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Handyvertrag: Vorgegebenes "Kreuzchen" ist für Ausweis-Speicherung ungenügend

11.11.2020  |  Einwilligung in Datenspeicherung muss freiwillig sein - Mobilfunk-Kunde muss seine Weigerung zur Speicherung nicht noch ausdrücklich bestätigen
(EuGH, Urteil vom 11.11.2020 – C-61/19) mehr

Der Europäische Gerichtshof hat mit heutigem Urteil (C-61/19 Orange România SA / ANSPDCP) folgendes entschieden:

Eine Vertragsklausel über die Erbringung von Telekommunikationsdiensten ist nicht als Nachweis dafür geeignet ist, dass diese Person ihre Einwilligung in die Sammlung und Aufbewahrung dieser Dokumente gültig erteilt hat, wenn

a) das Kästchen, das sich auf diese Klausel bezieht, von dem für die Verarbeitung der Daten Verantwortlichen vor Unterzeichnung dieses Vertrags angekreuzt worden ist oder
b) die Vertragsbestimmungen dieses Vertrags die betroffene Person über die Möglichkeit, den Vertrag abzuschließen, auch wenn sie sich weigert, in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen, irreführen können oder
c) die freie Entscheidung, sich dieser Sammlung und Aufbewahrung zu widersetzen, von diesem Verantwortlichen ungebührlich beeinträchtigt wird, indem verlangt wird, dass die betroffene Person zur Verweigerung ihrer Einwilligung ein zusätzliches Formular unterzeichnet, in dem diese Weigerung zum Ausdruck kommt.

Die Orange România SA bietet Mobiltelekommunikationsdienste auf dem rumänischen Markt an. Am 28. März 2018 verhängte die Autoritatea Naţională de Supraveghere a Prelucrării Datelor cu Caracter Personal (ANSPDCP) (Nationale Behörde zur Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten) gegen Orange România eine Geldbuße, weil sie Kopien der Ausweisdokumente ihrer Kunden ohne deren ausdrückliche Einwilligung aufbewahrt hatte. Nach den Angaben dieser Behörde hatte Orange România im Zeitraum vom 1. März 2018 bis zum 26. März 2018 Verträge über Mobiltelekommunikationsdienste geschlossen, die die Klausel enthielten, dass die Kunden informiert wurden und in die Sammlung und Aufbewahrung einer Kopie ihres Ausweisdokuments mit Identifikationsfunktion einwilligten. Das diese Klausel betreffende Kästchen wurde vom für die Verarbeitung Verantwortlichen vor Unterzeichnung des Vertrags angekreuzt.

Vor diesem Hintergrund hat das Tribunalul București (Landgericht Bukarest, Rumänien) den Gerichtshof ersucht, klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen die Einwilligung von Kunden in die Verarbeitung personenbezogener Daten als gültig angesehen werden kann.

Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass das Unionsrecht eine abschließende Aufzählung der Fälle vorsieht, in denen die Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann. Konkret muss die Einwilligung der betreffenden Person freiwillig, für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich erfolgen. Die Einwilligung wird bei Stillschweigen, bereits angekreuzten Kästchen oder Untätigkeit nicht gültig erteilt.

Zudem muss, wenn die Einwilligung der betroffenen Person durch eine schriftliche Erklärung erfolgt, die noch andere Sachverhalte betrifft, diese Erklärung in verständlicher und leicht zugänglicher Form zur Verfügung gestellt werden und in einer klaren und einfachen Sprache formuliert sein. Zur Sicherstellung einer echten Wahlfreiheit für die betroffene Person dürfen die Vertragsbestimmungen diese nicht über die Möglichkeit irreführen, den Vertrag abschließen zu können, auch wenn sie sich weigert, in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen.

