.2017. Im Juli 2017 erbrachte die Klägerin im Hinblick auf ihr gewährten Urlaub und Überstundenausgleich keine Arbeitsleistungen mehr und begann eine Psychotherapie bei einem Neurologen.
Die Klägerin erhielt in der Zeit vom 19.05. bis zum 29.06.2017 weder von der Beklagten Entgeltfortzahlung noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld.
Mit ihrer Klage hat sie für diesen Zeitraum von der Beklagten die Zahlung von 3.364,90 Euro brutto nebst Zinsen verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie sei ab dem 19.05.2017 wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18.05.2017 geendet. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, den Umständen nach sei von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen. Die Klägerin habe deshalb nur einmal für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen können. Diesen Anspruch habe sie erfüllt. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Klage - nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten - abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte. Dies ist der Klägerin nicht gelungen. Das Landesarbeitsgericht hat durch Vernehmung der die Klägerin behandelnden Ärzte umfassend Beweis erhoben. Danach konnte nicht festgestellt werden, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht vorlag. Das gilt umso mehr als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Untersuchung der Klägerin durch den behandelnden Arzt bei der Feststellung der bis einschließlich 18. Mai 2017 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgte.
(PM 45/19)
20.11.2019
(BAG, Urteil vom 20.11.2019 - 5 AZR 578/18) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.11.2019 (5 AZR 578/18) folgendes entschieden:
Eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich erfüllt den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freitzeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos nur dann, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden soll. Dem genügt die Klausel, der Arbeitnehmer werde unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, nicht.
Die Klägerin war bei der Beklagten als Sekretärin beschäftigt. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsschutzprozess am 15. November 2016 einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31. Januar 2017 endete. Bis dahin stellte die Beklagte die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. In diesem Zeitraum sollte auch der Resturlaub eingebracht sein. Eine allgemeine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthält der Vergleich nicht.
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin die Abgeltung von 67,10 Gutstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto mit 1.317,28 Euro brutto nebst Zinsen verlangt. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Die vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts zugelassene Revision der Klägerin war erfolgreich und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Endet das Arbeitsverhältnis und können Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto nicht mehr durch Freizeit ausgeglichen werden, sind sie vom Arbeitgeber in Geld abzugelten. Die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht in einem gerichtlichen Vergleich ist nur dann geeignet, den Anspruch auf Freizeitausgleich zum Abbau von Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto zu erfüllen, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen will. Daran fehlte es vorliegend. In dem gerichtlichen Vergleich ist weder ausdrücklich noch konkludent hinreichend deutlich festgehalten, dass die Freistellung auch dem Abbau des Arbeitszeitkontos dienen bzw. mit ihr der Freizeitausgleichsanspruch aus dem Arbeitszeitkonto erfüllt sein soll.
(PM 40/19)
21.08.2019
(BAG, Urteil vom 21.08.2019 - 7 AZR 452/17) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.08.2019 (7 AZR 452/17) folgendes entschieden:
Wird ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt, gelangt das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift regelmäßig nicht zur Anwendung.
Die Klägerin war in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 bei der Beklagten als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld beschäftigt. Mit Wirkung zum 15. Oktober 2014 stellte die Beklagte die Klägerin als Telefonserviceberaterin im Servicecenter erneut ein. Das zunächst bis zum 30. Juni 2015 sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis wurde später bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung am 30. Juni 2016 geendet hat. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist ohne Sachgrund wirksam. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zwar nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (- 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 -) können und müssen die Fachgerichte jedoch durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach ua. dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt.
Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend, da die Vorbeschäftigung bei der erneuten Einstellung 22 Jahre zurücklag. Besondere Umstände, die dennoch die Anwendung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmten Verbots gebieten könnten, liegen nicht vor.
(PM 29/19)
20.08.2019
(BAG, Urteil vom 20.08.2019 - 9 AZR 41/19) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.08.2019 (9 AZR 41/19) folgendes entschieden:
Ein Heimarbeiter kann nach Maßgabe des Heimarbeitsgesetzes (HAG) eine Sicherung seines Entgelts für die Dauer der Kündigungsfrist sowie Urlaubsabgeltung nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verlangen.
Der Kläger erbrachte für die Beklagte regelmäßig Leistungen als selbstständiger Bauingenieur/Programmierer in Heimarbeit. Nachdem die Beklagte beschlossen hatte, ihr Unternehmen aufzulösen und zu liquidieren, wies sie dem Kläger seit Dezember 2013 keine Projekte mehr zu. Das Heimarbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 30. April 2016. Für diesen Zeitraum hat der Kläger von der Beklagten verlangt, ihm Vergütung iHv. 171.970,00 Euro brutto zu zahlen sowie 72 Werktage Urlaub iHv. 15.584,94 Euro brutto abzugelten.
Die Vorinstanzen haben der Klage teilweise stattgegeben. Soweit die Klage abgewiesen wurde, verlangt der Kläger mit der Revision die Zahlung weiterer 130.460,00 Euro brutto wegen Nichtausgabe von Heimarbeit sowie Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 iHv. 4.091,71 Euro brutto sowie iHv. 5.194,83 Euro brutto für das Jahr 2015. Die Revision vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte nur hinsichtlich der begehrten Urlaubsabgeltung Erfolg.
Neben dem Entgelt, das die Beklagte für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist, während der sie keine Heimarbeit ausgab, schuldete, kann der Kläger keine weitere Vergütung verlangen. Ein Anspruch unter den Gesichtspunkten des Annahme-verzugs oder Schadensersatzes besteht nicht. Es fehlt an einer besonderen Absprache der Parteien, dem Kläger Projekte in einem bestimmten Umfang zuzuweisen. Heimarbeiter haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge. Da sie aber regelmäßig auf Aufträge angewiesen sind, sehen die Bestimmungen des Heimarbeitsgesetzes zum Kündigungsschutz eine Entgeltsicherung vor. Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis, kann der Heimarbeiter gemäß § 29 Abs. 7 HAG für die Dauer der Kündigungsfrist Fortzahlung des Entgelts beanspruchen, das er im Durchschnitt der letzten 24 Monate vor der Kündigung durch Heimarbeit erzielt hat. § 29 Abs. 8 HAG sichert das Entgelt, wenn der Auftraggeber nicht kündigt, jedoch die Arbeitsmenge, die er mindestens ein Jahr regelmäßig an einen Heimarbeiter ausgegeben hat, um mindestens ein Viertel verringert. Die Entgeltsicherung nach § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG steht dem Heimarbeiter jedoch nur alternativ zu.
Die Höhe der bei Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses geschuldeten Urlaubsabgeltung ist nach § 12 Nr. 1 BUrlG auf der Grundlage des Entgelts des Heimarbeiters in der Zeit vom 1. Mai des vergangenen bis zum 30. April des laufenden Jahres zu ermitteln. Für den Urlaub aus dem Jahr 2014 ist deshalb im Streitfall auf das Entgelt abzustellen, das der Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2014 erzielt hat. Die hierfür erforderlichen Tatsachen wird das Landesarbeitsgericht nach der insoweit erfolgten Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben. Für das Jahr 2015 steht dem Kläger Urlaubsabgeltung iHv. 1.103,12 Euro brutto zu.
(PM 28/19)
02.08.2019
(SG Stuttgart, Urteil vom 10.01.2019 - S 1 U 3297/17). mehr
Das Sozialgericht Stuttgart hat mit heute veröffentlichtem, nun rechtskräftigem Urteil vom 10.01.2019 (S 1 U 3297/17) folgendes entschieden:
Ein bei einer SegwayTour im Anschluss an eine kaufmännische Traineeveranstaltung des Arbeitgebers erlittener Sturz eines Beschäftigten, bei dem dieser sich Frakturen am rechten Wadenbein und Sprunggelenk zugezogen hat, stellt keinen Arbeitsunfall dar, denn dieses Ereignis steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung
Der Kläger erlitt im Jahr 2016 gegen 17.23 Uhr einen Unfall, als er bei einer SegwayTour im Anschluss an eine offizielle kaufmännische Trainee-Veranstaltung seiner Arbeitgeberin, die um 15.00 Uhr endete, stürzte und sich zwei Frakturen zuzog. Das kaufmännische Trainee-Treffen begann nach Angaben der Arbeitgeberin, am Unfalltag um 10.00 Uhr und endete am gleichen Tag um 15.00 Uhr. An der Veranstaltung haben nach Auskunft der Arbeitgeberin insgesamt 8 Personen bei einer Gesamtbelegschaft von 111 Personen, alles Betriebsangehörige, teilgenommen. Von der Unternehmensleitung war ein Mitglied bis 19.00 Uhr anwesend.
Das Gericht hat die Klage auf Feststellung des Unfalls als Arbeitsunfall abgelehnt und dies u.a. wie folgt begründet:
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (BSG, Urteil vom 26.06.2014, B 2 U 4/13 R, zitiert nach Juris).
Diese Voraussetzungen hat das Gericht verneint. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des Sturzes und der Brüche des Wadenbeins und Sprunggelenks bereits keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Er sei zwar Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, habe jedoch bei der Teilnahme an der SegwayTour keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
Eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter werde dann verrichtet, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses als Beschäftigter, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, einer Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen (BSG, a. a. O.). Ein derartiger betriebsbezogener Zweck sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht auf die Erbringung der Hauptleistung beschränkt, die Gegenstand des Beschäftigungsverhältnisses ist. Vielmehr könne er auch für eine Anzahl sonstiger Tätigkeiten angenommen werden, die dem Unternehmensinteresse dienen. Hierzu können z. B. Fortbildungsmaßnahmen mit dem Ziel gehören, eine Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit im erlernten und ausgeübten Beruf zu erreichen. Eine dem Versicherungsschutz unterliegende Tätigkeit könne auch in der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung liegen, mit der das Unternehmensinteresse unterstützt wird, die betriebliche Verbundenheit zu fördern (BSG, a. a. O.). So könne die Traineeveranstaltung, die am Unfalltag um 10.00 Uhr begonnen und am gleichen Tag um 15.00 Uhr geendet habe, als eine Fortbildungsveranstaltung im Unternehmensinteresse angesehen werden, weshalb insoweit für den Kläger und die anderen Trainees bei dieser Veranstaltung Versicherungsschutz bestanden habe.
Dies gelte jedoch nicht für die SegwayTour, die im offiziellen Programm als Tagesordnungspunkt „geführte Stadtrundfahrt auf dem Segway“ von 16.00 Uhr – 18.00 Uhr angekündigt worden sei. So bestehe für eine Aktivität, die im Rahmen einer Tagung einem abgrenzbaren Freizeitprogramm zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung als Beschäftigter. Bei Tagungen stehen Programmpunkte, die erkennbar und abgrenzbar vom übrigen Programm der Unterhaltung, Entspannung und Geselligkeit sowie der Auflockerung der Veranstaltung dienen, nicht unter Versicherungsschutz. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts, auf das sich die Beklagte in ihrer Entscheidung stütze (Urteil vom 24.05.2016, L 3 U 175/13, Fundstelle Juris) selbst dann, wenn sie vom Arbeitgeber organisiert und finanziert worden seien und der Arbeitgeber die Teilnahme seiner Mitarbeiter erwarte. Stehen Freizeit, Unterhaltung oder Erholung im Vordergrund, fehle es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang. Es stehe einem Arbeitgeber zwar frei, seinen Mitarbeitern entsprechende Veranstaltungen anzubieten. Er habe es dadurch jedoch nicht in der Hand, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch die persönliche Verbundenheit einer Gruppe von Beschäftigten mit dem Unternehmen gestärkt werden würde (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.). So mache allein die Tatsache, dass jede gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit Kollegen und/oder Vorgesetzten mittelbar auch dem Betriebsklima zugutekomme, aus der privaten Beschäftigung keine betriebsdienliche (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.).
Nach eigener Prüfung schließe sich die erkennende Kammer dieser Rechtsauffassung an. Auch das Hessische Landessozialgericht habe in seinem Urteil vom 20.07.2015 (L 9 U 69/14, Fundstelle Juris) entschieden, dass für eine Aktivität, die im Rahmen einer Führungskräftetagung einem abgrenzbaren, freiwilligen Freizeitprogrammteil zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz bestehe. Darüber hinaus habe das Hessische LSG entschieden, dass Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung sei, dass eine bestimmte Mindestbeteiligung gegeben und der Teilnehmerkreis nicht auf bestimmte Betriebsangehörige des Unternehmens beschränkt sei. Vielmehr sei erforderlich, um als der Gemeinschaft dienend beurteilt zu werden, dass die Veranstaltung allen Beschäftigten offenstehe. Richte sich das Teilnahmeangebot des Unternehmens ausschließlich an eine bestimmte Gruppe von Betriebsangehörigen, so bestehe kein Unfallversicherungsschutz während der Veranstaltung (Hessisches Landessozialgericht, a. a. O.).
In diesem Zusammenhang habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.12.2011 (L 9 U 4092/10, Fundstelle Juris) entschieden, dass eine objektive Teilnahmemöglichkeit der gesamten Belegschaft an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung dann nicht gegeben sei, wenn die Veranstaltung mit Gefahren verbunden sei, die erwarten lassen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft von einer Teilnahme Abstand nehmen werde. Gleiches gelte nach Auffassung des Gerichts auch dann, wenn ein Teil der Belegschaft aus anderen Gründen an der angebotenen Teilnahme rein faktisch gehindert sei.
Die erkennende Kammer folgt dieser Rechtsprechung und kommt, wie die Beklagte, aufgrund der Angaben der Arbeitgeberin des Klägers und des Klägers selbst zum Ergebnis, dass die SegwayTour nicht als Teil des versicherten Tagungsprogramms und nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Sie hat abschließend darauf hingewiesen, dass das offizielle Traineetagungsprogramm um 15.00 Uhr geendet habe und die SegwayTour auch nicht allen Betriebsangehörigen, sondern lediglich den kaufmännischen Trainees, offengestanden habe.
14.05.2019
(EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C 55/18) mehr
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) hat mit Urteil vom 14.05.2019 (C 55/18) folgendes entschieden:
Arbeitgeber sind verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Zur Umsetzung dieser Verpflichtung sind die einzelnen EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, zunächst entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen. Dabei können die Mitgliedstaaten die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, festlegen, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe.
Darüber hinaus sind die nationalen Gerichte verpflichtet, sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um die Rechtsprechung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Arbeitszeit-Richtlinie der EU (2003/88/EG) und damit auch der o.g. Arbeitszeit-Erfassung auszurichten, damit das von der EU-Arbeitszeit-Richtlinie festgelegte Ergebnis erreicht wird. Das schließt auch die Verpflichtung der nationalen Gerichte ein, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern.
Zur Begründung seines Urteils führt der EuGH u.a. aus:
Die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) erhob vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Deutsche Bank SAE, ein System zur Erfassung der von deren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Sie vertritt die Auffassung, dass mit diesem System die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit und der in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verpflichtung, den Gewerkschaftsvertretern die Angaben über die monatlich geleisteten Überstunden zu übermitteln, überprüft werden könne. Nach Auffassung der CCOO ergebe sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Registrierungssystems nicht nur aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, sondern auch aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und der Arbeitszeitrichtlinie. Die Deutsche Bank macht geltend, der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) lasse sich entnehmen, dass das spanische Recht keine solche allgemeingültige Verpflichtung vorsehe. Nach dieser Rechtsprechung schreibe das spanische Gesetz nämlich, sofern nichts anderes vereinbart worden sei, nur die Führung einer Aufstellung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Zahl dieser Überstunden zum jeweiligen Monatsende an die Arbeitnehmer und ihre Vertreter vor.
Die Audiencia Nacional hegt Zweifel an der Vereinbarkeit der Auslegung des spanischen Gesetzes durch das Tribunal Supremo mit dem Unionsrecht und hat den Gerichtshof dazu befragt. Dem Gerichtshof vorgelegten Informationen zufolge werden 53,7 % der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst. Darüber hinaus halte es das spanische Ministerium für Beschäftigung und soziale Sicherheit zur Feststellung, ob Überstunden geleistet worden seien, für erforderlich, die Zahl der gewöhnlich geleisteten Arbeitsstunden genau zu kennen. Die Audiencia Nacional weist darauf hin, dass mit der Auslegung des spanischen Rechts durch das Tribunal Supremo zum einen die Arbeitnehmer ein wesentliches Beweismittel, mit dem sie dartun könnten, dass ihre Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit überschritten habe, und zum anderen ihre Vertreter die erforderlichen Mittel für die Überprüfung der Achtung der in dem Bereich anwendbaren Regeln verlören. Daher könne das spanische Recht nicht die tatsächliche Einhaltung der in der Arbeitszeitrichtlinie und der Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit vorgesehenen Verpflichtungen gewährleisten.
Mit seinem Urteil erklärt der Gerichtshof, dass diese Richtlinien im Licht der Charta einer Regelung entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Der Gerichtshof weist zunächst auf die Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hin, das in der Charta verbürgt ist und dessen Inhalt durch die Arbeitszeitrichtlinie weiter präzisiert wird. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass den Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte zugutekommen, ohne dass die zur Sicherstellung der Umsetzung der Richtlinie gewählten konkreten Modalitäten diese Rechte inhaltlich aushöhlen dürfen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegt.
Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.
Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ist nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich. Der Gerichtshof vertritt daher die Auffassung, dass eine Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, von einem Instrument Gebrauch zu machen, das diese Feststellung ermöglicht, die nützliche Wirkung der von der Charta und von der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Rechte nicht gewährleistet, da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden. Eine solche Regelung könnte daher das Ziel der Richtlinie, das darin besteht, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen, gefährden, und zwar unabhängig von der nach dem nationalen Recht vorgesehenen wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Dagegen bietet ein Arbeitszeiterfassungssystem den Arbeitnehmern ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen, und erleichtert dadurch sowohl den Arbeitnehmern den Nachweis einer Verkennung ihrer Rechte als auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte.
Um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.
Anmerkung von SCHULZ KLUGE PARTNER Rechtsanwälte:
Dieses weitreichende Urteil des EuGH, das im Einzelnen noch nicht ausgewertet ist, wird nun für Arbeitgeber u.a. voraussichtlich folgendes bedeuten:
1.
Zunächst wird der deutsche Gesetzgeber alsbald Bestimmungen schaffen müssen, wie der einzelne Arbeitgeber die Arbeitszeiten der Beschäftigten – und zwar alle tatsächlich erbrachten, täglichen Arbeitszeiten und nicht nur z.B. die Überstunden – erfassen muss. Dabei kann der Gesetzgeber aber die nähere Ausgestaltung der Pflichten z.B. nach Branchen und Unternehmensgröße differenzieren.
2.
Es ist nicht auszuschließen, dass deutsche Arbeitsgerichte nunmehr mit Bezug auf das o.g. Urteil des EuGH bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Arbeitszeit (z.B. Arbeitszeitverstöße, Vergütungsrückstände o.ä.) dem Arbeitgeber erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast auferlegen. Dies könnte auch schon vor Einführung gesetzlicher Bestimmungen geschehen, da die Gerichte ja die o.g. Rechtsprechung des EuGH zu beachten haben. Dies könnte hier bedeuten, dass Arbeitgeber durch „objektive“ Mittel der Zeiterfassung belegen müssten, wann der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat.
3.
Sobald dann die gesetzlichen Regelungen in Kraft getreten sind, werden Arbeitgeber prüfen müssen, welches konkrete Erfassungssystem rechtlich und technisch für ihr Unternehmen anzuwenden ist.
4.
Anschließend werden Arbeitgeber ggf. alsbald dieses System zur Arbeitszeiterfassung einführen müssen. Denn sonst besteht z.B. das Risiko, dass es zu Streitigkeiten mit Beschäftigten über den Umfang der geleisteten und noch zu leistenden Arbeitszeiten kommt und der Arbeitgeber dann in Beweisnot sind; er könnte dann allein wegen Fehlens eines Zeiterfassungssystems den Prozess verlieren.
Gern stehen wir von SCHULZ KLUGE PARTNER Rechtsanwälte Ihnen für Rückfragen zur Verfügung.
08.05.2019
(BVerwG, Urteil vom 08.05.2019 - 8 C 3.18) mehr
Das Bundesverwaltungsgericht hat vom Urteil vom 08.05.2019 (BVerwG 8 C 3.18) folgendes entscheiden:
Das Arbeitszeitgesetz ist auf Erzieher anwendbar, die im Rahmen der sogenannten alternierenden Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen tätig sind.
Die klagende GmbH ist Mitglied im Wohlfahrtsverband Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Der Beklagte, das Land Berlin, vertreten durch das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi), prüfte im August 2012 von zwei WaB-Gruppen und im Oktober 2013 von vier WaB-Gruppen die von der Klägerin angeforderten Dienstpläne der Beschäftigten.