Der Gerichtshof erläutert, da Orange România die für die Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortliche ist, muss sie in der Lage sein, die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung dieser Daten nachzuweisen, im vorliegenden Fall also das Vorliegen einer gültigen Einwilligung ihrer Kunden. Da die betroffenen Kunden das Kästchen in Bezug auf die Sammlung und die Aufbewahrung von Kopien ihres Ausweisdokuments anscheinend nicht selbst angekreuzt haben, ist der bloße Umstand, dass dieses Kästchen angekreuzt wurde, nicht geeignet, eine positive Einwilligungserklärung dieser Kunden nachzuweisen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die dafür erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Es ist ebenfalls Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die in Rede stehenden Vertragsbestimmungen die betroffenen Kunden mangels näherer Angaben zu der Möglichkeit, den Vertrag trotz der Weigerung, in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen, abzuschließen, hinsichtlich dieses Punkts irreführen konnten. Zudem führt der Gerichtshof aus, dass Orange România für den Fall, dass ein Kunde die Einwilligung in die Verarbeitung seiner Daten verweigert hat, verlangt hat, dass dieser schriftlich erklärt, weder in die Sammlung noch in die Aufbewahrung der Kopie seines Ausweisdokuments einzuwilligen. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist eine solche zusätzliche Anforderung geeignet, die freie Entscheidung, sich dieser Sammlung und Aufbewahrung zu widersetzen, ungebührlich zu beeinträchtigen. Da es jedenfalls Orange România obliegt, nachzuweisen, dass ihre Kunden ihre Einwilligung in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch aktives Verhalten bekundet haben, kann sie nicht von ihnen verlangen, dass sie ihre Weigerung aktiv bekunden.

Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Vertrag über die Erbringung von Telekommunikationsdiensten, der die Klausel enthält, dass die betroffene Person über die Sammlung und die Aufbewahrung einer Kopie ihres Ausweisdokuments mit Identifikationsfunktion informiert worden ist und darin eingewilligt hat, nicht als Nachweis dafür geeignet ist, dass diese Person ihre Einwilligung in die Sammlung und Aufbewahrung dieser Dokumente gültig erteilt hat, wenn a) das Kästchen, das sich auf diese Klausel bezieht, von dem für die Verarbeitung der Daten Verantwortlichen vor Unterzeichnung dieses Vertrags angekreuzt worden ist oder wenn b) die Vertragsbestimmungen dieses Vertrags die betroffene Person über die Möglichkeit, den Vertrag abzuschließen, auch wenn sie sich weigert, in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen, irreführen können oder wenn c) die freie Entscheidung, sich dieser Sammlung und Aufbewahrung zu widersetzen, von diesem Verantwortlichen ungebührlich beeinträchtigt wird, indem verlangt wird, dass die betroffene Person zur Verweigerung ihrer Einwilligung ein zusätzliches Formular unterzeichnet, in dem diese Weigerung zum Ausdruck kommt.
(PM 137/20)

 

Facebook: Erben können vollen Konto-Zugriff verlangen

09.09.2020  |  PDF mit 14.000 unsortierten Blättern genügt nicht: Betreiberin eines sozialen Netzwerks ist verpflichtet, den Erben der verstorbenen Userin Zugang zum vollständigen Konto zu gewähren
(BGH, Beschluss vom 27.08.2020 - III ZB 30/20) mehr

Der Bundesgerichtshof hat mit heute veröffentlichtem Beschluss (III ZB 30/20) folgendes entschieden:

Die Betreiberin eines sozialen Netzwerks, die verurteilt worden ist, den Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, muss den Erben die Möglichkeit einräumen, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich - mit Ausnahme einer aktiven Nutzung - darin so "bewegen" zu können wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte.

Sachverhalt:
Die Schuldnerin betreibt ein soziales Netzwerk. Sie ist durch - vom Bundesgerichtshof (Urteil vom 12. Juli 2018 – III ZR 183/17 – Pressemitteilung 115/18) bestätigtes – rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 verurteilt worden, den Eltern einer verstorbenen Teilnehmerin an dem Netzwerk als Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren.

Die Schuldnerin hat daraufhin der Gläubigerin, der Mutter der Verstorbenen, einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen geführten Konto enthält. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015 erfüllt worden ist.

Prozessverlauf:
Das Landgericht hat auf Antrag der Gläubigerin gegen die Schuldnerin wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil vom 17. Dezember 2015 ein Zwangsgeld von 10.000 € festgesetzt. Das Kammergericht hat den Beschluss des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Kammergericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt.

Bereits die Auslegung des Tenors des Urteils des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 ergibt, dass der Gläubigerin nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie es die ursprüngliche Kontoberechtigte konnte.

Dies folgt zudem aus den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urteils sowie des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2018. Beide Entscheidungen haben den von der Schuldnerin zu erfüllenden Anspruch der Gläubigerin erbrechtlich hergeleitet. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Gläubigerin und der Schuldnerin sei mit seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Schuldnerin bestehenden Vertragsverhältnis folgt ohne weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren ist wie zuvor ihrer Tochter. Das ergibt sich zudem aus zahlreichen weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts Berlin in ihren vorgenannten Urteilen.

Die Schuldnerin hat ihre Verpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bildet das Benutzerkonto nicht vollständig ab. Letzteres erfordert nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten - mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung betreffen - und der deutschen Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Gläubigerin übermittelte Datei nicht.
(PM Nr. 119/2020)

 

EuGH: Datenschutz in den USA ist unzureichend

16.07.2020  |  EuGH erklärt EU-US-Datenschutzvereinbarung "Privacy Shield" für ungültig – kein angemessener Schutzmechanismus in USA enthalten – Facebook gestoppt
(EuGH, Beschluss vom 16.07.2020 – C 311/18, Facebook Ireland/Sch.) mehr

Der Europäische Gerichtshof hat mit Beschluss vom 16.07.2020 (C 311/18, Facebook Ireland/Schr.) folgendes entschieden:

1. Der Beschluss 2016/1250 der EU-Kommission über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild gebotenen Schutzes ist ungültig.

2. Der Beschluss 2010/87 der Kommission über Standardvertragsklauseln für die Übermittlung per-sonenbezogener Daten an Auftragsverarbeiter in Drittländern ist hingegen gültig.

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestimmt, dass personenbezogene Daten grundsätzlich nur dann in ein Drittland übermittelt werden dürfen, wenn das betreffende Land für die Daten ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Nach dieser Verordnung kann die Kommission feststellen, dass ein Drittland aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder seiner internationalen Verpflichtungen ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Liegt kein derartiger Angemessenheitsbeschluss vor, darf eine solche Übermittlung nur erfolgen, wenn der in der Union ansässige Exporteur der personenbezogenen Daten geeignete Garantien vorsieht, die sich u. a. aus von der Kommission erarbeiteten Standarddatenschutzklauseln ergeben können, und wenn die betroffenen Personen über durchsetzbare Rechte und wirksame Rechtsbehelfe verfügen. Ferner ist in der DSGVO genau geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine solche Übermittlung vorge-nommen werden darf, falls weder ein Angemessenheitsbeschluss vorliegt noch geeignete Garantien bestehen.

Herr Sch., ein in Österreich wohnhafter österreichischer Staatsangehöriger, ist seit 2008 Nutzer von Facebook. Wie bei allen anderen im Unionsgebiet wohnhaften Nutzern werden seine personenbezogenen Daten ganz oder teilweise von Facebook Ireland an Server der Facebook Inc., die sich in den Vereinigten Staaten befinden, übermittelt und dort verarbeitet.

Herr Sch. legte bei der irischen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde ein, die im Wesentlichen darauf abzielte, diese Übermittlungen verbieten zu lassen. Er machte geltend, das Recht und die Praxis der Vereinigten Staaten böten keinen ausreichenden Schutz vor dem Zugriff der Behörden auf die dorthin übermittelten Daten.