Die klagende GmbH betreibt als Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe unter anderem Wohngruppen, in denen regelmäßig jeweils sechs Kinder und Jugendliche von drei Erziehern betreut werden. Im Rahmen der hierbei praktizierten alternierenden Betreuung (WaB-Modell) wohnt jeweils einer der Erzieher für zwei bis sieben Tage durchgehend in der Wohngruppe. Der zweite Erzieher hat tagsüber Dienst; der dritte Erzieher hat frei. Mit dem angefochtenen Bescheid gab das beklagte Land der Klägerin auf, die Dienstpläne der Erzieher im Einklang mit den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) auszugestalten. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auch die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die in den WaB-Gruppen beschäftigten Erzieher ist nicht nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG ausgeschlossen. Diese Ausnahmevorschrift setzt unter anderem voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben. Dazu ist ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften auf längere Zeit erforderlich, das auf personelle Kontinuität sowie nahezu permanente Verfügbarkeit des Arbeitnehmers angelegt und davon geprägt ist, dass sich Arbeits- und Ruhezeiten nicht voneinander trennen lassen. Dieses Verständnis des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG steht im Einklang mit dem Unionsrecht, namentlich der Richtlinie 2003/88/EG. Gemessen daran stellt das von der Klägerin praktizierte Modell kein Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft dar.
Der angefochtene, auf § 17 Abs. 2 ArbZG gestützte Bescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil allerdings nur im Ergebnis als richtig, denn der von § 17 Abs. 2 ArbZG eröffnete Ermessensspielraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - nicht im Sinne eines „intendierten Ermessens“ dahingehend eingeschränkt, dass die zuständige Behörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen regelmäßig einzuschreiten hat.
23.01.2019
Sachgrundlose Befristung unzulässig bei Vorbeschäftigung vor 8 Jahren - Arbeitgeber muss mit verfassungswidrigem Urteil des Bundesarbeitsgerichts rechnen
(BAG, Urteil vom 23.01.2019 - 7 AZR 733/16)
mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.01.2019 (7 AZR 733/16) folgendes entschieden:
Die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags ist nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin bereits acht Jahre zuvor ein Arbeitsverhältnis von etwa eineinhalbjähriger Dauer bestanden hat, das eine vergleichbare Arbeitsaufgabe zum Gegenstand hatte.
Der Kläger war vom 19. März 2004 bis zum 30. September 2005 als gewerblicher Mitarbeiter bei der Beklagten tätig. Mit Wirkung zum 19. August 2013 stellte die Beklagte den Kläger erneut sachgrundlos befristet für die Zeit bis zum 28. Februar 2014 als Facharbeiter ein. Die Parteien verlängerten die Vertragslaufzeit mehrfach, zuletzt bis zum 18. August 2015. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht geendet hat.
Die Klage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Im Jahr 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht zwar entschieden, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG erfasse in verfassungskonformer Auslegung nicht solche Vorbeschäftigungen, die länger als drei Jahre zurückliegen. Diese Rechtsprechung kann jedoch auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) nicht aufrechterhalten werden. Danach hat das Bundesarbeitsgericht durch die Annahme, eine sachgrundlose Befristung sei nur dann unzulässig, wenn eine Vorbeschäftigung weniger als drei Jahre zurückliege, die Grenzen vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorgaben überschritten, weil der Gesetzgeber eine solche Karenzzeit erkennbar nicht regeln wollte. Allerdings können und müssen die Fachgerichte auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach insbesondere unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht, insbesondere lag das vorangegangene Arbeitsverhältnis acht Jahre und damit nicht sehr lang zurück.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Befristung im Vertrauen auf die im Jahr 2011 ergangenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vereinbart zu haben. Sie musste bei Abschluss der Verträge mit dem Kläger jedenfalls die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der Norm vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben könnte.
11.12.2018
Betriebliche Hinterbliebenenversorgung - sog. Altersabstandsklausel - keine Altersdiskriminierung bei 10-Jahres-Stufen und 5-prozentiger Kürzung
(BAG, Urteil vom 11.12.2018 - 3 AZR 400/17)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.12.2018 (3 AZR 400/17) folgendes entschieden:
Sieht eine Versorgungsregelung vor, dass die Hinterbliebenenversorgung eines jüngeren hinterbliebenen Ehepartners für jedes volle über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschieds der Ehegatten um 5 vH gekürzt wird, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters.
Die Klägerin ist im Oktober 1945 geboren. Sie hat ihren im November 1930 geborenen und 2014 verstorbenen Ehemann im Jahr 1966 geheiratet. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war von seinem Arbeitgeber ua. eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung wird die Witwenrente, wenn die hinterbliebene Ehefrau mehr als zehn Jahre jünger ist als der verstorbene Ehemann, für jedes volle über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschieds um 5 vH gekürzt.
Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, dass die durch diese Altersabstandsklausel bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber, der eine Hinterbliebenenversorgung zusagt, hat ein legitimes Interesse, das hiermit verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. Die Altersabstandsklausel ist auch angemessen und erforderlich. Sie führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsbe-rechtigten Arbeitnehmer, die von der Klausel betroffen sind. Bei einem Altersabstand von elf Jahren, ab dem die Klausel greift, ist der gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Zudem werden wegen des Altersabstands von mehr als zehn Jahren nur solche Ehegatten von dem Ausschluss erfasst, deren Altersabstand zum Ehepartner den üblichen Abstand erheblich übersteigt. Die Versorgungsregelung sieht keinen vollständigen Ausschluss bereits ab dem elften Jahr des Altersunterschieds vor, sondern vielmehr eine maßvolle schrittweise Reduzierung und bewirkt damit einen vollständigen Ausschluss erst bei einem Altersabstand von mehr als 30 Jahren.
06.11.2018
Arbeitnehmer verliert Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht allein deshalb, weil er keinen Urlaub beantragt hat, es sei denn, er kennt die Ansprüche und könnte sie auch wahrnehmen
(EuGH, Urteile vom 06.11.2018 - C-619/16 und C-684/16 Sebastian K./Land B. und M.-P.-Gesellschaft e. V./Tetsuji Sh.)
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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteilen vom 06.11.2018 (C-619/16 und C-684/16) folgendes entschieden:
Das Unionsrecht lässt es nicht zu, dass ein Arbeitnehmer die ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch schon allein deshalb verliert, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt hat.
Weist der Arbeitgeber jedoch nach, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall einer finanziellen Vergütung nicht entgegen.
Herr K. absolvierte als Rechtsreferendar beim Land B. (Deutschland) seinen juristischen Vorbereitungsdienst. Während der letzten Monate nahm er keinen bezahlten Jahresurlaub. Nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Das Land lehnte den Antrag ab. Herr K. focht daraufhin die Ablehnung vor den deutschen Verwaltungsgerichten an.
Herr Sh. war bei der M.-P.-Gesellschaft e.V. beschäftigt. Etwa zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses bat die M.-P.-Gesellschaft Herrn Sh., seinen Resturlaub zu nehmen (ohne ihn jedoch zu verpflichten, den Urlaub zu einem von ihr festgelegten Termin zu nehmen). Herr Sh. nahm nur zwei Urlaubstage und beantragte die Zahlung einer Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage, was die M.-P.-Gesellschaft ablehnte. Herr Sh. wandte sich daraufhin an die deutschen Arbeitsgerichte.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) und das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) möchten wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Verlust des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs und den Verlust der finanziellen Vergütung für diesen Urlaub vorsieht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat.
Sie haben den Gerichtshof daher ersucht, in diesem Kontext das Unionsrecht auszulegen, wonach der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Mit seinen Urteilen von heute entscheidet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht es nicht zulässt, dass ein Arbeitnehmer die ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch schon allein deshalb verliert, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt hat.
Diese Ansprüche können nur untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber zu beweisen hat. Der Arbeitnehmer ist nämlich als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen. Er könnte daher davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen kann, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können.
Ist der Arbeitgeber hingegen in der Lage, den ihm insoweit obliegenden Beweis zu erbringen, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.
Jede Auslegung der fraglichen Unionsvorschriften, die den Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken in den betreffenden Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeiträumen keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, wäre nämlich mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar. Diese bestehen u. a. darin, zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt.
Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die vorstehenden Grundsätze unabhängig davon gelten, ob es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber (wie das Land B.) oder einen privaten Arbeitgeber (wie die M.-P.-Gesellschaft) handelt.
19.10.2018
Befristung von Arbeitsverträgen mit Sachgrund - kein Rechtsmissbrauch bei Gesamtdauer von 25 Monaten mit Sachgrund der Vertretung
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2018 – 2 Sa 683/18)
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Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 19.10.2018 (2 Sa 683/18) folgendes entschieden:
Bei einer Gesamtbefristungsdauer von 25 Monaten, in die sechs Befristungen bzw. Verlängerungen des befristeten Vertrages zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers fallen, ist ein Rechtsmissbrauch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum sog. institutionellen Rechtsmissbrauch nicht zu erkennen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der letzten Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Die Beklagte betreibt Kaufhäuser. Die Klägerin war zunächst zwischen Oktober 2012 und Juni 2017 mit sechs befristeten Arbeitsverträgen bzw. Verlängerungen der Befristungen beschäftigt. Nach dem Wortlaut des letzten befristeten Vertrages wurde sie zur Vertretung einer Kollegin, die sich im Mutterschutz bzw. in der Elternzeit befand, beschäftigt. Gegen diesen letzten befristeten Vertrag richtet sich die Entfristungsklage der Klägerin. Sie meint, dass die Befristungen, auch in der Vergangenheit, unwirksam seien.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin war erfolglos.
Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Für die Wirksamkeit der Befristungen ist – wie das Arbeitsgericht Berlin auch insofern zutreffend und ausführlich ausgeführt hat – der letzte befristete Vertrag zu untersuchen, wenn – wie hier – kein Vorbehalt erklärt worden ist. Dieser letzte Vertrag war gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 TzBfG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 BEEG wegen der Vertretung von Frau M. gerechtfertigt. Die Beklagte hat auch mindestens die mittelbare Vertretung von Frau M. konkret dargelegt, wobei dahinstehen kann, ob die konkrete Bezeichnung der einzelnen Abteilung, in der die Klägerin tätig wurde und in der auch Frau M. tätig war (Abteilung Damenwäsche, Damenstrümpfe und Kinderbekleidung, siehe auch den Arbeitsvertrag von Frau M. Bl. 127 d. A.) nicht sogar für eine unmittelbare Vertretung ausreicht. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen der ersten Instanz sowie die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BAG zur „gedanklichen Zuordnung“ bei der mittelbaren Vertretung verwiesen.
Die zulässige Vertretungsbefristung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Nach der Rechtsprechung ist eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) in der Regel geboten, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre überschreitet oder mehr als 12 Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart wurden oder wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Unter diesen Voraussetzungen hängt es von weiteren, zunächst von der Klägerin vorzutragenden Umständen ab, ob ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeit anzunehmen ist.
Die sich daraus ergebenden Grenzen sind vorliegend bei weitem nicht erreicht. Zudem kommt hinzu, dass auch bei einer Gesamtzahl von ca. 25 Monaten Befristung mehrmalige monatelange Unterbrechungen vorliegen.
Weder die Rechtsprechung des BAG noch die ihr folgenden Entscheidungen des Arbeitsgerichts Berlin und der erkennenden Kammer weichen von der EuGH-Entscheidung im Fall „Kücük“ ab. Der EuGH hat in der Entscheidung vom 26. Januar 2012 – C – 586/10 – NZA 2012, 135 ff. ausdrücklich die Vertretung als fachlichen Grund im Sinne seiner Rechtsprechung anerkannt und nur für den Fall des Missbrauchs eine umfassende Gesamtabwägung gefordert.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
11.09.2018
(EuGH, Urteil vom 11.09.2018 - C-68/17 IR/JQ) mehr
Der Europäische Gerictshof hat mit Urteil vom 11.09.2018 (C-68/17 IR/JQ) folgendes entschieden:
Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, worüber im vorliegenden Fall jedoch das deutsche Bundesarbeitsgericht zu befinden hat.
Der Kläger ist katholischer Konfession und arbeitete als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines Krankenhauses, das von der Beklagten, einer der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln (Deutschland) unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird. Als die Beklagte erfuhr, dass der Kläger nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat der Kläger durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyalitätsobliegenheiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen. Der Dienstvertrag des Klägers verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO 1993), die vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbständig zu verwalten.
Der Kläger hat hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, dass seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund sei. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gehabt hätte.
In diesem Kontext ersucht das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie, nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.
Mit seinem heutigen Urteil stellt der EuGH fest, dass der Beschluss einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss.
Bei dieser Kontrolle muss das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist.
Im vorliegenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der von dem Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos der Beklagten nicht notwendig zu sein scheint. Sie scheint somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet wird, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession sind und folglich nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Beklagten zu verhalten, unterworfen waren.
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in Anbetracht der ihm vorgelegten Akte die in Rede stehende Anforderung nicht als gerechtfertigt erscheint. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls die Beklagte dargetan hat, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist.
Zu der Problematik, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen hat, sondern einer Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die nationalen Gerichte das nationale Recht zur Umsetzung der Richtlinie so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen haben. Falls es nicht möglich sein sollte, das anwendbare nationale Recht (hier das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung des Gerichtshofs in seinem heutigen Urteil auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreits zwischen Privatpersonen anhängig ist, das nationale Recht unangewendet zu lassen hat.
Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass das nunmehr in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat und schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.
Urteil in der Rechtssache C-68/17 IR / JQ |
23.08.2018
(BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.08.2018 (2 AZR 133/18) folgendes entschieden:
Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist.
Die Klägerin war in einem vormals von dem Beklagten betriebenen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle tätig. Dort hatte der Beklagte eine offene Videoüberwachung installiert. Mit den Aufzeichnungen wollte er sein Eigentum vor Straftaten sowohl von Kunden als auch von eigenen Arbeitnehmern schützen. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde im 3. Quartal 2016 ein Fehlbestand bei Tabakwaren festgestellt. Bei einer im August 2016 vorgenommenen Auswertung der Videoaufzeichnungen habe sich gezeigt, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.
Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen unterlägen einem Verwertungsverbot. Der Beklagte hätte die Bildsequenzen unverzüglich, jedenfalls deutlich vor dem 1. August 2016 löschen müssen.
Auf die Revision des Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Sollte es sich - was der Senat nach den bisherigen Feststellungen nicht beurteilen kann - um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt haben, wäre die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF (alter Fassung) zulässig gewesen und hätte dementsprechend nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt. Der Beklagte musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein, stünden auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren nicht entgegen.
06.06.2018
(BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) mehr
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) folgendes entschieden:
Nach der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) sind sachgrundlose Befristungen zwischen denselben Vertragsparteien auf die erstmalige Begründung eines Arbeitsverhältnisses beschränkt; damit ist jede erneute sachgrundlos befristete Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber verboten. Das ist grundsätzlich mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben vereinbar, denn die Verhinderung von Kettenbefristungen und die Sicherung der unbefristeten Dauerbeschäftigung als Regelbeschäftigungsform trägt der Pflicht des Staates zum Schutz der strukturell unterlegenen Beschäftigten im Arbeitsverhältnis und auch dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Allerdings gilt dies nur, soweit die Beschäftigten nach Art und Umfang der Vorbeschäftigung tatsächlich des Schutzes vor Kettenbefristungen bedürfen und andernfalls das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform gefährdet wäre.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat dies auf die Verfassungsbeschwerde eines Arbeitnehmers und einen Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichtes Braunschweig hin entschieden. Der Senat hat gleichzeitig klargestellt, dass eine - vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene - Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, die eine wiederholte sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertragsparteien immer dann gestattet, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Richterliche Rechtsfortbildung darf den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen. Hier hatte sich der Gesetzgeber klar erkennbar gegen eine solche Frist entschieden.
Sachverhalte:
Der Entscheidung liegen Klagen auf Entfristung eines Arbeitsvertrages zugrunde. Die Beschäftigten machten gegenüber ihrem jeweiligen Arbeitgeber geltend, die zuletzt vereinbarte sachgrundlose Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, weil sie bereits zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. In einem Verfahren - 1 BvL 7/14 - hatte das Arbeitsgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Regelung mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn damit eine sachgrundlose Befristung auf die erstmalige Beschäftigung beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber beschränkt sei. In dem anderen Verfahren - 1 BvR 1375/14 - wollte der Arbeitnehmer nicht nochmals befristet, sondern nun unbefristet beschäftigt werden. Das Arbeitsgericht ist jedoch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt und damit davon ausgegangen, dass eine erneute sachgrundlose Befristung nach Ablauf von drei Jahren wieder zulässig sei. Die Entfristungsklage war erfolglos. Dagegen wendet sich der Arbeitnehmer mit der Verfassungsbeschwerde. Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht verletze seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, denn sie überschreite die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Grundsätzlich ist in der Auslegung des vorlegenden Arbeitsgerichts die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG mit der Verfassung vereinbar. Sie verletzt im Ergebnis weder die Berufsfreiheit der Beschäftigten noch die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitgeber. Ist es im Einzelfall unzumutbar, eine sachgrundlose Befristung zu verbieten, weil es sich nicht um die Ersteinstellung handelt, können und müssen die Arbeitsgerichte den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zum Schutz der Rechte der Beteiligten allerdings einschränken. Das ist der Fall, wo keine Gefahr einer Kettenbefristung besteht und unbefristete Arbeitsverhältnisse als Regelbeschäftigungsform erhalten bleiben.
1. Das Verbot sachgrundloser Befristung eines Arbeitsvertrags, wenn zuvor bereits einmal ein Beschäftigungsverhältnis vorlag, beeinträchtigt insbesondere die Berufswahlfreiheit von Arbeitssuchenden (Art. 12 Abs. 1 GG) und die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Arbeitgebern (Art. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG). Dies wiegt zwar schwer. Dem Interesse der Arbeitgeber an Flexibilisierung wird allerdings dadurch Rechnung getragen, dass ihnen Alternativen zur sachgrundlosen Befristung zur Verfügung stehen, wozu auch die vom Gesetzgeber in bestimmten Fällen erlaubte, mit Sachgrund befristete Beschäftigung gehört.
In der Abwägung mit dem Schutz der Beschäftigten im Arbeitsverhältnis und den im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) verankerten sozial- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen ist dies jedoch grundsätzlich zumutbar. Der Gesetzgeber will mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die strukturell dem Arbeitgeber unterlegenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Kettenbefristungen schützen und zugleich das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform sichern. Daneben steht die beschäftigungspolitische Zielsetzung, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Hier hat der Gesetzgeber einen großen Spielraum. Wenn er entscheidet, die sachgrundlose Befristung zwar als Brücke in eine Dauerbeschäftigung zuzulassen, dies aber grundsätzlich beschränkt, ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Unzumutbar ist ein generelles Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber allerdings, wenn und soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Das können bestimmte geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit sein, die Tätigkeit von Werkstudierenden oder die lang zurückliegende Beschäftigung von Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren. Die Fachgerichte können und müssen in solchen Fällen den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken.
II. Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht ist allerdings mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu vereinbaren. Die Annahme, eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrages sei immer dann zulässig, wenn eine Vorbeschäftigung mehr als drei Jahre zurückliege, überschreitet die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil der Gesetzgeber sich hier erkennbar gegen eine solche Befristung entschieden hatte. Die Auslegung der Gesetze durch die Fachgerichte muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Dazu muss sie auch die Gesetzesmaterialien in Betracht ziehen. In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. Diese zeigten hier deutlich auf, dass eine sachgrundlose Befristung zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich nur einmal und nur bei der erstmaligen Einstellung zulässig sein soll. Das damit klar erkennbare gesetzliche Regelungskonzept darf von den Fachgerichten nicht übergangen und durch ein eigenes Konzept ersetzt werden.
09.05.2018
(BVerwG, Urteil vom 09.05.2018 - 8 C 13.17) mehr
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 09.05.2018 (8 C 13.17) folgendes entschieden:
Urlaubs- und gesetzliche Feiertage dürfen bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht als Ausgleichstage berücksichtigt werden. Das gilt auch für Urlaubstage, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gewährt werden, sowie für gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen.
Das klagende Universitätsklinikum Köln führt für die bei ihm beschäftigten Ärzte sogenannte Arbeitszeitschutzkonten, um die Einhaltung der höchstzulässigen Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt sicherzustellen. Dabei werden die wöchentliche Höchstarbeitszeit als Soll verbucht und die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden als Haben erfasst. Tage des gesetzlichen Mindesturlaubs werden so verbucht, als sei an ihnen regulär gearbeitet worden. Darüber hinausgehende Urlaubstage und gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen, wertete der Kläger hingegen als Ausgleichstage mit einer geleisteten Arbeitszeit von null Stunden. Damit konnten diese Tage zum Ausgleich für überdurchschnittlich geleistete Arbeit an anderen Tagen herangezogen werden. Die Bezirksregierung Köln untersagte diese Praxis des Klägers, weil sie darin einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz sah. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Urlaubstage dürfen, auch wenn sie über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen, bei der Berechnung der durchschnittlichen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht als Ausgleichstage herangezogen werden. Aus dem systematischen Zusammenhang des Arbeitszeitgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes ergibt sich, dass als Ausgleichstage nur Tage dienen können, an denen der Arbeitnehmer nicht schon wegen Urlaubsgewährung von der Arbeitspflicht freigestellt ist. Ebenso wenig dürfen gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen, bei der Berechnung der durchschnittlichen Höchstarbeitszeit als Ausgleichstage herangezogen werden. Gesetzliche Feiertage sind keine Werktage und grundsätzlich beschäftigungsfrei. Daher werden sie bei der Berechnung der werktäglichen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht in den Ausgleich einbezogen.
Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union, die zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer erlassen wurde, verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines Mindeststandards, ohne darüber hinausgehende, den Standard verbessernde nationale Regelungen auszuschließen.
17.04.2018
(EuGH, Urteil vom 17.04.2018 - C-414/16) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17.04.2018 (C-414/16, Vera E. / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.) folgendes entschieden:
Wird bei der Bewerbung um eine bei einer Kirche zu besetzende Stelle verlangt, dass die sich bewerbende Person einer bestimmten Religion angehört, so muss dieses Erfordernis notwendig und angesichts des Ethos der Kirche aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sein und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.
Im vorliegenden Fall bewarb sich im Jahre 2012 eine Bewerberin, die keiner Konfession angehört, auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Deutschland) ausgeschriebene Stelle. Es handelte sich um eine befristete Referentenstelle für ein Projekt, das die "Erstellung des Parallelberichts zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung" zum Gegenstand hatte. Das Aufgabengebiet umfasste sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses. Nach der Stellenausschreibung mussten die Bewerber Mitglied einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche sein.
Die Bewerberin wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Da sie eine Benachteiligung aus Gründen der Religion erlitten zu haben glaubte, verklagte sie das Evangelische Werk vor den deutschen Gerichten auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 9.788,65 Euro.
Das Bundesarbeitsgericht, bei dem der Rechtsstreit mittlerweile anhängig ist, hat den Gerichtshof in diesem Zusammenhang um die Auslegung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie ersucht.
Diese Antidiskriminierungsrichtlinie zielt auf den Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer ab, nicht u. a. wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, soll aber auch dem im Unionsrecht – insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – anerkannten Recht der Kirchen (und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) auf Autonomie Rechnung tragen. In diesem Sinne bestimmt die Richtlinie, dass eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) eine mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung aufstellen kann, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“.
Hierzu führt das Bundesarbeitsgericht aus, in Deutschland müsse sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Privileg der Selbstbestimmung auf eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses beschränken. Es möchte vom Gerichtshof daher insbesondere wissen, ob eine solche beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Richtlinie vereinbar ist.
In seinem heute verkündeten Urteil stellt der EuGH u.a. folgendes fest:
Wenn eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend macht, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche (bzw. Organisation), muss ein solches Vorbringen Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Das angerufene Gericht muss sich vergewissern, dass die in der Richtlinie für die Abwägung der gegebenenfalls widerstreitenden Rechte genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.
Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass es den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden. Gleichwohl haben sie festzustellen, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind. Demnach haben die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die Anforderung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche (bzw. Organisation) aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist.
Zudem muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, d. h., sie muss angemessen sein und darf nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.
Hinsichtlich der Problematik, die damit zusammenhängt, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfaltet, sondern der Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof schließlich darauf hin, dass es den nationalen Gerichten obliegt, das nationale Recht, mit dem die Richtlinie umgesetzt wird, so weit wie möglich im Einklang mit ihr auszulegen.
Für den Fall, dass es sich als unmöglich erweisen sollte, das einschlägige nationale Recht (hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Antidiskriminierungsrichtlinie – nach ihrer Auslegung im heutigen Urteil des Gerichtshofs – auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht das nationale Recht unangewendet lassen muss. Da die Charta Anwendung findet, muss das nationale Gericht nämlich den Rechtsschutz gewährleisten, der dem Einzelnen aus dem Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung (verankert in Art. 21 der Charta, wobei dieses Verbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat) und dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (niedergelegt in Art. 47 der Charta) erwächst. Sowohl das Diskriminierungsverbot als auch das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verleihen aus sich heraus dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Zivilrechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.
21.03.2018
(BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 560/17) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.03.2018 (10 AZR 560/16) folgendes entschieden:
Ein Arbeitgeber kann im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO nicht erfolgreich einwenden, ihm sei die Erfüllung eines rechtskräftig zuerkannten Beschäftigungsanspruchs auf einem konkreten Arbeitsplatz wegen dessen Wegfalls unmöglich, wenn er den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch durch Zuweisung einer anderen vertragsgemäßen Tätigkeit erfüllen könnte.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil eines Arbeitsgerichts aus dem Jahr 2010. Danach hat die Klägerin den Beklagten „zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Direktor Delivery Communication & Media Solutions Deutschland und General Western Europe auf der Managerebene 3 zu beschäftigen“. Die Klägerin wendet ein, ihr sei die titulierte Beschäftigung des Beklagten unmöglich, weil der Arbeitsplatz aufgrund konzernübergreifender Veränderungen der Organisationsstruktur weggefallen sei. Eine andere Tätigkeit hat sie dem Beklagten nicht zugewiesen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Selbst wenn die Beschäftigung des Beklagten infolge des Wegfalls des Arbeitsplatzes iSv. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist, kann die Klägerin mit dieser Einwendung im Verfahren nach § 767 ZPO jedenfalls wegen des aus § 242 BGB abzuleitenden, von Amts wegen zu berücksichtigenden sog. Dolo-agit-Einwands* nicht durchdringen. Durch die Nichtbeschäftigung des Beklagten verstößt die Klägerin gegen die Beschäftigungspflicht (§ 611 Abs. 1 BGB). Fehlendes Verschulden hat sie nicht dargelegt (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sie muss dem Beklagten deshalb nach § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 249 Abs. 1 BGB eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuweisen. Dass ihr dies nicht möglich oder zuzumuten sei, hat die Klägerin nicht behauptet.
28.02.2018
(EuGH, Urteil vom 28.02.2018 - C-46/17) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 28.02.2018 (C-46/17 Hubertus John/Freie Hansestadt Bremen) folgendes entschieden:
Es ist zulässig, ein Arbeitsverhältnis über die Regelaltersgrenze hinaus befristet zu verlängern. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters steht einer nationalen Bestimmung wie der in Rede stehenden nicht entgegen, die bei Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, das Hinausschieben des Zeitpunkts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer befristet erteilten Zustimmung des Arbeitgebers abhängig macht.
Der Arbeitnehmer kann nicht geltend machen, dass es sich dabei um einen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge handelt.
Herr Hubertus John wurde von der Stadt Bremen (Deutschland) als Lehrer angestellt. Kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze beantragte er, über diesen Zeitpunkt hinaus weiterbeschäftigt zu werden. Die Stadt Bremen erklärte sich damit einverstanden, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 zu verlängern. Den von Herrn John in der Folge gestellten Antrag, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres 2015/2016 zu verlängern, lehnte sie jedoch ab. Herr John erhob daraufhin Klage gegen die Stadt Bremen. Er macht geltend, die Befristung der gewährten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses verstoße gegen Unionsrecht.
Das Landesarbeitsgericht Bremen (Deutschland), bei dem die Rechtssache anhängig ist, weist darauf hin, dass die geltende nationale Regelung es den Arbeitsvertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat. Das Landesarbeitsgericht möchte wissen, ob eine solche Regelung mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (zur Verhinderung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge) vereinbar ist.
Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters einer nationalen Bestimmung wie der in Rede stehenden nicht entgegensteht, die bei Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, das Hinausschieben des Zeitpunkts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer befristet erteilten Zustimmung des Arbeitgebers abhängig macht.
Nach Auffassung des Gerichtshofs werden Personen, die das Rentenalter erreicht haben, durch eine solche Regelung nicht gegenüber Personen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, benachteiligt. Die Regelung, nach der das Ende des Arbeitsverhältnisses mehrfach hinausgeschoben werden kann, und zwar ohne weitere Voraussetzungen und zeitlich unbegrenzt, stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung des Arbeitsvertrags bei Erreichen der Regelaltersgrenze dar. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses setzt in jedem Fall die Zustimmung beider Vertragsparteien voraus.
Was die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge angeht, hat der Gerichtshof Zweifel, ob die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge angesehen werden kann. Es erscheint nämlich nicht ausgeschlossen, sie als bloße vertragliche Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters aufzufassen.
Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass aus den Akten nicht ersichtlich ist, dass die streitige Regelung geeignet ist, den Abschluss aufeinanderfolgender Arbeitsverträge zu fördern, oder eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer darstellt. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Regelaltersgrenzen systematisch zu einer Prekarisierung der Lage der betreffenden Arbeitnehmer im Sinne der Rahmenvereinbarung führen, sofern die Arbeitnehmer in den Genuss einer abschlagsfreien Rente kommen und insbesondere wenn eine Verlängerung des fraglichen Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber zulässig ist.
Für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Herrn John zugestandene Verlängerung des Arbeitsverhältnisses einen Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge darstellt, entscheidet der Gerichtshof, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge einer nationalen Regelung wie der in Rede stehenden nicht entgegensteht, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat.
Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach sich ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht, von anderen Arbeitnehmern nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung unterscheidet, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befindet und damit im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative steht, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Außerdem ist bei der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt wird und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behält.
02.01.2018
Personalgespräch vom Arbeitnehmer heimlich mit seinem Smartphone aufgenommen - erhebliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - fristlose Kündigung ist wirksam
(Hess. LAG, Urteil vom 23.08.2017 - Az. 6 Sa 137/17)
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Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit am 02.01.2018 veröffentlichtem Urteil vom 23.08.2017 (Az. 6 Sa 137/17) folgendes entschieden:
Einem Arbeitnehmer, der zu einem Personalgespräch eingeladen wird und dieses Gespräch dann heimlich mit seinem Smartphone aufnimmt, kann wirksam fristlos gekündigt werden.
Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte über die Wirksamkeit einer Kündigung zu entscheiden, die ausgesprochen wurde, weil der Arbeitnehmer ein Gespräch mit Vorgesetzen und dem Betriebsrat heimlich mit dem Smartphone aufnahm. Dem Arbeitnehmer war vorgeworfen worden, er habe Kollegen beleidigt und eine Kollegin verbal bedroht. Er wurde deshalb zu einem Personalgespräch eingeladen. Bereits einige Monate zuvor hatte er in einer E-Mail an Vorgesetzte einen Teil seiner Kollegen als „Low Performer“ und „faule Mistkäfer“ bezeichnet und war deshalb abgemahnt worden.
Die Arbeitgeberin erfuhr einige Monate nach dem Personalgespräch durch eine E-Mail des Arbeitnehmers von der heimlichen Aufnahme und sprach deshalb eine fristlose außerordentliche Kündigung aus. Der Arbeitnehmer hat im Kündigungsrechtsstreit geltend gemacht, er habe nicht gewusst, dass eine Ton-Aufnahme verboten war. Sein Handy habe während des Gesprächs offen auf dem Tisch gelegen.
Das LAG hat ebenso wie das Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Der Arbeitgeber war berechtigt, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Das heimliche Mitschneiden des Personalgesprächs verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Gesprächsteilnehmer nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Dies gewährleiste auch das Recht auf Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Worts, nämlich selbst zu bestimmen, ob Erklärungen nur den Gesprächspartnern, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten.
Bei jeder fristlosen Kündigung sind die Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers im Einzelfall zu prüfen. Trotz der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers von 25 Jahren überwogen nach Auffassung des Gerichts die Interessen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hätte darauf hinweisen müssen, dass die Aufnahmefunktion aktiviert war, die Heimlichkeit sei nicht zu rechtfertigen. Das Arbeitsverhältnis sei außerdem schon durch die E-Mail beeinträchtigt gewesen, mit der Kollegen beleidigt worden waren.
Individualarbeitsrecht.
Bewerbung auf Arbeitsplatz: Zulassung nur bei Mindestkörpergröße kann unzulässig sein - mittelbare Diskriminierung von Frauen
(EuGH, Urteil vom 18.10.2017 – C-409/16)
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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 18.10.2017 (C-409/16 Maria-Eleni Kalliri / Ypourgos Esoterikon und Ypourgos Ethnikis Paideias kai Thriskevmaton) folgendes entschieden:
In einer Regelung, die als Kriterium für die Zulassung zu einer Polizeischule unabhängig vom Geschlecht eine Mindestkörpergröße vorsieht, kann mittelbar eine unerlaubte Diskriminierung von Frauen liegen. Eine solche Maßnahme ist unter Umständen nicht notwendig, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten.
Mit Entscheidung des Leiters der griechischen Polizei wurde ein Auswahlverfahren für die Zulassung zur griechischen Polizeischule für das akademische Jahr 2007/2008 bekannt gegeben. In dieser Bekanntmachung wurde eine Bestimmung des griechischen Rechts übernommen, wonach alle Bewerber unabhängig von ihrem Geschlecht mindestens 1,70m groß sein müssen. Frau Maria-Eleni Kalliri wurde die Teilnahme an dem Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule verweigert, weil sie die vorgeschriebene Größe nicht erreichte.
Frau Kalliri war der Ansicht, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden sei, und erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Dioikitiko Efeteio Athinon (Verwaltungsberufungsgericht Athen). Das Dioikitiko Efeteio Athinon hob die Entscheidung auf und stellte fest, dass das griechische Gesetz den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit zwischen Männern und Frauen verletze.
Der Innenminister und der Minister für nationales Erziehungswesen und Religionsangelegenheiten legten gegen diese Entscheidung Berufung beim Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) ein.
Dieser legt den Fall dem EuGH vor und fragt ihn, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die für alle Bewerber, männlichen oder weiblichen Geschlechts, für das Auswahlverfahren für die Zulassung zur Polizeischule eine einheitliche Mindestkörpergröße festsetzt.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Festsetzung einer einheitlichen Mindestkörpergröße für alle Bewerber, männlichen oder weiblichen Geschlechts, zu einer mittelbaren Diskriminierung führt, da sie eine sehr viel höhere Zahl von Personen weiblichen Geschlechts als männlichen Geschlechts benachteiligt.
Eine solche Regelung stellt jedoch keine verbotene mittelbare Diskriminierung dar, wenn zwei Voraussetzungen, deren Vorliegen das nationale Gericht zu überprüfen hat, erfüllt sind:
1) Die Regelung muss durch ein rechtmäßiges Ziel, wie das Bemühen, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten, sachlich gerechtfertigt sein und
2) die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.
Zwar können bestimmte Tätigkeiten der Polizei die Anwendung körperlicher Gewalt erfordern und besondere körperliche Fähigkeiten erforderlich machen, dennoch erfordern andere Polizeiaufgaben wie der Beistand für den Bürger und die Verkehrsregelung offenkundig keinen hohen körperlichen Einsatz.
Auch wenn im Übrigen angenommen werden sollte, dass alle von der griechischen Polizei ausgeübten Aufgaben eine besondere körperliche Eignung erfordern, ist eine solche Eignung nicht zwangsläufig mit dem Besitz einer Mindestkörpergröße verbunden. Das Ziel, die wirksame Erfüllung der Aufgabe der griechischen Polizei zu gewährleisten, könnte jedenfalls mit Maßnahmen erreicht werden, die für Frauen weniger nachteilig sind, wie eine Vorauswahl der Bewerber zur Überprüfung ihrer körperlichen Fähigkeiten.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Unbillige Versetzung eines Arbeitnehmers - Weisung des Arbeitgebers muss auch dann nicht befolgt werden, wenn (noch) keine Entscheidung des Arbeitsgerichts dazu vorliegt
(BAG, Beschluss vom 14.09.2017 - 5 AS 7/17 - zu BAG, Beschluss vom 14.06.2017 - 10 AZR 330/16 (A))
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Der Fünfte Senats des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 14.09.2017 (5 AS 7/17) erklärt, dass er an seiner Rechtsauffassung nicht mehr festhält, wonach ein Arbeitnehmer eine unbillige Weisung befolgen muss, solange er noch keine (rechtskräftige) Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Billigkeit der Versetzung eingeholt hat.
Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte bei dessem Fünften Senat mit Beschluss vom 14.06.2017 (10 AZR 330/16 (A)) angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung zur Verbindlichkeit von Weisungen des Arbeitgebers im Anwendungsbereich des § 106 GewO festhält. Der Fünfte Senat hatte bisher angenommen, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts - sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam sei - nicht hinwegsetzen dürfe, sondern entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen müsse. Wegen der das Arbeitsverhältnis prägenden Weisungsgebundenheit sei der Arbeitnehmer an die durch die Ausübung des Weisungsrechts erfolgte Konkretisierung ua. des Inhalts der Arbeitsleistung vorläufig gebunden, bis durch ein rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung feststehe (vgl. BAG, Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 249/11).
Der Fünfte Senat hat auf die Anfrage nun mitgeteilt, dass er an dieser Rechtsauffassung nicht mehr festhält.
Der Zehnte Senat hatte in seiner zitierten Entscheidung u.a. folgendes erwogen:
Der Kläger des damaligen Verfahrens musste einer unbilligen Weisung vom 23.02.2015 nicht - auch nicht vorläufig - Folge leisten. An das Nichtbefolgen der Weisung konnte die Beklagte nicht Sanktionen knüpfen. Nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB besteht keine - auch keine vorläufige - Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen, sofern der Arbeitnehmer diese nicht trotz ihrer Unbilligkeit akzeptiert.
§ 106 Satz 1 GewO trifft keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolgen von Weisungen, die billigem Ermessen nicht entsprechen. Allerdings legt bereits der Wortlaut nahe, dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nur dann näher bestimmen kann, wenn er billiges Ermessen wahrt. Hält er diese Grenzen nicht ein, verlässt er den Rahmen, den das Gesetz für sein Bestimmungsrecht vorgibt. An eine solchermaßen gesetzwidrige Weisung kann regelmäßig ohne ausdrückliche Anordnung keine Bindung bestehen.
Auch Systematik und Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung sprechen gegen eine solche vorläufige Bindung. Dies gilt insbesondere auch im Kontext des § 315 BGB, soweit er auf das Weisungsrecht Anwendung findet. Hinsichtlich des Begriffs des billigen Ermessens gibt es hingegen keinen Grund, im Rahmen des § 106 Satz 1 GewO von den allgemeinen Maßstäben abzuweichen. Gleiches gilt im Hinblick auf § 315 Abs. 2 BGB, wonach die Leistungsbestimmung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil zu erfolgen hat. Nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil (nur) verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Dies gilt auch für das Weisungsrecht nach § 106 GewO. Dabei folgt aus der Norm im Umkehrschluss zunächst, dass die Leistungsbestimmung für den Berechtigten grundsätzlich verbindlich ist. Dies gilt auch im Bereich der Ausübung des Weisungsrechts. Eine vom Arbeitgeber hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung vorgenommene Weisung hat für diesen Bestand, bis sie von ihm durch eine andere (wirksame) Weisung ersetzt wird. Der Arbeitnehmer kann (und muss) seine Arbeitsleistung so erbringen, wie sie durch die letzte wirksame Weisung konkretisiert wurde. Die Erteilung einer neuen Weisung durch den Arbeitgeber ist - anders als zB bei der Festsetzung einer Bonusleistung für ein bestimmtes Jahr - mit Wirkung für die Zukunft im Rahmen der arbeitsvertraglichen Bestimmungen jederzeit möglich. Für den Arbeitnehmer ist die Weisung hingegen - wie § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB bereits nach seinem Wortlaut anordnet - nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.
Sinn und Zweck des Weisungsrechts in der Form, wie es durch § 106 GewO ausgestaltet ist, verlangen gleichfalls keine vorläufige Verbindlichkeit einer unbilligen Weisung, sondern stehen einer solchen vielmehr entgegen. Das Weisungsrecht soll dem Arbeitgeber ermöglichen, den Arbeitsvertrag und die dort regelmäßig nur rahmenmäßig ausgestaltete Arbeitspflicht in der von ihm gewollten Form zu konkretisieren. § 106 GewO normiert dabei ausdrücklich Grenzen, die zum einen in den rechtlichen Rahmenbedingungen (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifvertrag, Gesetz) und zum anderen im billigen Ermessen liegen. Dabei soll die Ausübung des Weisungsrechts - anders als noch der Wortlaut von § 121 GewO nahelegte, ohne dass die Rechtsprechung die Vorschrift so verstand - nicht in einem „Über- oder Unterordnungsverhältnis“ erfolgen, sondern in einem „eher partnerschaftliche[n] Miteinander“ im Arbeitsverhältnis (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/8796 S. 24). Mit einer solchen Zielrichtung ist ein Verständnis, wonach der Arbeitnehmer sanktionsbewehrt an unbillige Weisungen gebunden sein soll, nicht vereinbar.
(BAG, Urteil vom 30.08.2017 - 7 AZR 864/15) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.08.2017 (7 AZR 864/15) folgendes entschieden:
Die Eigenart der Arbeitsleistung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG kann die Befristung des Arbeitsvertrags einer Filmproduktionsgesellschaft mit einem Schauspieler sachlich rechtfertigen, der aufgrund einer Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen langjährig in derselben Rolle einer Krimiserie beschäftigt wurde.