Seine Beschwerde wurde u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Kommission habe in ihrer Entscheidung 2000/5205 (sogenannte „Safe-Harbour-Entscheidung“) festgestellt, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau gewährleisteten.

Mit Urteil vom 6. Oktober 2015 erklärte der Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Court hin diese Entscheidung für ungültig (im Folgenden: Urteil Sch. I).

Nachdem das Urteil Sch. I ergangen war und der irische High Court daraufhin die Entscheidung, mit der die Beschwerde von Herrn Sch. zurückgewiesen worden war, aufgehoben hatte, forderte die irische Aufsichtsbehörde Herrn Sch. auf, seine Beschwerde unter Berücksichtigung der Ungültiger-klärung der Safe-Harbour-Entscheidung durch den Gerichtshof umzuformulieren.

Mit seiner umformulierten Beschwerde macht Herr Sch. geltend, dass die Vereinigten Staaten keinen ausreichenden Schutz der dorthin übermittelten Daten gewährleisteten. Er beantragt, die von Facebook Ireland nunmehr auf der Grundlage der Standardschutzklauseln im Anhang des Beschlusses 2010/877 vorgenommene Übermittlung seiner personenbezogenen Daten aus der Union in die Vereinigten Staaten für die Zukunft auszusetzen oder zu verbieten.

Die irische Aufsichtsbehörde war der Auffassung, dass die Bearbeitung der Beschwerde von Herrn Sch. insbesondere von der Gültigkeit des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln abhänge, und strengte daher ein Verfahren vor dem High Court an, damit er den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen befassen möge. Nachdem dieses Verfahren eingeleitet worden war, erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2016/1250 über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild („Pri-vacy Shield“) gebotenen Schutzes.

Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen fragt der irische High Court den Gerichtshof nach der Anwendbarkeit der DSGVO auf Übermittlungen personenbezogener Daten, die auf die Standardschutzklauseln im Beschluss 2010/87 gestützt werden, sowie nach dem Schutzniveau, das diese Verordnung im Rahmen einer solchen Übermittlung verlangt, und den Pflichten, die den Aufsichtsbehörden in diesem Zusammenhang obliegen.

Des Weiteren wirft der High Court die Frage der Gültigkeit sowohl des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln als auch des Privacy Shield-Beschlusses 2016/1250 auf.

Mit seinem heute verkündeten Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Prüfung des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln anhand der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit berühren könnte. Den Privacy Shield-Beschluss 2016/1250 erklärt er hingegen für ungültig.

Der Gerichtshof führt zunächst aus, dass das Unionsrecht, insbesondere die DSGVO, auf eine zu gewerblichen Zwecken erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten durch einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen, in einem Drittland ansässigen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, auch wenn die Daten bei ihrer Übermittlung oder im Anschluss daran von den Behörden des betreffenden Drittlands für Zwecke der öffentlichen Si-cherheit, der Landesverteidigung und der Sicherheit des Staates verarbeitet werden können. Eine derartige Datenverarbeitung durch die Behörden eines Drittlands kann nicht dazu führen, dass eine solche Übermittlung vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen wäre.

In Bezug auf das im Rahmen einer solchen Übermittlung erforderliche Schutzniveau entscheidet der Gerichtshof, dass die insoweit in der DSGVO vorgesehenen Anforderungen, die sich auf geeignete Garantien, durchsetzbare Rechte und wirksame Rechtsbehelfe beziehen, dahin auszulegen sind, dass die Personen, deren personenbezogene Daten auf der Grundlage von Standarddatenschutzklauseln in ein Drittland übermittelt werden, ein Schutzniveau genießen müssen, das dem in der Union durch die DSGVO im Licht der Charta garantierten Niveau der Sache nach gleichwertig ist. Bei der Beurteilung dieses Schutzniveaus sind sowohl die vertraglichen Regelungen zu berücksichtigen, die zwischen dem in der Union ansässigen Datenexporteur und dem im betreffenden Dritt-land ansässigen Empfänger der Übermittlung vereinbart wurden, als auch, was einen etwaigen Zugriff der Behörden dieses Drittlands auf die übermittelten Daten betrifft, die maßgeblichen Aspekte der Rechtsordnung dieses Landes.

Hinsichtlich der Pflichten, die den Aufsichtsbehörden im Zusammenhang mit einer solchen Übermittlung obliegen, befindet der Gerichtshof, dass diese Behörden, sofern kein gültiger Angemessenheitsbeschluss der Kommission vorliegt, insbesondere verpflichtet sind, eine Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland auszusetzen oder zu verbieten, wenn sie im Licht der Umstände dieser Übermittlung der Auffassung sind, dass die Standarddatenschutzklauseln in diesem Land nicht eingehalten werden oder nicht eingehalten werden können und dass der nach dem Unionsrecht erforderliche Schutz der übermittelten Daten nicht mit anderen Mitteln gewährleistet werden kann, es sei denn, der in der Union ansässige Datenexporteur hat die Übermittlung selbst ausgesetzt oder beendet.

Sodann prüft der Gerichtshof die Gültigkeit des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln.

Er sieht sie nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass die in diesem Beschluss enthaltenen Standarddatenschutzklauseln aufgrund ihres Vertragscharakters die Behörden des Drittlands, in das möglicherweise Daten übermittelt werden, nicht binden. Vielmehr hängt sie davon ab, ob der Beschluss wirksame Mechanismen enthält, die in der Praxis gewährleisten können, dass das vom Unionsrecht verlangte Schutzniveau eingehalten wird und dass auf solche Klauseln gestützte Übermittlungen personenbezogener Daten ausgesetzt oder verboten werden, wenn gegen diese Klauseln verstoßen wird oder ihre Einhaltung unmöglich ist.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschluss 2010/87 derartige Mechanismen vorsieht. Insoweit hebt er insbesondere hervor, dass gemäß diesem Beschluss der Datenexporteur und der Empfänger der Übermittlung vorab prüfen müssen, ob das erforderliche Schutzniveau im betreffenden Drittland eingehalten wird, und dass der Empfänger dem Datenexporteur gegebenenfalls mitteilen muss, dass er die Standardschutzklauseln nicht einhalten kann, woraufhin der Exporteur die Datenübermittlung aussetzen und/oder vom Vertrag mit dem Empfänger zurücktreten muss.

Schließlich prüft der Gerichtshof die Gültigkeit des Privacy-Shield-Beschlusses 2016/1250 anhand der Anforderungen der DSGVO im Licht der Bestimmungen der Charta, die die Achtung des Privat- und Familienlebens, den Schutz personenbezogener Daten und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verbürgen. Insoweit stellt er fest, dass in diesem Beschluss, ebenso wie in der Safe-Harbour-Entscheidung 2000/520, den Erfordernissen der nationalen Sicherheit, des öffentlichen Interesses und der Einhaltung des amerikanischen Rechts Vorrang eingeräumt wird, was Ein-griffe in die Grundrechte der Personen ermöglicht, deren Daten in die Vereinigten Staaten übermittelt werden.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass die von der Kommission im Privacy-Shield-Beschluss 2016/1250 bewerteten Einschränkungen des Schutzes personenbezogener Daten, die sich daraus ergeben, dass die amerikanischen Behörden nach dem Recht der Vereinigten Staaten auf solche Daten, die aus der Union in dieses Drittland übermittelt werden, zugreifen und sie verwenden dürfen, nicht dergestalt geregelt sind, dass damit Anforderungen erfüllt würden, die den im Unionsrecht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehenden Anforderungen der Sache nach gleichwertig wären, da die auf die amerikanischen Rechtsvorschriften gestützten Überwachungsprogramme nicht auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt sind.