Der Kläger ist Schauspieler und stellte in der vom ZDF ausgestrahlten und von der Beklagten im Auftrag des Fernsehsenders produzierten Krimiserie „Der Alte“ 18 Jahre lang den Kommissar „Axel Richter“ dar. Die Parteien schlossen jeweils sog. „Mitarbeiterverträge“ bzw. „Schauspielerverträge“ ab, die sich auf einzelne Folgen oder auf die in einem Kalenderjahr produzierten Folgen bezogen. Zuletzt wurde der Kläger durch Vertrag vom 13./16. Oktober 2014 in der Zeit bis zum 18. November 2014 für insgesamt 16 Drehtage zur Produktion der Folgen Nr. 391 und 392 verpflichtet. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Befristung in dem zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag sei mangels Sachgrunds unwirksam; außerdem liege eine unzulässige „Kettenbefristung“ vor.
Die Vorinstanzen haben die Befristungskontrollklage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Befristung des mit dem Kläger zuletzt geschlossenen Vertrags vom 13./16. Oktober 2014 ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG durch die Eigenart der Arbeitsleistung sachlich gerechtfertigt.
Durch den in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG geregelten Sachgrund soll die Befristung von Arbeitsverhältnissen ua. in dem durch die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) geprägten Gestaltungsinteresse des Arbeitgebers ermöglicht werden. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des Sachgrunds in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG darf aber nicht allein die Kunstfreiheit Beachtung finden. Vielmehr ist auch dem nach Art. 12 Abs. 1 GG zu gewährleistenden Mindestbestandsschutz des künstlerisch tätigen Arbeitnehmers Rechnung zu tragen. Dies gebietet eine Abwägung der beiderseitigen Belange, bei der auch das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers angemessen Berücksichtigung finden muss. Die Interessenabwägung ist Bestandteil der Sachgrundprüfung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG.
Die Befristungskontrollklage hatte danach keinen Erfolg. Die Entscheidung der Beklagten, die Rolle des Klägers nur befristet zu besetzen, beruht auf künstlerischen Erwägungen, die von der Beklagten umgesetzt wurden. Die langjährige Beschäftigung des Klägers in der Rolle des Kommissars „Axel Richter“ in der Krimiserie „Der Alte“ überwiegt nicht das Interesse an einer kurzfristig möglichen Fortentwicklung des Formats durch die Streichung der vom Kläger bekleideten, im Kernbereich des künstlerischen Konzepts liegenden und die Serie mitprägenden Rolle.
Das Bundesarbeitsgericht hat am selben Tag - wie die Vorinstanzen - die gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Befristung gerichtete Klage eines weiteren Schauspielers abgewiesen, der 28 Jahre lang die Rolle des Kommissars „Werner Riedmann“ in der Krimiserie „Der Alte“ besetzte. (BAG, Urteil vom 30.08.2017 - 7 AZR 440/16)
Überwachung mittels Keylogger (Protokollierung der PC-Tastatureingaben): Verwertung der Ergebnisse unzulässig
(BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.07.2017 (2 AZR 681/16) folgendes entschieden:
Der Einsatz eines Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmers aufgezeichnet werden, ist nach § 32 Abs. 1 BDSG* unzulässig, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 2011 als „Web-Entwickler“ beschäftigt. Im Zusammenhang mit der Freigabe eines Netzwerks teilte die Beklagte ihren Arbeitnehmern im April 2015 mit, dass der gesamte „Internet-Traffic“ und die Benutzung ihrer Systeme „mitgeloggt“ werde. Sie installierte auf dem Dienst-PC des Klägers eine Software, die sämtliche Tastatureingaben protokollierte und regelmäßig Bildschirmfotos (Screenshots) fertigte. Nach Auswertung der mit Hilfe dieses Keyloggers erstellten Dateien fand ein Gespräch mit dem Kläger statt. In diesem räumte er ein, seinen Dienst-PC während der Arbeitszeit privat genutzt zu haben. Auf schriftliche Nachfrage gab er an, nur in geringem Umfang und in der Regel in seinen Pausen ein Computerspiel programmiert und E-Mail-Verkehr für die Firma seines Vaters abgewickelt zu haben. Die Beklagte, die nach dem vom Keylogger erfassten Datenmaterial davon ausgehen konnte, der Kläger habe in erheblichem Umfang Privattätigkeiten am Arbeitsplatz erledigt, kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich.
Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die durch den Keylogger gewonnenen Erkenntnisse über die Privattätigkeiten des Klägers dürfen im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Die Beklagte hat durch dessen Einsatz das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt. Die Informationsgewinnung war nicht nach § 32 Abs. 1 BDSG zulässig. Die Beklagte hatte beim Einsatz der Software gegenüber dem Kläger keinen auf Tatsachen beruhenden Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung. Die von ihr „ins Blaue hinein“ veranlasste Maßnahme war daher unverhältnismäßig. Hinsichtlich der vom Kläger eingeräumten Privatnutzung hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, diese rechtfertige die Kündigungen mangels vorheriger Abmahnung nicht.
Ausgleich für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit (mehr als 48 Stunden/Woche) von Feuerwehrbeamten - Anspruch auf Freizeitausgleich - bei Nichterfüllung binnen Jahresfrist: finanzielle Entschädigung
(BVerwG, Urteil vom 20.07.2017 - 2 C 31.16)
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Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20.07.2017 (2 C 31.16) folgendes entschieden:
Feuerwehrbeamte, die sich freiwillig bereit erklärt haben, über die unionsrechtlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche hinaus Dienst zu leisten, können hierfür von ihren Dienstherrn - den beklagten Städten Potsdam, Oranienburg und Cottbus - Freizeitausgleich verlangen. Kann der Dienstherr den primär auf Freizeitausgleich gerichteten Ausgleichsanspruch der Beamten nicht binnen Jahresfrist erfüllen, so besteht ab dem Folgemonat der Geltendmachung dieses Anspruchs ein Entschädigungsanspruch in Geld. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte über Ausgleichsansprüche von kommunalen Feuerwehrbeamten im Land Brandenburg im Wesentlichen im Zeitraum zwischen 2007 und 2013 zu entscheiden. Während dieser Zeit verrichteten die Beamten auf eigenen Antrag Schichtdienst mit bis zu 56 Wochenstunden. 2010 und später machten sie geltend, die Dienstzeit, die über die unionsrechtlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden hinausgehe, sei infolge fehlerhafter Anwendung und Umsetzung von Unionsrecht als unionsrechtswidrige Zuvielarbeit finanziell abzugelten. Damit hatten sie in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revisionen der beklagten Städte die auf den unionsrechtlichen Haftungsanspruch gestützten Klagen der Feuerwehrbeamten für die Zeiträume abgewiesen, die vor der erstmaligen Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit durch die Beamten lagen. Für die Zeiträume nach der Geltendmachung des Ausgleichs für die Zuvielarbeit hat das Bundesverwaltungsgericht jeweils das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt: Dem Grunde nach ist ein unionsrechtlicher Haftungsanspruch der Kläger gegen ihre Dienstherren zu bejahen. Die unionsrechtlich fehlerhafte Umsetzung der nach der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglichen Ausnahmeregelung („Opt-Out“) von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden (mit Einverständnis der Beamten) ist zwar vom brandenburgischen Landesgesetzgeber zu verantworten. Die Anwendung des fehlerhaften Landesrechts - hier: von Rechtsverordnungen über die Arbeitszeit von Feuerwehrbeamten aus den Jahren 2007 und 2009 - ist aber den beklagten Städten als Dienstherren der Feuerwehrbeamten anzulasten. Denn damit haben sie den Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht beachtet. Die Rechtsverordnungen verletzen offenkundig jedenfalls das in der EU-Arbeitszeitrichtlinie geregelte Nachteilsverbot, wonach keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen dürfen, dass er nicht bereit ist, mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentageszeitraums zu arbeiten. Dieses Nachteilsverbot hat der brandenburgische Gesetzgeber erst in einer 2014 in Kraft getretenen Rechtsverordnung über die Arbeitszeit von Feuerwehrbeamten normiert.
Auch auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs hat der Dienstherr aber nur die unionsrechtswidrige Zuvielarbeit auszugleichen, die ab dem auf die erstmalige Geltendmachung folgenden Monat geleistet wird. Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich - anders als beamtenrechtliche Besoldungs- oder Versorgungsansprüche - nicht unmittelbar aus Gesetz ergeben, bedürfen einer vorherigen Geltendmachung. Für Ansprüche wegen rechtswidriger Zuvielarbeit gilt dies in besonderer Weise. Diese sind nicht primär auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs gerichtet, sondern auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Durch den Hinweis des Beamten ist daher zunächst eine Prüfung seines Dienstherrn veranlasst, ob eine Änderung der Arbeitszeitgestaltung erforderlich ist und ob eine rechtswidrige Zuvielarbeit - etwa durch Anpassung der maßgeblichen Dienstpläne - vermieden oder durch die Gewährung von Freizeitausgleich kompensiert werden kann. Ohne entsprechende Rüge muss der Dienstherr nicht davon ausgehen, jeder Beamte werde die Überschreitung der aktuellen Arbeitszeitregelung beanstanden. Auch hinsichtlich der möglichen finanziellen Ausgleichspflicht hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit unvorhersehbaren Zahlungsbegehren konfrontiert zu werden.
Ab dem Monat nach einer berechtigten Rüge des Beamten hat der Dienstherr, kompensiert er die rechtswidrige Zuvielarbeit nicht mit Freizeitausgleich, diese Zuvielarbeit nach den Grundsätzen über die Mehrarbeitsvergütung auszugleichen. Der finanzielle Ausgleich erfolgt dabei nicht pauschal nach der Differenz zwischen der Höchstarbeitszeit und der genehmigten Zuvielarbeit. Er richtet sich vielmehr nach den vom Beamten konkret geleisteten Dienststunden.
Fristlose Kündigung einer Geschäftsführerin wegen illoyalen Verhaltens - Aufruf zur Abwahl der Vereinsspitze - Einhaltung Zwei-Wochen-Frist
(BAG, Urteil v. 01.06.2017 - 6 AZR 720/15)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.06.2017 (6 AZR 720/15 ) folgendes entschieden:
Betreibt die Geschäftsführerin eines Vereins auf intrigante Weise zielgerichtet die Abwahl des Vereinsvorsitzenden, kann dies die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Durch ein solch illoyales Verhalten wird die für eine weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensbasis zerstört und der Betriebsfriede erheblich gestört.
Die Klägerin war als Geschäftsführerin bei dem beklagten Verein beschäftigt. Dieser bildet den Dachverband für seine örtlichen Mitgliedsverbände. Nach Differenzen mit dem sog. Präsidenten des Vereins rief die Klägerin die Vereinsmitglieder dazu auf, die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit dem Ziel der Abwahl der Vereinsspitze zu fordern. Der als Präsidium bezeichnete Vorstand des Vereins beschloss daraufhin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Klägerin.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie wendet ua. ein, der Präsidiumsbeschluss sei unwirksam, weil das Präsidium wegen des vorherigen Rücktritts eines Mitglieds nicht vollständig besetzt gewesen sei.
Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Kündigung liegt zwar ungeachtet des vorherigen Rücktritts eines Vizepräsidenten ein nach der Vereinssatzung wirksamer Beschluss des Präsidiums zugrunde. Wegen des illoyalen Verhaltens der Klägerin liegt auch ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses vor. Der Senat konnte aber nicht abschließend beurteilen, ob die fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den maßgebenden Tatsachen erklärt wurde. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob entsprechend dem Vortrag des Beklagten eine Anhörung der Klägerin den Fristbeginn gehemmt hat. Dies würde voraussetzen, dass der Klägerin bezogen auf den kündigungsrelevanten Sachverhalt Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Ob dies der Fall war, ist zwischen den Parteien streitig geblieben.
Keine unmittelbare Anwendung griechischer Spargesetze in Deutschland - Gehaltskürzungen nur durch Vertragsänderung
(BAG, Urteil vom 26.04.2017 - 5 AZR 962/13)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 26.04.2017 (5 AZR 962/13) folgendes entschieden:
Die sog. Spargesetze, mit denen die Republik Griechenland die Vergütung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst abgesenkt hat, führten nicht unmittelbar zu einer Kürzung der Gehälter von Lehrkräften an griechischen Schulen in Deutschland, die dort auf der Grundlage eines deutschem Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses tätig sind.
Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger und als Lehrer an einer von der beklagten Republik Griechenland getragenen Schule in Nürnberg beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt deutschem Recht. Der Kläger fordert weitere Vergütung für den Zeitraum Oktober 2010 bis Dezember 2012 iHv. rd. 20.000,00 Euro. Um diese Beträge hat die beklagte Republik die Bruttovergütung des Klägers unter Berufung auf die griechischen Gesetze 3833/2010 und 3845/2010 gekürzt. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die beklagte Republik die Abweisung der Klage.
Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision zurückgewiesen.
Die Klage ist zulässig, weil die Republik Griechenland in Bezug auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Staatenimmunität genießt.
Die Klage ist auch begründet. Denn die griechischen Spargesetze gelten nicht unmittelbar auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Nach der in einem Vorabentscheidungsverfahren ergangenen und den Senat bindenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 18. Oktober 2016 - C-135/15 -) können die Spargesetze und deren Inhalt als sog. drittstaatliche Eingriffsnormen nur als tatsächlicher Umstand bei ausfüllungsbedürftigen inländischen Normen berücksichtigt werden. Das deutsche Arbeitsrecht kennt aber keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, aus Rücksicht auf die finanzielle Lage des Arbeitgebers dauerhafte Gehaltskürzungen ohne eine wirksame Vertragsänderung hinzunehmen.
Verbot des sichtbaren Tragens von politischen, philosophischen oder religiösen Zeichen dann keine Diskriminierung, wenn hierzu allgemeine unternehmensinterne Regelung besteht – alleiniger Wille des Arbeitgebers bezüglich einzelnen Arbeitnehmers jedoch nicht maßgeblich.
(EuGH, Urteile vom 14.03.2017 – C-157/15 und C-188/15)
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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteilen vom 14.03.2017 (C-157/15, Achbita und Centrum voor Gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding / G4S Secure Solutions, und C-188/15, Bougnaoui und Association de défense des droits de l’homme (ADDH) / Micropole Univers ) folgendes entschieden:
Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar. Ohne eine solche Regel kann der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, wonach seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbracht werden sollen, die ein islamisches Kopftuch trägt, jedoch nicht als berufliche Anforderung angesehen werden, die das Vorliegen einer Diskriminierung auszuschließen vermag.
Zur Rechtssache C-157/15, G4S Secure Solutions:
Am 12. Februar 2003 trat Frau Samira Achbita, die muslimischen Glaubens ist, als Rezeptionistin in den Dienst des Unternehmens G4S. Dieses private Unternehmen erbringt für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor u. a. Rezeptions- und Empfangsdienste. Als Frau Achbita eingestellt wurde, verbot eine bei G4S geltende ungeschriebene Regel es den Arbeitnehmern, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen.
Im April 2006 kündigte Frau Achbita ihrem Arbeitgeber an, dass sie beabsichtige, während der Arbeitszeiten das islamische Kopftuch zu tragen. Die Geschäftsleitung von G4S antwortete ihr, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht geduldet werde, da das sichtbare Tragen politischer, philosophischer oder religiöser Zeichen der von G4S bei ihren Kundenkontakten angestrebten Neutralität widerspreche. Nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit teilte Frau Achbita ihrem Arbeitgeber am 12. Mai 2006 mit, dass sie am 15. Mai ihre Arbeit wieder aufnehmen und künftig das islamische Kopftuch tragen werde.
Der Betriebsrat von G4S billigte am 29. Mai 2006 eine Anpassung der Arbeitsordnung des Unternehmens, die am 13. Juni 2006 in Kraft trat. Darin heißt es:
„Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“
Am 12. Juni 2006 wurde Frau Achbita aufgrund ihrer festen Absicht, an ihrem Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen, entlassen. Sie hat diese Entlassung vor den belgischen Gerichten angefochten.
Der mit der Sache befasste Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien) fragt nach der Auslegung der Unionsrichtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Er möchte wissen, ob das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer allgemeinen internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, eine unmittelbare Diskriminierung darstellt.
Urteilsgründe:
In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne der Richtlinie bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung u. a. wegen der Religion geben darf. Der Begriff der Religion wird zwar in der Richtlinie nicht definiert, doch hat der Unionsgesetzgeber auf die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und auf die gemeinsamen Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten Bezug genommen, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden sind. Daher ist der Begriff der Religion dahin zu verstehen, dass er sowohl den Umstand, religiöse Überzeugungen zu haben, als auch die Freiheit der Personen umfasst, diese in der Öffentlichkeit zu bekunden.
Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die interne Regel von G4S auf das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen bezieht und damit unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt. Nach dieser Regel werden alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleich behandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden. Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist nicht zu entnehmen, dass die interne Regel auf Frau Achbita anders angewandt worden wäre als auf andere Arbeitnehmer von G4S. Folglich begründet eine solche interne Regel keine unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne der Richtlinie.
Der Gerichtshof hält es jedoch nicht für ausgeschlossen, dass das nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die interne Regel eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung begründet, wenn sich erweisen sollte, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.
Eine solche Ungleichbehandlung würde jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Zwar ist es letztlich allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, darüber zu befinden, ob und inwieweit die interne Regel diesen Anforderungen genügt, doch gibt der Gerichtshof hierzu Hinweise.
Er führt aus, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, insbesondere dann rechtmäßig ist, wenn nur die Arbeitnehmer einbezogen werden, die mit den Kunden in Kontakt treten. Dieser Wunsch gehört nämlich zu der von der Charta anerkannten unternehmerischen Freiheit.
Das Verbot, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen, ist zudem zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. Insoweit muss das vorlegende Gericht prüfen, ob G4S vor der Ent-lassung von Frau Achbita eine entsprechende allgemeine und undifferenzierte Politik ein-geführt hatte.
Im vorliegenden Fall ist außerdem zu prüfen, ob sich das Verbot nur an die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmer von G4S richtet. Ist dies der Fall, ist das Verbot als für die Erreichung des verfolgten Ziels unbedingt erforderlich anzusehen.
Ferner ist zu prüfen, ob es G4S, unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung tragen zu müssen, möglich gewesen wäre, Frau Achbita einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt mit Kunden anzubieten, statt sie zu entlassen.
Im Ergebnis stellt daher das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne der Richtlinie dar.
Ein solches Verbot kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die es enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Eine solche mittelbare Diskriminierung kann jedoch durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt sein, wenn die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Es ist Sache des belgischen Kassationshofs, diese Voraussetzungen zu prüfen.
Zur Rechtssache C-188/15, Bougnaoui und ADDH:
Frau Asma Bougnaoui traf im Oktober 2007 vor ihrer Anstellung durch das private Unter-nehmen Micropole auf einer Studierendenmesse einen Vertreter von Micropole, der sie darauf hinwies, dass das Tragen des islamischen Kopftuchs Probleme bereiten könnte, wenn sie mit den Kunden dieses Unternehmens in Kontakt trete. Als sich Frau Bougnaoui am 4. Februar 2008 bei Micropole vorstellte, um dort ihr Abschlusspraktikum zu absolvieren, trug sie ein einfaches Bandana. Im Anschluss trug sie am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch. Nach Absolvierung des Praktikums stellte Micropole sie ab 15. Juli 2008 mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Softwaredesignerin ein. Nach einer Beschwerde eines ihr von Micropole zugewiesenen Kunden bekräftigte Micropole den Grundsatz notwendiger Neutralität im Verhältnis zu ihren Kunden und bat Frau Bougnaoui, keinen Schleier mehr zu tragen. Dem kam Frau Bougnaoui nicht nach und wurde daraufhin ent-lassen. Sie hat ihre Entlassung vor den französischen Gerichten angefochten.
Die mit der Sache befasste französische Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann.
Urteilsgründe:
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Vorlageentscheidung nicht zu entnehmen ist, ob sich die Frage der Cour de cassation aus der Feststellung einer unmittelbar oder mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung ergibt.
Es ist daher Sache der Cour de cassation, zu prüfen, ob die Entlassung von Frau Bougnaoui auf einen Verstoß gegen eine interne Regel gestützt wurde, die es verbietet, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen. Ist dies der Fall, hat die Cour de cassation zu prüfen, ob die im Urteil G4S Secure Solutions aufgestellten Voraussetzungen vorliegen, d. h., ob die aus einer dem Anschein nach neutralen internen Regel, die tatsächlich dazu führen kann, dass bestimmte Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, resultierende Ungleichbehandlung durch die Verfolgung einer Politik der Neutralität sachlich gerechtfertigt sowie angemessen und erforderlich ist.
Sollte die Entlassung von Frau Bougnaoui nicht auf eine solche interne Regel gestützt sein, wäre hingegen zu prüfen, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt wäre. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine von der Richtlinie verbotene Ungleichbehandlung keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.
Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass u. a. ein mit der Religion im Zusammenhang stehendes Merkmal nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann. Dieser Begriff verweist nämlich auf eine Anforderung, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist, und erstreckt sich nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen.
Der Gerichtshof antwortet daher, dass der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann.
Massenentlassungsschutz - Benachteiligung von Personen in Elternzeit gegenüber anderen Arbeitnehmern
(BAG, Urteil vom 26.01.2017 - 6 AZR 442/16)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 26.01.2017 (6 AZR 442/16) folgendes entschieden:
Massenentlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen bedürfen nach Maßgabe von § 17 KSchG zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats und einer vorherigen ordnungsgemäßen Anzeige an die Agentur für Arbeit. Dieser durch § 17 KSchG gewährleistete Schutz ist europarechtlich durch die Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) determiniert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk]) ist unter „Entlassung“ die Kündigungserklärung zu verstehen.
Hiervon ausgehend hielt der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts die Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin vom 10. März 2010 für wirksam, die sich zur Zeit der wegen einer Betriebsstilllegung durchgeführten Massenentlassungen in Elternzeit befand und deren Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf des Zeitraums von 30 Kalendertagen gekündigt wurde, obwohl sich die Kündigungen der übrigen Arbeitsverhältnisse mangels einer ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats gemäß § 17 KSchG als unwirksam erwiesen hatten (BAG 25. April 2013 - 6 AZR 49/12 -).
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 8. Juni 2016 - 1 BvR 3634/13 - dieses Urteil aufgehoben, weil es die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 iVm. Art. 6 GG verletze. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil das Abwarten der wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. In diesen Fällen gelte der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt sei.
An diese nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs bei Massenentlassungen durch das Bundesverfassungsgericht ist der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts ungeachtet der Probleme gebunden, die ua. dann entstehen, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt wird oder wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen ist. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat deshalb nun auf die Revision der Klägerin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 10. März 2010 nicht aufgelöst worden ist.
Beschäftigungsverbot für Schwangere ab dem 1. Tag des Arbeitsverhältnisses – Lohnanspruch bejaht
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.09.2016 - Az. 9 Sa 917/16)
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Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 30.09.2016 (Az. 9 Sa 917/16) folgendes entschieden:
Lohnansprüche im Falle eines Beschäftigungsverbotes bestehen bereits ab dem ersten Tag eines Arbeitsverhältnisses ohne Rücksicht darauf, ob bereits eine tatsächliche Beschäftigung erfolgte.
Die Parteien haben im November 2015 ein Arbeitsverhältnis beginnend zum 1. Januar 2016 vereinbart. Im Dezember 2015 wurde aufgrund einer Risikoschwangerschaft der Arbeitnehmerin ein ärztliches Beschäftigungsverbot erteilt. Die Arbeitnehmerin forderte unter Berufung auf § 11 Mutterschutzgesetz den Lohn, den sie bei Arbeitsaufnahme ab Januar 2016 erhalten hätte. Der Arbeitgeber lehnte dies unter Hinweis auf die zu keinem Zeitpunkt erfolgte tatsächliche Arbeit der Arbeitnehmerin ab.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat der Arbeitnehmerin die geforderten Beträge zugesprochen. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten setze keine vorherige Arbeitsleistung voraus. Es komme nur auf ein vorliegendes Arbeitsverhältnis und allein aufgrund eines Beschäftigungsverbotes unterbliebene Arbeit an. Der Arbeitgeber werde hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet, weil er die zu zahlenden Beträge aufgrund des Umlageverfahrens in voller Höhe erstattet erhalte.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Betriebsübergang bei Rettungsdiensten - Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit maßgeblich
(BAG, Urteil vom 25.08.2016 - 8 AZR 53/15)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.08.2016 (8 AZR 53/15) folgendes entschieden:
Ein Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a Abs. 1 BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden, ohne dass Teilaspekte isoliert betrachtet werden dürfen.
Die Klägerin war seit April 2001 bei dem J. e.V. beschäftigt, zuletzt als Rettungsassistentin. Dieser sicherte den Rettungsdienst für den beklagten Landkreis im Gebiet S. ab und betrieb hierzu vier Rettungswachen. Er beschäftigte 41 Arbeitnehmer/innen zu den Bedingungen der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR). Ende 2010 entschied sich der beklagte Landkreis, den Rettungsdienst ab Juni 2011 selbst durchzuführen. Er kündigte die mit dem J. e.V. bestehenden Untermiet- und Mietverträge über die Rettungswachen, bestellte neue Rettungsfahrzeuge und schrieb die Stellen des Rettungsdienstes neu aus. Im Auswahlverfahren wählte er aus 70 Bewerbern neben den bereits zuvor beim J. e.V. tätigen 41 Beschäftigten etwas mehr als zehn neue Beschäftigte aus, um ein verändertes Schichtmodell durchführen zu können. Er schloss mit allen Beschäftigten neue Arbeitsverträge zum 1. Juni 2011 ab, die eine Probezeit vorsahen und eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) enthielten. Die neuen Fahrzeuge kamen beim beklagten Landkreis ab dem 1. Juni 2011 zum Einsatz. Die von dem J. e.V. im Jahr 2006 beschafften Rettungsfahrzeuge übernahm der beklagte Landkreis - anders als die Einrichtungsgegenstände der Rettungswachen - nicht.
Mit ihrer Feststellungsklage hat die Klägerin geltend gemacht, der beklagte Landkreis sei im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverträgen mit dem J. e.V. eingetreten. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar durfte das Landesarbeitsgericht seine die Klage abweisende Entscheidung nicht damit begründen, allein die sächlichen Betriebsmittel - insbesondere die Rettungsfahrzeuge - seien für den Betrieb des Rettungsdienstes identitätsprägend, da deren Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmache. Die gebotene Gesamtbewertung aller maßgeblichen Kriterien durch den Senat ergab allerdings, dass das Landesarbeitsgericht die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen hat, weil die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst“ nach dem Inhaberwechsel ihre Identität nicht bewahrt hatte.
Gesetzlicher Mindestlohn auch für Bereitschaftszeiten zu entrichten
(BAG, Urteil vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.06.2016 (5 AZR 716/15) folgendes entschieden:
Der gesetzliche Mindestlohn ist für jede geleistete Arbeitsstunde zu zahlen. Zur vergütungspflichtigen Arbeit rechnen auch Bereitschaftszeiten, während derer sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort - innerhalb oder außerhalb des Betriebs - bereithalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen.
Der Kläger ist als Rettungsassistent im Rahmen einer Vier-Tage-Woche in Zwölfstundenschichten durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich beschäftigt. Es fallen regelmäßig Bereitschaftszeiten an. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers beläuft sich auf 2.680,31 Euro nebst Zulagen.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte vergüte Bereitschaftszeit nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Durch das Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes sei die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung unwirksam geworden. Deshalb stehe ihm die übliche Vergütung von 15,81 Euro brutto je Arbeitsstunde zu. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Dem Kläger steht für seine im Januar und Februar 2015 geleisteten Bereitschaftszeiten keine weitere Vergütung zu. Zwar ist Bereitschaftszeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten, der Anspruch des Klägers hierauf ist aber erfüllt. Bei maximal 228 Arbeitsstunden, die der Kläger mit Vollarbeit und Bereitschaftszeiten in einem Monat tatsächlich leisten kann, erreicht die gezahlte Monatsvergütung den gesetzlichen Mindestlohn (228 Stunden zu 8,50 Euro = 1.938,00 Euro brutto monatlich) nicht nur, sondern übersteigt ihn. Ein Anspruch auf weitere Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB besteht nicht. Die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung ist nicht wegen des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden.
Betriebsrente - Gleichbehandlung- Vergleich mit Einzelvertrag - Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung
(BAG, Urteil vom 19.07.2016 - 3 AZR 134/15)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.07.2016 (3 AZR 134/15) folgendes entschieden:
Arbeitnehmer, denen bereits einzelvertraglich eine betriebliche Altersversorgung zugesagt wurde, dürfen nur dann vollständig von einem auf einer Betriebsvereinbarung beruhenden kollektiven Versorgungssystem des Arbeitgebers ausgenommen werden, wenn die Betriebsparteien im Rahmen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen können, dass diese Arbeitnehmer im Versorgungsfall typischerweise eine zumindest annähernd gleichwertige Versorgung erhalten.
Dem Kläger waren 1987 einzelvertraglich Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse zugesagt worden. Im Folgejahr trat bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung in Kraft, mit der allen ab einem bestimmten Stichtag eingestellten Arbeitnehmern - auch dem Kläger - Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer Direktzusage versprochen wurden. Die Betriebsvereinbarung wurde in der Folgezeit wiederholt abgelöst, zuletzt im Jahr 2007. Die zuletzt gültige Betriebsvereinbarung sieht in § 2 Abs. 4 vor, dass Arbeitnehmer, die eine einzelvertragliche Zusage erhalten haben, nicht in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallen.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe eine Altersrente nach der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2007 zu. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es steht noch nicht fest, ob § 2 Abs. 4 der Betriebsvereinbarung tatsächlich unwirksam ist, weil er zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit einzelvertraglicher Zusage führt. Es ist zu klären, ob die von der Beklagten erteilten einzelvertraglichen Zusagen annähernd gleichwertig sind.
Bonusanspruch / Sondervergütung - Leistungsbestimmung durch das Gericht, wenn Arbeitgeber "Ermessen" eingeräumt ist
(BAG, Urteil vom 03.08.2016 - 10 AZR 710/14)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.08.2016 (10 AZR 710/14) folgendes entschieden:
Behält sich der Arbeitgeber vertraglich vor, über die Höhe eines Bonusanspruchs nach billigem Ermessen zu entscheiden, unterliegt diese Entscheidung der vollen gerichtlichen Überprüfung. Entspricht die Entscheidung nicht billigem Ermessen, ist sie gemäß § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich und die Höhe des Bonus durch das Gericht auf Grundlage des Vortrags der Parteien festzusetzen.
Der Kläger war vom 1. Januar 2010 bis zum 30. September 2012 bei der deutschen Niederlassung der Beklagten, einer internationalen Großbank, als Managing Director beschäftigt. Vertraglich war vereinbart, dass der Kläger am jeweils gültigen Bonussystem und/oder am Deferral Plan teilnimmt. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarung erhielt er für das Geschäftsjahr 2009 eine garantierte Leistung iHv. 200.000,00 Euro, für das Geschäftsjahr 2010 eine Leistung iHv. 9.920,00 Euro. Für das Jahr 2011 erhielt der Kläger keinen Bonus oder Deferral Award. Andere Mitarbeiter erhielten Leistungen, die sich der Höhe nach überwiegend zwischen einem Viertel und der Hälfte der jeweiligen Vorjahresleistung bewegten.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung eines Bonus für das Geschäftsjahr 2011, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 52.480,00 Euro. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines Bonus iHv. 78.720,00 Euro verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen, die eine gerichtliche Festsetzung der Bonushöhe ermöglichten.
Die vom Senat zugelassene Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Kläger hat nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien einen Anspruch auf einen Bonus und/oder Deferral Award, der nach billigem Ermessen festzusetzen war. Mangels hinreichender Darlegungen der Beklagten zur Berechtigung der Festsetzung auf Null für das Jahr 2011 ist diese Festsetzung unverbindlich. Die Leistungsbestimmung hat in einem solchen Fall gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch das Gericht zu erfolgen. Grundlage ist dafür der Sachvortrag der Parteien; eine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinn gibt es nicht. Äußert sich der bestimmungsberechtigte Arbeitgeber zu bestimmten Faktoren nicht, geht dies nicht zu Lasten des Arbeitnehmers. Von diesem kann kein Vortrag zu Umständen verlangt werden, wie zB der Höhe eines Bonustopfes, die außerhalb seines Kenntnisbereichs liegen. Auf die Erhebung einer Auskunftsklage kann er regelmäßig nicht verwiesen werden. Vielmehr ist die Leistung durch das Gericht aufgrund der aktenkundig gewordenen Umstände (zB Höhe der Leistung in den Vorjahren, wirtschaftliche Kennzahlen, Ergebnis einer Leistungsbeurteilung) festzusetzen. Eine gerichtliche Leistungsfestsetzung scheidet nur dann ausnahmsweise aus, wenn jegliche Anhaltspunkte hierfür fehlen. Dies war hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall. Da die gerichtliche Bestimmung der Leistung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB regelmäßig Sache der Tatsacheninstanzen ist, hat der Senat den Rechtsstreit zur Festsetzung der Bonushöhe für das Geschäftsjahr 2011 an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Stundenlohn von 3,40 € als "Hungerlohn" sittenwidrig
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.04.2016 - 15 Sa 2258/15)
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Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 20.04.2016 (15 Sa 2258/15) folgendes entschieden:
Der Klage eines Jobcenters gegen einen Arbeitgeber wegen sittenwidriger Löhne vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes und deshalb erforderlicher Leistungen des Jobcenters wde sattgegeben. Das Jobcenter hat in den Jahren 2011 – 2014 Leistungen zur Grundsicherung an eine Arbeitnehmerin des in Anspruch genommenen Arbeitgebers erbracht. Der Arbeitgeber betreibt eine Pizzeria im östlichen Brandenburg, die dort seit 2001 als Auslieferungsfahrerin tätige Arbeitnehmerin erhielt durchgängig pauschal 136 Euro bei einer vereinbarten Arbeitszeit von nach Bedarf ca. 35-40 Stunden pro Monat.
Das Jobcenter hat geltend gemacht, die Vergütung dieser Arbeitnehmerin sei sittenwidrig niedrig, bei Zahlung der üblichen Vergütung wären geringere Leistungen an Grundsicherung angefallen, weshalb der Arbeitgeber diese Differenz zu erstatten habe.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 5.744,18 Euro stattgegeben. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei dem sich ergebenden Stundenlohn von 3,40 Euro um einen "Hungerlohn". Selbst bei unterstellter Vollzeittätigkeit werde ein Einkommen erzielt, von dem man nicht leben könne. Die Vereinbarung von Hungerlöhnen sei sittenwidrig und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Die übliche Vergütung ergebe sich aus den Feststellungen des statistischen Landesamtes. Für das Jahr 2011 sei das klagende Jobcenter zutreffend von einem Stundenlohn von 6,77 € ausgegangen, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 € steigere. Ob sich eine Sittenwidrigkeit daneben auch aus Wertungen der Europäischen Sozialcharta ergeben kann, wurde nicht entschieden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.
Anspruch auf tabakrauchfreien Arbeitsplatz ausnahmsweise eingeschränkt - Schutzmaßnahmen nur, soweit Natur des Betriebs und Art der Beschäftigung dies zulassen
(BAG, Urteil vom 10.05.2016 - 9 AZR 347/15)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.05.2016 (9 AZR 347/15) folgendes entschieden:
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt werden. Die ArbStättV geht damit davon aus, dass Passivrauchen die Gesundheit gefährdet. Bei Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der Arbeitgeber nach § 5 Abs. 2 ArbStättV nur insoweit Schutzmaßnahmen zu treffen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen.
Der Kläger arbeitet in dem von der Beklagten in Hessen betriebenen Spielcasino als Croupier. Er hat hierzu im Durchschnitt wöchentlich zwei Dienste (jeweils sechs bis zehn Stunden) in einem abgetrennten Raucherraum zu arbeiten. Nur dort und im Barbereich ist den Gästen das Rauchen gestattet. Der Raucherraum ist mit einer Klimaanlage sowie einer Be- und Entlüftungsanlage ausgestattet.
Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm ausschließlich einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar hat der Kläger nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV grundsätzlich Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz. Die Beklagte macht in ihrem Spielcasino jedoch von der Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 5 Nr. 5 des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes (HessNRSG) Gebrauch, die das Rauchen in Spielbanken ermöglicht. Sie muss deshalb Schutzmaßnahmen nur insoweit treffen, als die Natur ihres Betriebs und die Art der Beschäftigung dies zulassen. § 5 Abs. 2 ArbStättV verpflichtet sie allerdings, die Gesundheitsgefährdung zu minimieren. Diese Verpflichtung hat sie mit der baulichen Trennung des Raucherraums, seiner Be- und Entlüftung sowie der zeitlichen Begrenzung der Tätigkeit des Klägers im Raucherraum erfüllt.
Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns - Voraussetzungen einer Anrechenbarkeit von Überstundenzuschlägen und Urlaubs-/Weihnachtsgeld
(BAG, Urteil vom 25.05.2016 - 5 AZR 135/16)
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.05.2016 (5 AZR 135/16) folgendes entschieden:
Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Er erfüllt den Anspruch durch die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für Arbeit erbrachten Entgeltzahlungen, soweit diese dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Die Erfüllungswirkung fehlt nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen.
Das Arbeitsverhältnis der in Vollzeit beschäftigten Klägerin bestimmt sich nach einem schriftlichen Arbeitsvertrag, der neben einem Monatsgehalt besondere Lohnzuschläge sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld vorsieht. Im Dezember 2014 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Auszahlung der Jahressonderzahlungen. Seit Januar 2015 zahlt die Beklagte der Klägerin allmonatlich neben dem Bruttogehalt iHv. 1.391,36 Euro je 1/12 des Urlaubs- und des Weihnachtsgelds, in der Summe 1.507,30 Euro brutto.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Monatsgehalt und die Jahressonderzahlungen müssten ebenso wie die vertraglich zugesagten Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns iHv. 8,50 Euro brutto/Stunde geleistet werden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin Nachtarbeitszuschläge iHv. 0,80 Euro brutto zugesprochen und im Übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Die Klägerin hat aufgrund des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge. Der gesetzliche Mindestlohn tritt als eigenständiger Anspruch neben die bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändert diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 ist erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen kommt Erfüllungswirkung zu.
(BAG, Urteil vom 08.12.2015 - 1 AZR 595/14) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.12.2015 (1 AZR 595/14) folgendes entschieden:
Ein Sozialplan kann die Zahlung einer Abfindung auf Arbeitnehmer beschränken, die wegen der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Hingegen darf eine Betriebsvereinbarung, nach der Arbeitnehmer eine Sonderprämie erhalten, wenn sie auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, nicht solche ausschließen, die im Anschluss an ihre Entlassung anderweitig beschäftigt werden und von der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens absehen.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten übernahm im Jahr 2008 ein Unternehmen aus dem Konzern der Deutschen Telekom AG. In diesem wurden im Rahmen von Arbeitsverhältnissen auch Beamte beschäftigt, die vor der Postreform bei der Deutschen Bundespost eingesetzt waren. Für die Zeit ihrer Beschäftigung in der Privatwirtschaft war ihnen Sonderurlaub erteilt worden. Endet diese, sind sie amtsangemessen einzusetzen und zu besolden.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten legte ihren Betrieb im Verlauf des Jahres 2013 still und kündigte den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern. In einem Sozialplan war ua. die Zahlung von Abfindungen vorgesehen. Nach einer weiteren Vereinbarung erhielten Arbeitnehmer eine Sonderprämie, wenn sie gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keine Klage erheben. Die beurlaubten Beamten waren von beiden Leistungen ausgeschlossen. Das haben sie für gleichheitswidrig gehalten, weil auch solchen Arbeitnehmern eine Abfindung zustand, deren Arbeitsverhältnisse zur Deutschen Telekom AG oder einer ihrer Konzerngesellschaften bei Abschluss des Sozialplans nicht formgerecht beendet waren. Die unterschiedliche Behandlung bei der Sonderprämie sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, weil diese allein an die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage anknüpfe.
Die Klagen der beurlaubten Beamten hatten vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Der Sozialplan durfte die Zahlung von Abfindungen auf solche Arbeitnehmer beschränken, die aufgrund der Betriebsschließung von Arbeitslosigkeit bedroht waren. § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG erlaubt den Ausschluss von Sozialplanleistungen, wenn die entlassenen Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber weiterbeschäftigt werden können. Die beurlaubten Beamten sind nach der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse im Konzern der Deutschen Telekom AG amtsangemessen einzusetzen. Hingegen droht Arbeitnehmern Arbeitslosigkeit, deren Arbeitsverhältnisse mit der Deutschen Telekom AG oder einer ihrer Konzerngesellschaften nicht formwirksam beendet sind. Deren vormalige Arbeitgeber hatten sich nicht zu einer Weiterbeschäftigung bereit erklärt. Demgegenüber durften die beurlaubten Beamten nicht von der Zahlung der Klageverzichtsprämie ausgenommen werden. Diese Sonderzahlung diente der Planungssicherheit der kündigenden Arbeitgeberin. Hierfür kommt es auf das Bestehen einer Anschlussbeschäftigung nicht an.
(BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 09.12.2015 (10 AZR 423/14) folgendes entschieden:
Bestehen keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Nachtarbeitsstunden angemessen. Bei Dauernachtarbeit erhöht sich dieser Anspruch regelmäßig auf 30%.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Lkw-Fahrer im Paketlinientransportdienst tätig. Die Arbeitszeit beginnt in der Regel um 20.00 Uhr und endet unter Einschluss von Pausenzeiten um 6.00 Uhr. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Sie zahlte an den Kläger für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr einen Nachtzuschlag auf seinen Stundenlohn iHv. zunächst etwa 11%. Später hob sie diesen Zuschlag schrittweise auf zuletzt 20% an. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% vom Stundenlohn zu zahlen oder einen Freizeitausgleich von zwei Arbeitstagen für 90 geleistete Nachtarbeitsstunden zu gewähren. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben, das Landesarbeitsgericht hingegen nur einen Anspruch iHv. 25% festgestellt.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Bestehen - wie im Arbeitsverhältnis der Parteien - keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage angemessen. Eine Reduzierung der Höhe des Nachtarbeitsausgleichs kommt in Betracht, wenn während der Nachtzeit beispielweise durch Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst eine spürbar geringere Arbeitsbelastung besteht. Besondere Belastungen können zu einem höheren Ausgleichsanspruch führen. Eine erhöhte Belastung liegt nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen bei Dauernachtarbeit vor. In einem solchen Fall erhöht sich der Anspruch regelmäßig auf einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% bzw. eine entsprechende Anzahl freier Tage. Da der Kläger Dauernachtarbeit erbringt, steht ihm ein Ausgleichsanspruch iHv. 30% zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr gezahlter Zuschlag nicht anrechenbar. Ebenso wenig ist die Höhe des Stundenlohns des Klägers relevant. Erkennbare Anhaltspunkte dafür, dass in diesem bereits ein anteiliger Nachtarbeitszuschlag enthalten ist, bestehen nicht.
Griechisches Arbeitsrecht verstößt gegen EU-Recht - Wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden - griechische Ärzte nach nationalen Vorschriften zu Arbeit bis zu 93 Stunden verpflichtet
(EuGH, Urteil vom 23.12.2015 - C-180/14 Kommission/Griechenland)
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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 23.12.2015 (C-180/14) folgendes entschieden:
Das griechische Recht verstößt gegen das Recht der Union, weil Ärzte 24 Stunden oder länger in Folge arbeiten können. Griechenland hat die Wochenarbeitszeit nicht auf höchstens 48 Stunden begrenzt und weder eine tägliche Mindestruhezeit noch eine Ausgleichsruhezeit eingeführt.
Nach der EU-Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung darf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit nicht über 48 Stunden hinausgehen; und jedem Arbeitnehmer stehen pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden zu (EU-Richtlinie 2003/88/EG).
Zehn Verbände griechischer Ärzte reichten Beschwerde bei der Kommission ein. Die (angestellten oder in Ausbildung befindlichen) Ärzte waren, so die Verbände, nach den nationalen Rechtsvorschriften gezwungen, im Durchschnitt 60 bis 93 Stunden pro Woche zu arbeiten. Sie waren auch verpflichtet, regelmäßig bis zu 32 Stunden in Folge an ihrem Arbeitsplatz zu arbeiten, ohne dass ihnen tägliche oder wöchentliche Mindestruhezeiten oder gleichwertige Ausgleichsruhezeiten gewährt wurden. Die Kommission hat daher vor dem Gerichtshof eine Klage wegen Vertragsverletzung gegen Griechenland erhoben. Sie macht geltend, dass Griechenland gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, indem es keine Wochenarbeitszeit von höchstens 48 Stunden vorgesehen und/oder angewandt hat und indem es weder tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten noch eine Ausgleichsruhezeit, die sich unmittelbar an die auszugleichende Arbeitszeit anschließt, eingeführt hat.
Mit seinem Urteil vom heutigen Tag gibt der Gerichtshof der Vertragsverletzungsklage der Kommission statt.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Höchstdauer der Wochenarbeitszeit der Ärzte eine besonders wichtige Regel des Sozialrechts der Union darstellt, die jedem Arbeitnehmer als zur Gewährleistung des Schutzes seiner Gesundheit und seiner Sicherheit bestimmte Mindestvorschrift zugute kommen muss. Die Richtlinie verpflichtet daher die Mitgliedstaaten, eine Höchstgrenze von 48 Stunden für die durchschnittliche Wochenarbeitszeit einschließlich Überstunden vorzusehen. Im vorliegenden Fall kommen die aktiven Bereitschaftszeiten sowie die Rufbereitschaftszeiten, die tatsächlich im Krankenhaus verbracht werden, um medizinische Dienstleistungen zu erbringen, zu den 35 Stunden der normalen Arbeitswoche hinzu. Denn auch wenn die griechischen Rechtsvorschriften formal Höchstgrenzen für die Wochenarbeitszeit enthalten, sehen sie zugleich vor, dass Ärzte mehrere Rufbereitschaftsdienste pro Monat ableisten müssen, was zur Folge hat, dass sich ihre Anwesenheit am Arbeitsplatz verlängert, wenn sie ins Krankenhaus gerufen werden, um medizinische Leistungen zu erbringen. Ferner ermächtigen sie dazu, Mehrarbeitszeit in Form von Bereitschaften aufzuerlegen, ohne insoweit eine Höchstgrenze festzulegen.
Damit ermöglichen die griechischen Rechtsvorschriften eine Wochenarbeitszeit, die die Grenze von 48 Stunden überschreitet, ohne dass irgendeine eindeutige Bestimmung sicherstellen würde, dass die von Ärzten im Krankenhaus geleisteten Bereitschaftsstunden nicht zu einer solchen Überschreitung führen.
Zur täglichen Ruhezeit stellt der Gerichtshof fest, dass nationale Rechtsvorschriften, die Arbeitszeiten gestatten, die 24 Stunden in Folge andauern können, mit dem Unionsrecht unvereinbar sind. Nach den griechischen Rechtsvorschriften kann es, wenn sich an einen normalen Dienst unmittelbar eine Bereitschaft anschließt, vorkommen, dass ein Arzt über 24 Stunden hinaus in Folge und sogar bis zu 32 Stunden arbeitet, und zwar dann, wenn unmittelbar nach der Bereitschaft ein neuer normaler Dienst beginnt. Dass Ruhezeiten nur zu „anderen Zeiten“ gewährt werden, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der verlängerten Arbeitszeit aufweisen, berücksichtigt nicht in geeigneter Weise die Notwendigkeit, die allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer einzuhalten, die die Grundlage der Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung bilden. Indem sie vorsehen, dass die Ruhezeit von 24 Stunden, die Ärzten nach jeder aktiven Bereitschaft zu gewähren ist, bis um eine Woche nach dem Tag des Bereitschaftsdienstes verschoben werden kann, stehen die griechischen Rechtsvorschriften nicht in Einklang mit der Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung.
(LAG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 27.10.2015) mehr
Das Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg hat aus aktuellem Anlass mit Pressemitteilung Nr. 34/15 vom 27.10.2015 folgendes erklärt:
„Der Akademische Senat der Freien Universität Berlin hat nach Presseberichten die Ernennung eines Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg allein deswegen abgelehnt, weil der Richter im Jahr 2008 in erster Instanz an dem so genannten „Pfandbon-Urteil“ (auch als 'Emmely-Urteil' bekannt geworden, d. Verf.) mitgewirkt und dabei die Kündigungsschutzklage der betroffenen Arbeitnehmerin abgewiesen hat.
Richterinnen und Richter haben sich als Vertreter der 'Dritten Gewalt' einer Diskussion ihrer Tätigkeit zu stellen. Eine Urteilskritik ist nicht nur zulässig, sondern wünschenswert. Die genannte Entscheidung des Akademischen Senats stellt jedoch nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg eine sachwidrige Maßregelung des betroffenen Richters dar, die weder durch die universitäre Selbstverwaltung noch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt wird. Sie schadet nicht nur der Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch der Qualität und Unabhängigkeit der universitären Lehre.“
Anmerkung d. Verf.:
In dem sog. „Emmely-Urteil“ waren sowohl das Arbeitsgericht Berlin (Urteil 21.08.2008 - 2 Ca 3632/08) unter Vorsitz des nunmehr vom Akademischen Senat der FU abgelehnten Vorsitzenden Richters, der inzwischen Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ist, als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 24.02.2009 - 7 Sa 2017/08) unter Vorsitz einer anderen Vorsitzenden zu dem Ergebnis gelangt, dass die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung von Vermögensrechten des Arbeitgebers durch eine Arbeitnehmerin auch dann eine fristlose Kündigung rechtfertigt, wenn es sich nur um eine geringwertige Sache (hier: 2 Pfandbons über insgesamt 1,30 EUR) handelt. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht waren dabei der - bisherigen - Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09) hatte die Urteile jedoch aufgehoben und die Kündigung für unwirksam erklärt. Denn zwar habe das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten der Arbeitnehmerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar - und zwar auch trotz der Geringwertigkeit der Bons. Aber angesichts des lange ungestört bestehenden Arbeitsverhältnisses von 31 Jahren sei der dadurch erarbeitete „Vorrat an Vertrauen“ durch einen erstmaligen Vorfall „nicht vollständig aufgezehrt“ worden; vielmehr hätte eine Abmahnung ausgereicht. Diese „Vorratsrechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts ist in der Lehre und der Rechtsprechung der unteren Arbeitsgerichte nicht ohne Kritik geblieben.
(BAG, Urteil vom 20.10.2015 - 9 AZR 224/14) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.10.2015 (9 AZR 224/14) folgendes entschieden:
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht nach § 7 Abs. 4 BUrlG ein Anspruch auf Abgeltung des wegen der Beendigung nicht erfüllten Anspruchs auf Urlaub. Wird danach ein neues Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber begründet, ist dies in der Regel urlaubsrechtlich eigenständig zu behandeln. Der volle Urlaubsanspruch wird erst nach (erneuter) Erfüllung der Wartezeit des § 4 BUrlG erworben. Der Teilurlaub gemäß § 5 BUrlG berechnet sich grundsätzlich eigenständig für jedes Arbeitsverhältnis.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.01.2009 beschäftigt. Arbeitsvertraglich schuldete die Beklagte jährlich 26 Arbeitstage Urlaub in der 5-Tage-Woche. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012. Am 21.06.2012 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 02.07.2012 (Montag) einen neuen Arbeitsvertrag. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristloser Kündigung der Beklagten am 12. Oktober 2012. Die Beklagte gewährte dem Kläger 2012 drei Tage Urlaub.
Die Parteien haben noch darüber gestritten, ob die Beklagte verpflichtet ist, über 17 hinaus weitere sechs Urlaubstage mit 726,54 Euro brutto abzugelten. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, mit Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses beginne ein vom vorherigen Arbeitsverhältnis unabhängiger neuer urlaubsrechtlicher Zeitraum. Der Kläger habe deshalb für beide Arbeitsverhältnisse nur Teilurlaubsansprüche erworben. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Jedenfalls in den Fällen, in denen aufgrund vereinbarter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereits vor Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses feststeht, dass es nur für eine kurze Zeit unterbrochen wird, entsteht ein Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet.
Anträge auf einstweilige Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz erfolglos – Entscheidung in der Hauptsache soll bis zum Ende 2016 fallen
(BVerfG, Beschlüsse vom 06.10.2015 – 1 BvR 1571/15 u.a.)
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschlüssen vom 06.10.2015 (1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 1582/15) folgendes entschieden:
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz werden abgelehnt. Soll ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden, gelten besonders hohe Hürden. Vorliegend sind jedoch keine entsprechend gravierenden, irreversiblen oder nur schwer revidierbaren Nachteile feststellbar, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machten. Derzeit ist nicht absehbar, dass den Beschwerdeführern bei Fortgeltung des Tarifeinheitsgesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Aushandeln von Tarifverträgen längerfristig unmöglich würde oder sie im Hinblick auf ihre Mitgliederzahl oder ihre Tariffähigkeit in ihrer Existenz bedroht wären. Im Hauptsacheverfahren, dessen Ausgang offen ist, strebt der Erste Senat eine Entscheidung bis zum Ende des nächsten Jahres an.
a) So ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer oder Dritte im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die der Senat bis zum Ende nächsten Jahres anstrebt, gravierende, kaum revidierbare oder irreversible Nachteile erleiden, weil die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit schon vor Eintritt des Kollisionsfalls Wirkungen entfaltet. Soweit die Beschwerdeführer ihre tarifpolitische Verhandlungsmacht durch das Tarifeinheitsgesetz geschwächt sehen, liegt darin zwar ein Nachteil. Das angegriffene Gesetz untersagt jedoch nicht die tarifpolitische Betätigung an sich.
Allerdings hat ein Beschwerdeführer einzelne Fälle vorgetragen, in denen es Arbeitgeber unter Hinweis auf das Tarifeinheitsgesetz verweigert haben, Tarifverhandlungen zu führen, oder Tarifverhandlungen abgebrochen haben. Dabei handelt es sich um durchaus gewichtige Nachteile; diese sind jedoch für den hier begrenzten Zeitraum noch hinzunehmen. Das Tarifeinheitsgesetz regelt zudem nicht unmittelbar die Zulässigkeit von Maßnahmen des Arbeitskampfes, die grundsätzlich vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst sind.
b) Es ist derzeit nicht absehbar, inwieweit es im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich in einem Ausmaß zur Anwendung der Kollisionsregel des § 4a TVG kommt, der eine einstweilige Anordnung unabdingbar erscheinen ließe. Zwar kann auch schon in diesem Zeitraum ein Kollisionsfall eintreten. Doch haben die Tarifvertragsparteien unterschiedliche tarifpolitische Möglichkeiten, dies zu vermeiden. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass verdrängte Tarifverträge auch für die Vergangenheit Geltung beanspruchen, falls die angegriffene Kollisionsregel für nichtig erklärt werden sollte.
c) Auch irreversible oder existenzgefährdende Veränderungen im Mitgliederbestand sind jedenfalls für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache weder hinreichend konkret zu erwarten noch zwingend. Eine realistische Prognose, ob und wie viele Mitglieder die Beschwerdeführer im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlieren könnten, die nicht zurück zu gewinnen wären, liegt nicht vor. Desgleichen ist nicht hinreichend konkret erkennbar, dass das Tarifeinheitsgesetz kurzfristig zu organisations- oder verbandspolitischen Neuausrichtungen der Gewerkschaften zwänge, die sich für diese existenzgefährdend auswirkten. Jedenfalls ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer in ihrer Tariffähigkeit und damit ihrer tarifpolitischen Existenz ernstlich gefährdet wären.
(BAG, Urteil vom 16.07.2015 - 2 AZR 85/15) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.07.2015 (2 AZR 85/15) folgendes entschieden:
Ein Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann darin liegen, dass ein Arbeitnehmer privat beschaffte Bild- oder Tonträger während der Arbeitszeit unter Verwendung seines dienstlichen Computers unbefugt und zum eigenen oder kollegialen Gebrauch auf dienstliche „DVD-“ bzw. „CD-Rohlinge“ kopiert. Das gilt unabhängig davon, ob darin zugleich ein strafbewehrter Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz liegt. Über einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden.
Der Kläger war seit Februar 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er nahm die Funktion des „IT-Verantwortlichen“ beim Oberlandesgericht N. wahr. Zu seinen Aufgaben gehörte ua. die Verwaltung des „ADV-Depots“. Mit ihr war die Bestellung des für die Datenverarbeitung benötigten Zubehörs - etwa von Datensicherungsbändern, CDs und DVDs - verbunden. Anfang März 2013 räumte der Leiter der Wachtmeisterei in einem Personalgespräch ein, den dienstlichen Farbdrucker seit längerer Zeit zur Herstellung sog. „CD-Cover“ genutzt zu haben. Bei einer Mitte März 2013 erfolgten Geschäftsprüfung wurden auf den Festplatten eines vom Kläger genutzten Rechners mehr als 6.400 E-Book-, Bild-, Audio- und Videodateien vorgefunden. Zudem war ein Programm installiert, das geeignet war, den Kopierschutz der Hersteller zu umgehen. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 DVDs bearbeitet worden waren. Im gleichen Zeitraum waren etwa gleich viele DVD-Rohlinge von Seiten des Gerichts bestellt und geliefert worden. Bei näherer Untersuchung und Auswertung der vom Kläger benutzten Festplatten wurden Anfang April 2013 weitere (Audio-)Dateien aufgefunden. Der Kläger ließ sich im Verlauf der Ermittlungen dahin ein, alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs sei, habe er „gemacht“. Er habe für andere Mitarbeiter „natürlich auch kopiert“. Die Äußerungen nahm er einige Tage später „ausdrücklich zurück“. Mit Schreiben vom 18. April 2013 erklärte das beklagte Land die außerordentliche fristlose, mit Schreiben vom 13. Mai 2013 hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigungen seien schon deshalb unwirksam, weil unklar sei, welchen Tatbeitrag gerade der Kläger zu den in Rede stehenden Kopier- und Brennvorgängen geleistet habe. Zudem habe das beklagte Land durch lediglich eigene Ermittlungen - ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden - weder eine umfassende, den Kläger möglicherweise entlastende Aufklärung leisten, noch den Beginn der zweiwöchigen Frist für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung hemmen können. Im Übrigen habe es gegenüber den anderen Beteiligten keine vergleichbaren Maßnahmen ergriffen und den Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet.
Die Revision des beklagten Landes hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Eine (fristlose) Kündigung kommt auch dann in Betracht, wenn der Kläger nicht alle fraglichen Handlungen selbst vorgenommen, sondern dabei mit anderen Bediensteten zusammengewirkt oder das Herstellen von „Raubkopien“ durch diese bewusst ermöglicht hat. Aus dem Umstand, dass es ihm erlaubt gewesen sein mag, seinen dienstlichen Rechner für bestimmte andere private Zwecke zu nutzen, konnte er nicht schließen, ihm seien die behaupteten Kopier- und Brennvorgänge gestattet.
Die fristlose Kündigung ist ebenso wenig deshalb unwirksam, weil das beklagte Land Ermittlungen zunächst selbst angestellt und nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet hat. Ein solches Vorgehen ist dem Arbeitgeber grundsätzlich unbenommen. Solange er die Ermittlungen zügig durchführt, wird auch dadurch der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt.
Nicht entscheidend ist, welche Maßnahmen das beklagte Land gegenüber den anderen Bediensteten ergriffen hat. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Rahmen verhaltensbedingter Kündigungen grundsätzlich keine Anwendung. Im Übrigen ist nicht festgestellt, inwieweit sich die Sachverhalte unter Berücksichtigung der Einzelheiten und der Stellung der anderen Beschäftigten wirklich gleichen.
Da auch die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgte, hat das Bundesarbeitsgericht das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
(BAG, Urteil vom 19.08.2015 - 5 AZR 975/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.08.2015 (5 AZR 975/13) folgendes entschieden:
Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs setzt ein erfüllbares, d.h. tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Bei rückwirkender Begründung des Arbeitsverhältnisses liegt ein solches für den vergangenen Zeitraum nicht vor.
Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1987 ging ihr Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf eine neu gegründete Gesellschaft, die C. GmbH, über. Die Beklagte garantierte ihr ein Rückkehrrecht. Über das Vermögen der C. GmbH wurde am 1. Oktober 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet, worauf der Klägerin wegen Betriebsschließung zum 31. Januar 2010 gekündigt wurde. Die Klägerin machte ihr Rückkehrrecht gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend. Die Beklagte lehnte den Abschluss eines Arbeitsvertrags unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 2005 (- 7 AZR 32/05 -) in einem nach ihrer Auffassung vergleichbaren Fall ab. Das Landesarbeitsgericht verurteilte die Beklagte rechtskräftig dazu, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ab dem 1. Februar 2010 anzunehmen.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage rückständiges Arbeitsentgelt für die Zeit ab 1. Februar 2010. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs besteht nicht. Dieser setzt ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis ist für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht tatsächlich durchführbar. Die Beklagte schuldet die Vergütung auch nicht nach § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB, weil sie die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die Vergangenheit nicht zu verantworten hat. Die Beklagte befand sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.
"Außendienstler": Fahrten zwischen Wohnort und erstem sowie letztem Kunden des Tages sind Arbeitszeit
(EuGH, Urteil vom 10.09.2015 - C-266/14)
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Der Europäische Gerichtshof (Luxemburg) hat mit Urteil vom 10.09.2015 (C-266/14) folgendes entschieden:
Die Fahrten, die Arbeitnehmer ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, stellen Arbeitszeit dar. Es würde dem unionsrechtlichen Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zuwiderlaufen, wenn diese Fahrten keine Arbeitszeit wären.
In einer Unionsrichtlinie ist die Arbeitszeit als jede Zeitspanne definiert, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Jede Zeitspanne, die keine Arbeitszeit ist, gilt als Ruhezeit.
Die Gesellschaften Tyco Integrated Security und Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios (im Folgenden: Tyco) sind in den meisten Provinzen Spaniens in der Installation und Wartung von Sicherheitssystemen zur Verhinderung von Diebstählen tätig. 2011 schloss Tyco ihre Regionalbüros und wies alle ihre Angestellten dem Zentralbüro in Madrid zu.