Gestützt auf die Feststellungen in diesem Beschluss weist der Gerichtshof darauf hin, dass die betreffenden Vorschriften hinsichtlich bestimmter Überwachungsprogramme in keiner Weise erkennen lassen, dass für die darin enthaltene Ermächtigung zur Durchführung dieser Programme Einschränkungen bestehen; genauso wenig ist ersichtlich, dass für die potenziell von diesen Programmen erfassten Personen, die keine amerikanischen Staatsbürger sind, Garantien existieren. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass diese Vorschriften zwar Anforderungen vorsehen, die von den amerikanischen Behörden bei der Durchführung der betreffenden Überwachungsprogramme einzuhalten sind, aber den betroffenen Personen keine Rechte verleihen, die gegenüber den amerikanischen Behörden gerichtlich durchgesetzt werden können.

In Bezug auf das Erfordernis des gerichtlichen Rechtsschutzes befindet der Gerichtshof, dass der im Privacy-Shield-Beschluss 2016/1250 angeführte Ombudsmechanismus entgegen den darin von der Kommission getroffenen Feststellungen den betroffenen Personen keinen Rechtsweg zu einem Organ eröffnet, das Garantien böte, die den nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Sache nach gleichwertig wären, d. h. Garantien, die sowohl die Unabhängigkeit der durch diesen Mechanismus vorgesehenen Ombudsperson als auch das Bestehen von Normen gewährleisten, die die Ombudsperson dazu ermächtigen, gegenüber den amerikanischen Nachrichtendiensten verbindliche Entscheidungen zu erlassen.

Aus all diesen Gründen erklärt der Gerichtshof den Beschluss 2016/1250 für ungültig.
(PM Nr. 91/20 v. 16.07.2020)

 

19.12.2019

Verkauf „gebrauchter“ E-Books über eine Website stellt öffentliche Wiedergabe dar - Erlaubnis des Urhebers hierfür erforderlich - öffentliche Wiedergabe auch im Falle eines "E-Book-Leseclubs"
(EuGH, Urteil vom 19.12.2019 - C-263/18) mehr


Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 19.12.2019 (C-263/18, Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers / Tom Kabinet Internet BV u. a.) folgendes entschieden:

Der Verkauf „gebrauchter“ E-Books über eine Website stellt eine öffentliche Wiedergabe dar, die der Erlaubnis des Urhebers bedarf.

Mit Urteil von heute hat der Gerichtshof entschieden, dass die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung an die Öffentlichkeit durch Herunterladen unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der Richtlinie 2001/291 fällt.

Nederlands Uitgeversverbond (NUV) und Groep Algemene Uitgevers (GAU), zwei Verbände, deren Ziel die Vertretung der Interessen der niederländischen Verleger ist, erhoben bei der Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) Klage und beantragten unter anderem, dem Unternehmen Tom Kabinet zu untersagen, Mitgliedern des von ihm gegründeten „Leseklubs“ auf seiner Website E-Books zugänglich zu machen oder diese Bücher zu vervielfältigen. NUV und GAU machen geltend, dass diese Tätigkeiten Urheberrechte ihrer Mitglieder an diesen E-Books verletzten. Dadurch, dass im Rahmen dieses Leseklubs „gebrauchte“ E-Books zum Verkauf angeboten würden, nehme Tom Kabinet eine unbefugte öffentliche Wiedergabe dieser Bücher vor. Tom Kabinet macht hingegen geltend, dass auf diese Tätigkeiten das Verbreitungsrecht anwendbar sei, das in der genannten Richtlinie einer Erschöpfungsregel unterliege, wenn der betreffende Gegenstand – im vorliegenden Fall die E-Books – vom Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung in der Union verkauft worden seien. Diese Regel würde bedeuten, dass NUV und GAU nach dem Verkauf der in Rede stehenden E-Books nicht mehr das ausschließliche Recht hätten, ihre Verbreitung an die Öffentlichkeit zu erlauben oder zu verbieten.

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen nicht unter das Recht der „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, sondern vielmehr unter das in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Recht der „öffentlichen Wiedergabe“ fällt, für das die Erschöpfung gemäß Art. 3 Abs. 3 ausgeschlossen ist.

Der Gerichtshof hat diese Feststellung insbesondere darauf gestützt, dass er aus dem Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der dieser Richtlinie zugrunde lag, und den Vorarbeiten zu dieser Richtlinie abgeleitet hat, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigte, die Erschöpfungsregel der Verbreitung von körperlichen Gegenständen, wie Büchern auf einem materiellen Träger, vorzubehalten. Die Anwendung der Erschöpfungsregel auf E-Books könnte die Interessen der Rechtsinhaber, für ihre Werke eine angemessene Vergütung zu erhalten, hingegen weitaus stärker beeinträchtigen als im Fall von Büchern auf einem materiellen Träger, da sich die nicht körperlichen digitalen Kopien von E-Books durch den Gebrauch nicht verschlechtern, und somit auf einem möglichen Second-Hand-Markt einen perfekten Ersatz für neue Kopien darstellen.

Zum Begriff „öffentliche Wiedergabe“ hat der Gerichtshof genauer ausgeführt, dass dieser in weitem Sinne verstanden werden muss, nämlich dahin gehend, dass er jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist, und somit jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks umfasst.

Dieser Begriff vereint zwei kumulative Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe eines Werkes und seine öffentliche Wiedergabe.

Was das erste Merkmal anbelangt, geht aus der Begründung des Vorschlags für die Richtlinie 2001/29 hervor, dass „die kritische Handlung die Zugänglichmachung des Werkes für die Öffentlichkeit [ist], also das Angebot eines Werkes an einem öffentlich zugänglichen Ort, das dem Stadium seiner eigentlichen ‚Übertragung auf Abruf‘ vorangeht“, und dass es „unerheblich [ist], ob eine Person es tatsächlich abgerufen hat oder nicht“. Daher ist nach der Ansicht des Gerichtshofs die Zugänglichmachung der betreffenden Werke für jede Person, die sich auf der Website des Leseklubs registriert, als „Wiedergabe“ eines Werks anzusehen, ohne dass es hierfür erforderlich wäre, dass die betreffende Person diese Möglichkeit wahrnimmt, indem sie das E-Book tatsächlich von dieser Website abruft.

Was das zweite Merkmal anbelangt, ist nicht nur zu berücksichtigen, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben können, sondern auch, wie viele von ihnen nacheinander Zugang zu diesem Werk haben können. Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht des Gerichtshofs die Anzahl der Personen, die über die Plattform des Leseklubs parallel oder nacheinander Zugang zu demselben Werk haben können, erheblich. Somit ist vorbehaltlich einer Nachprüfung durch das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände das in Rede stehende Werk als öffentlich wiedergegeben anzusehen.

Im Übrigen hat der Gerichtshof entschieden, dass es für eine Einstufung als öffentliche Wiedergabe erforderlich ist, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von den bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein neues Publikum wiedergegeben wird, d. h. für ein Publikum, an das die Inhaber des Urheberrechts nicht bereits gedacht hatten, als sie die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubten. Da im vorliegenden Fall die Zugänglichmachung eines E-Books im Allgemeinen mit einer Nutzungslizenz einhergeht, die nur das Lesen des E-Books durch den Benutzer, der das betreffende E-Book mit seinem eigenen Gerät heruntergeladen hat, gestattet, ist davon auszugehen, dass eine Wiedergabe, wie sie von dem Unternehmen Tom Kabinet vorgenommen wird, für ein Publikum, an das die Inhaber des Urheberrechts nicht bereits gedacht hatten, mithin für ein neues Publikum, vorgenommen wird.
(PM 159/19)


 