Die bei Tyco angestellten Techniker installieren und warten Sicherheitsvorrichtungen in Häusern sowie industriellen und gewerblichen Einrichtungen in dem ihnen zugewiesenen Gebiet, so dass sie keinen festen Arbeitsort haben. Dieses Gebiet kann eine ganze Provinz oder einen Teil davon oder gelegentlich mehrere Provinzen umfassen. Den Arbeitnehmern steht jeweils ein Firmenfahrzeug zur Verfügung, um täglich von ihrem Wohnort zu den verschiedenen Arbeitsorten und am Ende des Tages zurück nach Hause zu fahren. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und ihren Einsatzorten kann beträchtlich variieren und manchmal über 100 Kilometer bzw. bis zu drei Stunden betragen. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfügen die Arbeitnehmer jeweils über ein Mobiltelefon, mit dem sie aus der Ferne mit dem Zentralbüro in Madrid kommunizieren können. Am Vortag ihres Arbeitstags erhalten die Arbeitnehmer einen Fahrplan mit den verschiedenen Standorten, die sie an dem jeweiligen Tag in ihrem Gebiet aufsuchen müssen, und den Uhrzeiten der Kundentermine.
Tyco rechnet die Fahrzeit „Wohnort-Kunden“ (d. h. die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten von ihr bestimmten Kunden) nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit an. Sie berechnet die tägliche Arbeitszeit, indem sie auf die Zeit zwischen der Ankunft ihrer Angestellten am Standort des ersten Kunden und ihrer Abreise vom Standort des letzten Kunden abstellt, wobei ausschließlich die Einsatzzeiten an den Standorten und die Fahrzeiten von einem Kunden zum anderen berücksichtigt werden. Vor der Schließung der Regionalbüros berechnete Tyco die tägliche Arbeitszeit ihrer Angestellten ab der Ankunft im Büro (dem Zeitpunkt, zu dem die Angestellten das ihnen zur Verfügung gestellte Fahrzeug, die Kundenliste und den Fahrplan entgegennahmen) bis zur Rückkehr im Büro am Abend (dem Zeitpunkt, zu dem das Fahrzeug abgegeben wurde).
Die mit der Rechtssache befasste Audiencia Nacional (Nationales Gericht, Spanien) fragt, ob die Zeit, die die Arbeitnehmer für die Fahrt zu Beginn und am Ende des Tages aufwenden, als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie anzusehen ist.
Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Fahrzeit, die Arbeitnehmer, die wie die Arbeitnehmer in der fraglichen Situation keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben, für die täglichen Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden aufwenden, Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie darstellt. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist bei Arbeitnehmern, die sich in einer solchen Situation befinden, anzunehmen, dass sie während der gesamten Fahrzeit ihre Tätigkeiten ausüben oder ihre Aufgaben wahrnehmen. Die Fahrten der Arbeitnehmer zu den von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden sind das notwendige Mittel, um an den Standorten dieser Kunden technische Leistungen zu erbringen. Andernfalls könnte Tyco geltend machen, dass nur die für die Tätigkeit der Installation und Wartung der Sicherheitssysteme aufgewandte Zeit unter den Begriff „Arbeitszeit“ falle, was zur Folge hätte, dass dieser Begriff verfälscht und das Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigt würde. Dass Tyco vor der Schließung der Regionalbüros die Fahrten der Arbeitnehmer zu Beginn und am Ende des Tages zu oder von den Kunden als Arbeitszeit betrachtete, zeigt im Übrigen, dass die Aufgabe, ein Fahrzeug von einem Regionalbüro zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zu diesem Büro zu führen, zuvor zu den Aufgaben und zur Tätigkeit dieser Arbeitnehmer gehörte. Am Wesen dieser Fahrten hat sich aber seit der Schließung der Regionalbüros nichts geändert. Nur der Ausgangspunkt der Fahrten wurde geändert.
Nach Ansicht des Gerichtshofs stehen die Arbeitnehmer während der Fahrzeiten dem Arbeitgeber zur Verfügung. Während dieser Fahrten unterstehen die Arbeitnehmer nämlich den Anweisungen ihres Arbeitgebers, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen kann. Während der erforderlichen Fahrzeit, die sich zumeist nicht verkürzen lässt, haben die Arbeitnehmer somit nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen.
Der Gerichtshof ist ferner der Ansicht, dass die Arbeitnehmer während der Fahrten arbeiten. Bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, ist auch davon auszugehen, dass er während dieser Fahrt arbeitet. Da die Fahrten nämlich untrennbar zum Wesen eines solchen Arbeitnehmers gehören, kann sein Arbeitsort nicht auf die Orte beschränkt werden, an denen er bei den Kunden des Arbeitgebers physisch tätig wird. Dass die Arbeitnehmer die Fahrten an ihrem Wohnort beginnen und beenden, ist eine unmittelbare Folge der Entscheidung ihres Arbeitgebers, die Regionalbüros zu schließen, und nicht Ausdruck ihres eigenen Willens. Würden sie gezwungen, die Folgen der Entscheidung ihres Arbeitgebers zu tragen, liefe dies dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zuwider, das die Notwendigkeit einschließt, den Arbeitnehmern eine Mindestruhezeit zu gewährleisten.
(BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 - 2 C 16.14) mehr
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16.07.2015 (2 C 16.14) folgendes entschieden:
Teilzeitbeschäftigte dürfen nur entsprechend ihrer Teilzeitquote zur Dienstleistung herangezogen werden. Deshalb muss der Teilzeitquote bei Übertragung von Funktionstätigkeiten Rechnung getragen werden oder ein zeitlicher Ausgleich durch entsprechend geringere Heranziehung zu anderen Aufgaben erfolgen.
Die Klägerin ist als Oberstudienrätin (Besoldungsgruppe A 14) an einem Gymnasium in Niedersachsen mit einer Pflichtstundenzahl von 13/23,5 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt. Mit dem Amt eines Oberstudienrats ist in Niedersachsen stets die Verpflichtung zur Übernahme einer Funktionstätigkeit verbunden, d.h. einer dauerhaften, nicht unmittelbar unterrichtsbezogenen schulischen Verwaltungsaufgabe (Beispiele: Leitung der Schulbibliothek, Organisation des Schüleraustauschs).
Den Antrag der Klägerin auf Reduzierung der Funktionstätigkeit entsprechend ihrer Teilzeitquote, hilfsweise auf Gewährung von Zeitausgleich bzw. einer zusätzlichen Vergütung hat die beklagte Landesschulbehörde unter Verweis auf die niedersächsische Erlasslage abgelehnt. Die von der Klägerin hiergegen erhobene Klage ist erst- und zweitinstanzlich erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die einem Oberstudienrat auferlegte zusätzliche Funktionstätigkeit dem Bereich der außerunterrichtlichen Tätigkeit zuzurechnen sei, der pauschal von der wöchentlichen Pflichtstundenzahl erfasst sei und daher nicht zur Erhöhung der Gesamtarbeitszeit führe. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Klägerin gegenüber vollzeitbeschäftigen A 14-Lehrkräften liege nicht vor, da der maßgebliche Teilzeitbeschäftigungserlass Möglichkeiten vorsehe, die Mehrbelastung hinreichend auszugleichen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 GG, und Unionsrecht verlangen gleichermaßen, in Teilzeit Beschäftigte nur entsprechend ihrer Teilzeitquote zur Dienstleistung heranzuziehen. Deshalb dürfen teilzeitbeschäftigte Lehrer in der Summe ihrer Tätigkeiten (Unterricht, Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Teilnahme an Klassen- und Schulkonferenzen, Elterngespräche, Vertretungsstunden etc., aber auch Funktionstätigkeiten) nur entsprechend ihrer Teilzeitquote zur Dienstleistung herangezogen werden. Das bedeutet, dass der Teilzeitquote bei der Übertragung von Funktionstätigkeiten Rechnung getragen werden oder ein zeitlicher Ausgleich durch entsprechend geringere Heranziehung zu anderen Aufgaben (z.B. keine oder weniger Vertretungsstunden) erfolgen muss. Weil das Oberverwaltungsgericht keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Klägerin in der Summe entsprechend ihrer Teilzeitquote oder hierüber hinausgehend zur Dienstleistung herangezogen wurde und wird, war die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
(BAG, Beschluss vom 18.06.2015 - 8 AZR 848/13 (A)) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 18.06.2015 (8 AZR 848/13 (A)) u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?
Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen abgeschlossen und ist seither überwiegend als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der Fachrichtung Jura wurden zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont zu verfügen. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung iHv. 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.
Aufgrund der Bewerbungsformulierung und des weiteren Verhaltens geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat. Das Bewerbungsschreiben steht einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Die Einladung zu einem Personalgespräch hat er ausgeschlagen. Damit ist der Kläger nach nationalem Recht nicht „Bewerber“ und „Beschäftigter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Das Unionsrecht nennt jedoch in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“, sondern schützt den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. Nicht geklärt ist, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht und eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt ist. Ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt, ist eine allein dem Gerichtshof überantwortete Auslegungsfrage.
(BAG, Beschluss vom 17.06.2015 - 4 AZR 61/14 (A)) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Beschluss vom 17.06.2015 (4 AZR 61/14 (A)) um eine Vorabentscheidung zur Vereinbarkeit seiner Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB mit Unionsrecht ersucht.
Dabei geht es um die Wirkung einer zwischen dem Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbarten Klausel, die dynamisch auf einen Tarifvertrag verweist, im Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber.
Der Kläger ist seit 1978 als Hausarbeiter in einem Krankenhaus beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist eine Verweisung auf den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/Arbeiterinnen gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge vereinbart. Träger des Krankenhauses war ursprünglich ein Landkreis, der Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) war. Im Jahr 1995 wurde das Krankenhaus privatisiert und nunmehr von einer GmbH betrieben, die ebenfalls Mitglied im KAV war. Mit Blick auf eine geplante Ausgliederung schlossen die GmbH, deren Betriebsrat und die K. FM GmbH i.G. im Jahr 1997 einen Personalüberleitungsvertrag. Danach sollten „der BMT-G II in der jeweils geltenden Fassung einschließlich der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge“ für die Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter „weiterhin“ bei dem Betriebserwerber Anwendung finden. Am 31. Dezember 1997 ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, auf die K. FM GmbH i.G. über, die nicht Mitglied im KAV war. In der Folgezeit wurde auf das Arbeitsverhältnis weiterhin der BMT-G II angewandt. Die K. FM GmbH gab allerdings die beiden tariflichen Lohnerhöhungen im Jahr 2004 nicht weiter. Mit Wirkung zum 1. Juli 2008 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte über. Diese wandte auf das Arbeitsverhältnis weiterhin die Vorschriften des BMT-G II an. Mit seiner Klage hat der Kläger die Anwendung des TVöD-VKA und des TVÜ-VKA auf sein Arbeitsverhältnis begehrt. Er ist - anders als die Beklagte - der Auffassung, diese seien als den BMT-G II ersetzende Tarifverträge auf sein Arbeitsverhältnis dynamisch anwendbar. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts geht davon aus, dass der Erwerber eines Betriebsteils nach nationalem Recht aufgrund von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB an eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die auf Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt und deren Regelungen aufgrund privatautonomer Willenserklärungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht hat (sog. dynamische Bezugnahmeklausel), vertraglich so gebunden ist, als habe er diese Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen. Im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV soll geklärt werden, ob dieser Auslegung des nationalen Rechts unionsrechtliche Vorschriften - insbesondere Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - entgegenstehen. Für deren Auslegung ist allein der EuGH zuständig.
(BAG, Urteil vom 19.05.2015 - 9 AZR 725/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom Urteil vom 19.05.2015 (9 AZR 725/13) folgendes entschieden:
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub wegen Elternzeit nicht mehr kürzen. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen kann, setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat. Die bisherige Rechtsprechung zur Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte auf der vom Senat vollständig aufgegebenen Surrogatstheorie. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch. Dieser verdankt seine Entstehung zwar urlaubsrechtlichen Vorschriften. Ist der Abgeltungsanspruch entstanden, bildet er jedoch einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers und unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.
Die Klägerin war ab April 2007 gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 2.000,00 Euro im Seniorenheim der Beklagten als Ergotherapeutin beschäftigt. Bei einer Fünftagewoche standen ihr im Kalenderjahr 36 Urlaubstage zu. Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2010 ab Mitte Februar 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 15. Mai 2012 in Elternzeit. Mit Anwaltsschreiben vom 24. Mai 2012 verlangte sie von der Beklagten ohne Erfolg die Abrechnung und Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 bis 2012. Im September 2012 erklärte die Beklagte die Kürzung des Erholungsurlaubs der Klägerin wegen der Elternzeit.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, die nachträgliche Kürzung des Erholungsurlaubs der Klägerin für unwirksam erachtet und dieser deshalb Urlaubsabgeltung iHv. 3.822,00 Euro brutto zugesprochen.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte konnte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15. Mai 2012 mit ihrer Kürzungserklärung im September 2012 den Anspruch der Klägerin auf Erholungsurlaub wegen der Elternzeit nicht mehr verringern. Auf die Beantwortung der vom Landesarbeitsgericht bejahten Frage, ob die in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG geregelte Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kam es nicht an.
Mindestlohn für pädagogisches Personal auch bei Entgeltfortzahlung an Feiertagen und bei Arbeitsunfähigkeit - durchschnittlicher Verdienst der letzten 13 Wochen
(BAG, Urteil vom 13.05.2015 - 10 AZR 191/14) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.05.2015 (10 AZR 191/14) folgendes entschieden:
Die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall des pädagogischen Personals in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen berechnet sich nach den für diesen Personenkreis erlassenen Mindestlohnvorschriften.
Die Klägerin war bei der Beklagten als pädagogische Mitarbeiterin beschäftigt. Sie betreute Teilnehmer in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III. Das Arbeitsverhältnis unterfiel kraft "Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch" (MindestlohnVO) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales dem Geltungsbereich des Tarifvertrags zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 (TV-Mindestlohn). Dieser sah eine Mindeststundenvergütung von 12,60 Euro brutto vor. Die Beklagte zahlte zwar für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs diese Mindeststundenvergütung, nicht aber für durch Feiertage oder Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Stunden. Auch die Urlaubsabgeltung berechnete sie nur nach der geringeren vertraglichen Vergütung.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin für Feiertage, Krankheitszeiten und als Urlaubsabgeltung nach Maßgabe des TV-Mindestlohn eine Nachzahlung in Höhe von 1.028,90 Euro brutto verlangt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Nach den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (§ 2 Abs. 1, § 3 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG) hat der Arbeitgeber für Arbeitszeit, die aufgrund eines gesetzlichen Feiertags oder wegen Arbeitsunfähigkeit ausfällt, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte (Entgeltausfallprinzip). Die Höhe des Urlaubsentgelts und einer Urlaubsabgeltung bestimmt sich gemäß § 11 BUrlG nach der durchschnittlichen Vergütung der letzten dreizehn Wochen (Referenzprinzip). Diese Regelungen finden auch dann Anwendung, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach einer Mindestlohnregelung richtet, die - wie hier die MindestlohnVO - keine Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung und zum Urlaubsentgelt enthält. Ein Rückgriff des Arbeitgebers auf eine vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung ist in diesen Fällen deshalb unzulässig.
Angemessenheit der Ausbildungsvergütung richtet sich nach der Verkehrsanschauung – Unterschreitung um mehr als 20% eines einschlägigen Tarifvertrages ist nicht mehr angemessen
(BAG, Urteil vom 29.04.2015 - 9 AZR 108/14) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.04.2015 (9 AZR 108/14) folgendes entschieden:
Ausbildende haben Auszubildenden gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG eine angemessene Vergütung zu gewähren. Maßgeblich für die Angemessenheit ist die Verkehrsanschauung. Wichtigster Anhaltspunkt für diese sind die einschlägigen Tarifverträge. Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht mehr angemessen, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag geregelte um mehr als 20 vH unterschreitet. Handelt es sich bei dem Ausbildenden um eine gemeinnützige juristische Person, rechtfertigt allein der Status der Gemeinnützigkeit es nicht, bei der Prüfung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung von einer Orientierung an den einschlägigen Tarifverträgen abzusehen. Eine durch Spenden Dritter finanzierte Ausbildungsvergütung, die mehr als 20 vH unter den tariflichen Sätzen liegt, ist allerdings noch nicht zwingend unangemessen. Vielmehr kann der Ausbildende die darauf gerichtete Vermutung widerlegen, indem er darlegt, dass besondere Umstände die niedrigere Ausbildungsvergütung rechtfertigen.
Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Zweck der Förderung der qualifizierten Berufsausbildung. Dazu schließt er Berufsausbildungsverträge ab. Die Ausbildung der Auszubildenden erfolgt in seinen Mitgliedsbetrieben. Der im September 1990 geborene Kläger bewarb sich im Januar 2008 bei einem solchen Mitgliedsunternehmen um einen Ausbildungsplatz zum Maschinen- und Anlageführer. Der Berufsausbildungsvertrag wurde mit dem Beklagten geschlossen. Die Ausbildung erfolgte in dem Unternehmen, bei dem sich der Kläger beworben hatte. Dieser erhielt während des Ausbildungsverhältnisses vom 1. September 2008 bis zum 7. Februar 2012 nur ca. 55 vH der Ausbildungsvergütung nach den Tarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie in Bayern. Mit seiner Klage verlangt der Kläger auf der Grundlage der tariflichen Ausbildungsvergütung die Zahlung weiterer 21.678,02 Euro brutto.
Die Klage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht die Unangemessenheit der vom Beklagten gezahlten Ausbildungsvergütung festgestellt und entgegen der Ansicht des Beklagten rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Ausbildungsvergütung auch eine Entlohnung der geleisteten Arbeit darstellt. Diese kam zwar nicht dem Beklagten selbst, jedoch seinem Mitgliedsunternehmen zugute. Besondere Umstände, die geeignet sein könnten, trotz des Unterschreitens der tariflichen Ausbildungssätze um fast 50 vH die Vermutung der Unangemessenheit der vom Beklagten gezahlten Ausbildungsvergütung zu widerlegen, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Der Beklagte hat solche Umstände auch nicht dargetan.
(BAG, Urteil vom 19.02.2015 - 8 AZR 1011/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.02.2015 (8 AZR 1011/13) folgendes entschieden:
Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse von Arbeitnehmern nur mit ihrer Einwilligung veröffentlicht werden. Diese muss schriftlich erfolgen. Eine ohne Einschränkung erteilte Einwilligung des Arbeitnehmers erlischt nicht automatisch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Sie kann aber widerrufen werden, wenn dafür ein plausibler Grund angegeben wird.
Der Kläger war im Sommer 2007 in die Dienste der Beklagten getreten, die ein Unternehmen für Klima- und Kältetechnik mit etwa 30 Arbeitnehmern betreibt. Im Herbst 2008 erklärte der Kläger schriftlich seine Einwilligung, dass die Beklagte von ihm als Teil der Belegschaft Filmaufnahmen macht und diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit verwendet und ausstrahlt. Danach ließ die Beklagte einen Werbefilm herstellen, in dem zweimal die Person des Klägers erkennbar abgebildet wird. Das Video konnte von der Internet-Homepage der Beklagten aus angesteuert und eingesehen werden. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete im September 2011. Im November 2011 erklärte der Kläger den Widerruf seiner „möglicherweise“ erteilten Einwilligung und forderte die Beklagte auf, das Video binnen 10 Tagen aus dem Netz zu nehmen. Dem folgte die Beklagte - unter Vorbehalt - Ende Januar 2012. Der Kläger verlangt die Unterlassung weiterer Veröffentlichung und Schmerzensgeld.
Die Klage war vor dem Arbeitsgericht teilweise, vor dem Landesarbeitsgericht zur Gänze erfolglos geblieben. Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat keinen Erfolg. Unterstellt, die Abbildungen vom Kläger in dem Video bedurften seiner Einwilligung nach § 22 KUG, so hatte die Beklagte diese erhalten. Auch das Erfordernis einer schriftlichen Einwilligung, das sich aus dem Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung ergibt, war im Falle des Klägers erfüllt. Seine ohne Einschränkungen gegebene schriftliche Zustimmung erlosch nicht automatisch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Ein späterer Widerruf war grundsätzlich möglich, jedoch hat der Kläger für diese gegenläufige Ausübung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung keinen plausiblen Grund angegeben. Er kann daher eine weitere Veröffentlichung nicht untersagen lassen und würde durch diese in seinem Persönlichkeitsrecht nicht verletzt werden.
Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen – nur zulässig bei konkretem Tatverdacht
(BAG, Urteil vom 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.02.2015 (8 AZR 1007/13) folgendes entschieden:
Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen. Die Klägerin habe erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher Behandlung bedürften.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.000,00 Euro stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien blieben vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes war revisionsrechtlich nicht zu korrigieren. Es war nicht zu entscheiden, wie Videoaufnahmen zu beurteilen sind, wenn ein berechtigter Anlass zur Überwachung gegeben ist.
Ansprüche auf Schichtzulagen oder Zeitzuschläge können nicht ge-/verpfändet oder abgetreten werden – de facto steigt „unpfändbarer“ Teil des Arbeitsentgelts – Revision zum BAG zugelassen
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.01.2015 - 3 Sa 1335/14) mehr
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit am 18.02.2015 veröffentlichtem Urteil vom 09.01.2015 (3 Sa 1335/14) folgendes entschieden:
Die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Schichtzulagen sowie auf Zuschläge für Nachtarbeit-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind unpfändbar und können nicht abgetreten werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden.
Der Kläger ist bei dem beklagten Landkreis als Angestellter beschäftigt. Er trat im Rahmen eines Privatinsolvenzverfahrens seine pfändbaren Bezüge an eine Treuhänderin ab. Mit seiner Klage hat der Kläger die Auszahlung von tariflichen Wechselschichtzulagen sowie Zuschlägen für Dienste zu ungünstigen Zeiten mit der Begründung begehrt, die Zuschläge seien unpfändbar.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage – wie bereits das Arbeitsgericht – entsprochen. Nach § 850 a Nr. 3 Zivilprozessordnung – ZPO sind u. a. „Schmutz- und Erschwerniszulagen“ unpfändbar, wobei zwischen verschiedenen Erschwernissen der Arbeit nicht unterschieden werde. Erschwernisse für den Arbeitnehmer könnten sich sowohl aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit als auch regelmäßig wechselnden Dienstschichten oder einer Arbeitsleistung in der Nacht oder an Feiertagen ergeben. Dies führe zur Unpfändbarkeit von Schichtzulagen und von Zuschlägen für Arbeiten zu
ungünstigen Zeiten. Nach § 400 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB können unpfändbare Forderungen nicht abgetreten werden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und wegen einer Abweichung von Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte zugelassen.
(BAG, Urteil vom 12.02.2015 - 6 AZR 845/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.02.2015 ( 6 AZR 845/13) folgendes entschieden:
Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung der Ausbildung objektiv unzumutbar macht.
Der Kläger absolvierte bei der Beklagten ab dem 1. August 2010 eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann. Am 20. Juni 2011 zählte er das sich in den Nachttresor-Kassetten einer Filiale befindliche Geld. Später wurde ein Kassenfehlbestand von 500,00 Euro festgestellt. Nach Darstellung der Beklagten nannte der Kläger in einem Personalgespräch von sich aus die Höhe dieses Fehlbetrags, obwohl er nur auf eine unbezifferte Kassendifferenz angesprochen worden war. Die Beklagte hat das Berufsausbildungsverhältnis wegen des durch die Offenbarung von Täterwissen begründeten Verdachts der Entwendung des Fehlbetrags gekündigt. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Ein Berufsausbildungsverhältnis könne nicht durch eine Verdachtskündigung beendet werden. Auch fehle es ua. an seiner ordnungsgemäßen Anhörung. Ihm sei vor dem fraglichen Gespräch nicht mitgeteilt worden, dass er mit einer Kassendifferenz konfrontiert werden solle. Auf die Möglichkeit der Einschaltung einer Vertrauensperson sei er nicht hingewiesen worden. Zudem habe die Beklagte Pflichten aus dem Bundesdatenschutzgesetz verletzt.
Die Vorinstanzen haben nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Revision hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.
Die Verdachtskündigung hat das Ausbildungsverhältnis beendet. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Umstände des Falles gewürdigt und insbesondere die Anhörung des Klägers zu Recht als fehlerfrei angesehen. Es bedurfte weder einer vorherigen Bekanntgabe des Gesprächsthemas noch eines Hinweises bzgl. der möglichen Kontaktierung einer Vertrauensperson. Auch Datenschutzrecht stand der Beweiserhebung und -verwertung nicht entgegen.
Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Renteneintrittsalters – sachliche Rechtfertigung – Einarbeitung Nachwuchskraft
(BAG, Urteil vom 11.02.2015 - 7 AZR 17/13) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.02. 2015 ( 7 AZR 17/13) folgendes entschieden:
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien nach Erreichen des Renteneintrittsalters des Arbeitnehmers die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, kann die Befristung sachlich gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Einarbeitung einer Nachwuchskraft dient.
Der am 21. Januar 1945 geborene Kläger, der seit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 21. Januar 2010 gesetzliche Altersrente bezieht, war bei der Beklagten langjährig beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah keine Regelung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters vor. Am 22. Januar 2010 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis am 31. Dezember 2010 ende. Dieser Vertrag wurde zweimal verlängert. Nachdem der Kläger um eine Weiterbeschäftigung gebeten hatte, vereinbarten die Parteien zuletzt am 29. Juli 2011, dass der Arbeitsvertrag ab 1. August 2011 mit veränderten Konditionen weitergeführt werde und am 31. Dezember 2011 ende. Der Vertrag enthält die Abrede, dass der Kläger eine noch einzustellende Ersatzkraft einarbeitet. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Befristung am 31. Dezember 2011 geendet hat.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Bezug von gesetzlicher Altersrente allein rechtfertigt die Befristung des Arbeitsverhältnisses aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG) nicht. Erforderlich ist in diesem Fall vielmehr zusätzlich, dass die Befristung einer konkreten Nachwuchsplanung der Beklagten diente. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht bislang keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Urlaub bei Wechsel im laufenden Jahr in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen – verhältnismäßige Kürzung des Jahresurlaubs unzulässig
(BAG, Urteil vom 10.02.2015- 9 AZR 53/14 (F)) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.02. 2015( 9 AZR 53/14 (F)) folgendes entschieden:
Kann ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vor seinem Wechsel in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen Urlaub nicht nehmen, darf nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) die Zahl der Tage des bezahlten Jahresurlaubs wegen des Übergangs in eine Teilzeitbeschäftigung nicht verhältnismäßig gekürzt werden. Das Argument, der erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde bei einer solchen Kürzung nicht vermindert, weil er - in Urlaubswochen ausgedrückt - unverändert bleibe, hat der EuGH unter Hinweis auf das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter ausdrücklich verworfen. Aufgrund dieser Rechtsprechung des EuGH konnte an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht festgehalten werden, nach der die Urlaubstage grundsätzlich umzurechnen waren, wenn sich die Anzahl der mit Arbeitspflicht belegten Tage verringerte.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Der Kläger wechselte ab dem 15. Juli 2010 in eine Teilzeittätigkeit und arbeitete nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen in der Woche. Während seiner Vollzeittätigkeit im Jahr 2010 hatte er keinen Urlaub. Die Beklagte hat gemeint, dem Kläger stünden angesichts des tariflichen Anspruchs von 30 Urlaubstagen bei einer Fünftagewoche nach seinem Wechsel in die Teilzeittätigkeit im Jahr 2010 nur die 24 von ihr gewährten Urlaubstage zu (30 Urlaubstage geteilt durch fünf mal vier). Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine verhältnismäßige Kürzung seines Urlaubsanspruchs sei für die Monate Januar bis Juni 2010 nicht zulässig, sodass er im Jahr 2010 Anspruch auf 27 Urlaubstage habe (für das erste Halbjahr die Hälfte von 30 Urlaubstagen, mithin 15 Urlaubstage, zuzüglich der von ihm für das zweite Halbjahr verlangten zwölf Urlaubstage).
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe dem Kläger drei weitere Urlaubstage zu gewähren. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwar regelt § 26 Abs. 1 TVöD u.a., dass sich der für die Fünftagewoche festgelegte Erholungsurlaub nach einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage in der Woche vermindert. Die Tarifnorm ist jedoch wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften unwirksam, soweit sie die Zahl der während der Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubstage mindert.
Generelle Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige nach der Hessischen Bauordnung zulässig – kein Verstoß gegen Verbot der Altersdiskriminierung – Gebäudesicherheit und Schutz der Nutzer legitimer Zweck
(BVerwG, Urteil vom 21.01.2015 – 10 CN 1.14)
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Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21.01.2015 (10 CN 1.14) folgendes entschieden:
Weder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch europäisches Unionsrecht verbieten dem hessischen Verordnungsgeber, eine generelle Höchstaltersgrenze von 70 Jahren für Prüfsachverständige für technische Anlagen und Einrichtungen in bestimmten Gebäuden wie Krankenhäusern, Schulen oder Versammlungsstätten festzusetzen.
Der heute 71jährige Antragsteller wurde im Oktober 2011 von der Ingenieurkammer Hessen als Prüfsachverständiger für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden anerkannt. Er wendet sich gegen § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung; danach erlischt die Anerkennung als Prüfsachverständiger mit der Vollendung des 70. Lebensjahres. Der Antragsteller macht geltend, die Höchstaltersgrenze verstoße gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Die Höchstaltersgrenze sei nicht zu beanstanden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil der Vorinstanz bestätigt und die Revision des Antragstellers zurückgewiesen. Die generelle Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige stellt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz dar, sie wird aber durch den in Art. 2 Abs. 5 der Europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG enthaltenen Sicherheitsvorbehalt legitimiert. Die Festlegung der Altersgrenze für Prüfsachverständige dient der Gebäudesicherheit, dem Schutz von Leben und Gesundheit der Gebäudenutzer und der Allgemeinheit (Bausicherheit) und damit der öffentlichen Sicherheit als einem legitimen Zweck. Zur Gewährleistung der Bausicherheit ist die Altersgrenze auch notwendig. Sie ist geeignet, zur Bausicherheit beizutragen, indem sie das altersbedingt erhöhte Risiko von Fehlleistungen bei der Prüftätigkeit ausschließt. Die Altersgrenze genügt den Anforderungen an eine kohärente und systematische Regelung, weil auch Prüfsachverständige aus anderen Ländern und anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit einem höheren Lebensalter als 70 Jahren nicht in Hessen tätig sein dürfen. Eine flexible Altersgrenze, die an eine individuelle Überprüfung der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Prüfsachverständigen knüpft, stellt gegenüber der generellen Höchstaltersgrenze ein zwar milderes, aber nicht gleich wirksames Mittel zur Gewährleistung der Bausicherheit dar. Schließlich belastet die Höchstaltersgrenze von 70 Jahren den Antragsteller nicht unzumutbar. Sie liegt über dem allgemeinen Renteneintrittsalter sowie über der Regelaltersgrenze der technischen Beamten der Bauaufsichtsbehörden von 67 Jahren, deren Tätigkeit derjenigen des Prüfsachverständigen vergleichbar ist.
Zu den Voraussetzungen für den Bezug einer Betriebsrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres - Auslegung einer Versorgungsordnung: Festlegung einer „flexiblen“ Altersgrenze auf das 60. Lebensjahr und Bezug von Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Voraussetzung
(BAG vom 13.01.2015 - 3 AZR 894/12) mehr
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.01.2015 (3 AZR 894/12) folgendes entschieden:
Die im Jahr 1959 geborene Klägerin ist seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Ihr wurden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den „Regelungen zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung (AHV)“ der Beklagten zugesagt. Die AHV in der Fassung vom 5. November 1991 (im Folgenden: AHV 1991) sehen vor, dass Versorgungsbezüge nur gewährt werden, wenn der/die Angestellte fünf Jahre in den Diensten der Beklagten gestanden hat (Wartezeit) und nach Vollendung des 63. Lebensjahres, bei weiblichen Mitarbeitern nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden oder vor Vollendung des 63. Lebensjahres, bei weiblichen Mitarbeitern vor Vollendung des 60. Lebensjahres, in den Diensten der Beklagten dienstunfähig geworden ist. Ferner ist in den AHV 1991 bestimmt, dass die Versorgungsbezüge ua. um die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen gekürzt werden. Im November 2010 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern - so auch der Klägerin - mit, dass Personen ab Geburtsjahrgang 1952 aufgrund der geänderten Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung die Betriebsrente nach den AHV frühestens mit Vollendung des 63. Lebensjahres erhalten könnten. Der Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sei schon immer eine entscheidende Voraussetzung für den Anspruch auf die betriebliche AHV-Rente gewesen. Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewandt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Klägerin stehen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den AHV 1991 erst ab dem Zeitpunkt zu, zu dem sie die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt. Die Auslegung nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen ergibt, dass die AHV 1991 für Frauen keine „feste“, sondern eine „flexible“ Altersgrenze auf das 60. Lebensjahr festlegen und den Bezug von Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung voraussetzen.
Arbeitszeitkonto im Leiharbeitsverhältnis – Kein Abbau von Plusstunden wegen fehlender Einsatzmöglichkeit beim Entleiher – Auslegung des MTV Zeitarbeit
(LAG Berlin-Brandenburg vom 17.12.2014 - 15 Sa 982/14) mehr
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 17.12.2014 (15 Sa 982/14) folgendes entschieden:
Das Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers kann nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden (§ 11 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – AÜG). Es ist danach dem Verleiher untersagt, auf dem Arbeitszeitkonto eines Leiharbeitnehmers Arbeitszeiten nicht zu berücksichtigen, weil er den Leiharbeitnehmer zu anderen Zeiten nicht bei einem Entleiher einsetzen konnte.
Der Arbeitgeber betreibt Arbeitnehmerüberlassung und setzte die Arbeitnehmerin als Sachbearbeiterin bei Entleihern ein. Die Arbeitnehmerin erhielt unabhängig von ihrer tatsächlichen Einsatzzeit eine regelmäßige monatliche Vergütung auf der Grundlage der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit; ihre tatsächlichen Arbeitszeiten wurden in einem Arbeitszeitkonto erfasst. Der Arbeitgeber berücksichtigte dort Zeiten, in denen er die Arbeitnehmerin nicht einsetzen konnte, zu Lasten der Arbeitnehmerin.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat das Vorgehen des Arbeitgebers für unzulässig gehalten. Der zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB abgeschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Zeitarbeit vom 22. Juli 2003, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, erlaube es nicht, auf dem Arbeitszeitkonto vorhandene Plusstunden einseitig mit Minusstunden zu verrechnen, die sich deswegen ergeben, weil für den Arbeitnehmer keine Einsatzmöglichkeit besteht.
Selbst wenn der Tarifvertrag anders auszulegen wäre, dürfe das Risiko des Verleihers, den Leiharbeitnehmer nicht einsetzen zu können, nicht im Rahmen eines Arbeitszeitkontos auf den Leiharbeitnehmer verlagert werden. Eine einseitige Verrechnung dieser Stunden zu Lasten des Leiharbeitnehmers sei gesetzlich ausgeschlossen; entgegenstehende tarifliche Regelungen seien unzulässig.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
(EuGH vom 18.12.2014 - C-354/13) mehr
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 18.12.2014 (C-354/13) folgendes entschieden:
Zwar gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der als solcher Diskriminierungen wegen Adipositas verböte, doch fällt Adipositas unter den Begriff „Behinderung“, wenn sie unter bestimmten Bedingungen den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindert.
Zur Konkretisierung des Grundsatzes der Gleichbehandlung legt eine Richtlinie der Union einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf fest. Nach dieser Richtlinie sind Diskriminierungen wegen der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Bereich der Beschäftigung verboten.
Herr Karsten Kaltoft hat 15 Jahre als Tagesvater für die Gemeinde Billund (Dänemark) gearbeitet. Im Rahmen dieser Tätigkeit war er damit betraut, Kinder bei sich zuhause zu betreuen. Am 22. November 2010 beendete die Gemeinde seinen Arbeitsvertrag. Die Entlassung war zwar mit der sinkenden Zahl der zu betreuenden Kinder begründet, die Gemeinde gab aber nicht an, aus welchen Gründen ihre Wahl auf Herrn Kaltoft gefallen war. Während der gesamten Laufzeit seines Arbeitsvertrags galt Herr Kaltoft als adipös im Sinne der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seine Adipositas soll beim Kündigungsgespräch zwar angesprochen worden sein, die Parteien sind sich jedoch uneinig darüber, wie diese Frage erörtert wurde. So verneint die Gemeinde, dass die Adipositas ein Grund für die Kündigung von Herrn Kaltoft war.
Im Rahmen der Prüfung einer Klage hat das Gericht in Kolding, Dänemark, den Gerichtshof um Aufschluss darüber ersucht, ob das Unionsrecht ein eigenständiges Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas enthält. Hilfsweise möchte es wissen, ob Adipositas eine Behinderung sein kann und ob sie damit in den Geltungsbereich der genannten Richtlinie fällt.
In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof darauf hin, dass weder die Verträge noch das abgeleitete Unionsrecht auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf ein Verbot der Diskriminierung wegen
Adipositas als solcher enthalten.
Zur Frage, ob Adipositas eine „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie sein kann, gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Adipositas des Arbeitnehmers, wenn sie unter bestimmten Umständen eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die ihn in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist, unter den Begriff „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie fällt.
Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Adipositas von Herrn Kaltoft unter diese Definition der „Behinderung“ fällt.
Urlaub - Ausschluss von Doppelansprüchen - Mitteilung über vom vorigen Arbeitgeber gewährten Urlaub
(BAG vom 16.12.2014 - 9 AZR 295/13) mehr
Das BundesarbeitsgerichtUrteil vom 16.12.2014 (9 AZR 295/13) folgendes entschieden:
Gemäß § 6 Abs. 1 BUrlG besteht der Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Wechselt ein Arbeitnehmer im Kalenderjahr in ein neues Arbeitsverhältnis und beantragt er Urlaub, muss er deshalb mitteilen, dass sein früherer Arbeitgeber seinen Urlaubsanspruch für das laufende Kalenderjahr noch nicht (vollständig oder teilweise) erfüllt hat. Der Arbeitnehmer kann diese Voraussetzung für seinen Urlaubsanspruch im neuen Arbeitsverhältnis grundsätzlich durch die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung seines früheren Arbeitgebers nachweisen. Dieser ist nach § 6 Abs. 2 BUrlG verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.
Der Kläger war ab dem 12. April 2010 im Lebensmittelmarkt des Beklagten beschäftigt. Der Beklagte lehnte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die vom Kläger verlangte Abgeltung seines Urlaubs ua. mit der Begründung ab, dem Kläger sei bereits von seinem früheren Arbeitgeber für das Jahr 2010 Urlaub gewährt worden. Eine Urlaubsbescheinigung seines früheren Arbeitgebers legte der Kläger dem Beklagten nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger die beanspruchte Urlaubsabgeltung zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hielt den Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers aufgrund einer vertraglichen Ausschlussfrist für verfallen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger die im Formulararbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist von „mindestens drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs“ gewahrt. Allerdings ist der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif. Das Landesarbeitsgericht hat nach der Zurückverweisung der Sache ua. dem Kläger Gelegenheit zu geben nachzuweisen, dass sein früherer Arbeitgeber seinen Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2010 nicht (vollständig oder teilweise) erfüllt oder abgegolten hat. Führt der Kläger diesen Nachweis, hat der Beklagte den Urlaub des Klägers abzugelten, soweit er den Urlaubsanspruch des Klägers nicht selbst erfüllt hat.
Sittenwidrige Lohnvereinbarung mit „Hartz-IV“-Empfängern - Vergütung unter 50 Prozent der üblichen Vergütung - weniger als 2 Euro je Stunde
(LAG Berlin-Brandenburg vom 07.11.2014 - 6 Sa 1148/14 und 6 Sa 1149/14) mehr
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit zwei Urteilen vom 07.11.2014 (6 Sa 1148/14 und 6 Sa 1149/14) folgendes entschieden:
Die Vereinbarung eines Stundenlohnes von weniger als zwei Euro ist regelmäßig sittenwidrig und damit rechtsunwirksam (§ 138 BGB), wenn die Vergütung mehr als 50 v.H. hinter der üblichen Vergütung zurückbleibt. Es liegt dann ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers vor, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers erlaubt.
Der Arbeitgeber, ein Rechtsanwalt, beschäftigte zwei Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit Bürohilfstätigkeiten gegen ein Entgelt von 100,00 EUR im Monat, was bei der abverlangten Arbeitsleistung einen Stundenlohn von weniger als zwei Euro ergab. Das Jobcenter machte aus übergegangenem Recht weitere Lohnansprüche geltend; es liege eine sittenwidrige Lohnvereinbarung vor, die den Arbeitgeber zur Zahlung der üblichen Vergütung verpflichte.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage des Jobcenters im Wesentlichen entsprochen. Die Lohnvereinbarungen führten zu einem besonders groben Missverhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers; die für einen Lohnwucher erforderliche verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers werde bei dieser Sachlage unterstellt. Die Arbeitsleistungen seien für den Arbeitgeber von wirtschaftlichem Wert gewesen; sie hätten ansonsten von ihm selbst oder seinen festangestellten Mitarbeitern ausgeführt werden müssen. Auch entlaste es den Arbeitgeber nicht, dass er den Leistungsempfängern eine Hinzuverdienstmöglichkeit habe einräumen wollen; denn dies berechtige ihn nicht, Arbeitsleistungen in einem Umfang abzufordern, der zu dem geringen Stundenlohn führte.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.
(BAG vom 30.09.2014 - 1 AZR 1083/12)
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Berücksichtigung eines sog. biometrischen Faktors bei der Anpassung der Betriebsrenten unzulässig - Ausübung billigen Ermessens
(BAG vom 30.09.2014 - 3 AZR 402/12)
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