12.09.2019

Urheberrechtsschutz: Ästhetische Wirkung des Musters oder Modells allein genügt nicht, auch wenn sie über Gebrauchszweck hinausgeht - es muss sich um "originale Werke" handeln
(EuGH, Urteil vom 12.09.2019 - C-683/17, Cofemel–Sociedade de Vestuário SA / G-Star Raw CV) mehr

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 12.09.2019 (C-683/17) folgendes entschieden:

Modellen kann nicht allein aufgrund des Umstands, dass sie über ihren Gebrauchszweck hinaus eine spezielle ästhetische Wirkung haben, urheberrechtlicher Schutz zukommen. Um urheberrechtlich geschützt zu werden, muss es sich bei diesen Modellen um originale Werke handeln.

Das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) ist mit einem Rechtsstreit zwischen den Gesellschaften Cofemel – Sociedade de Vestuário SA (im Folgenden: Cofemel) und G-Star Raw CV (im Folgenden: G-Star), die jeweils Kleidung entwerfen, produzieren und vermarkten, befasst. Dieser Rechtsstreit betrifft die Einhaltung des von G-Star eingeforderten Urheberrechts, die Cofemel vorwirft, Jeans, Sweatshirts und T-Shirts in Kopie einiger ihrer Modelle zu produzieren und zu vermarkten.

Nach dem Unionsrecht sind als geistiges Eigentum u. a. Werke geschützt, deren Urheber nach der Richtlinie über das Urheberrecht das ausschließliche Recht haben, die Vervielfältigung, die öffentliche Wiedergabe und die Verbreitung zu erlauben oder zu verbieten. Daneben besteht nach weiteren abgeleiteten Unionsrechtsakten ein spezifischer Schutz für Muster und Modelle.

In diesem Kontext stellt das Supremo Tribunal de Justiça fest, dass der Código do Direito de Autor e dos Direitos Conexos (Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) Muster und Modelle in die Liste der urheberrechtlich geschützten Werke aufnehme, aber nicht ausdrücklich die Voraussetzungen regle, die erfüllt sein müssten, damit bestimmten Gegenständen mit Gebrauchszweck auch tatsächlich ein solcher Schutz zukomme. Da über diese Frage in der portugiesischen Rechtsprechung und Lehre keine Einigkeit bestehe, möchte das Supremo Tribunal de Justiça vom Gerichtshof wissen, ob die Richtlinie über das Urheberrecht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der dieser Schutz unter der besonderen Voraussetzung gewährt wird, dass Muster und Modelle über ihren Gebrauchszweck hinaus eine spezielle ästhetische Wirkung haben.

In seinem heutigen Urteil bejaht der Gerichtshof diese Frage.

Insoweit weist der Gerichtshof zunächst auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach jeder originale Gegenstand, der Ausdruck einer eigenen geistigen Schöpfung seines Urhebers ist, als „Werk“ im Sinne der Richtlinie über das Urheberrecht eingestuft werden kann.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass mehrere abgeleitete Unionsrechtsakte einen besonderen Schutz für Muster und Modelle vorsehen, wobei dieser und der nach der Richtlinie über das Urheberrecht bestehende allgemeine Schutz kumulativ anwendbar sein können. Folglich kann ein Muster oder Modell gegebenenfalls auch als „Werk“ eingestuft werden.

Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Schutz von Mustern und Modellen einerseits und der urheberrechtliche Schutz andererseits unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedlichen Regelungen unterliegen. Der Schutz von Mustern und Modellen erfasst nämlich Gegenstände, die zwar neu und individualisiert sind, aber dem Gebrauch dienen und für die Massenproduktion gedacht sind. Außerdem ist dieser Schutz während eines Zeitraums anwendbar, der zwar begrenzt ist, aber sicherstellt, dass die für das Entwerfen und die Produktion dieser Gegenstände erforderlichen Investitionen rentabel sind, ohne jedoch den Wettbewerb übermäßig einzuschränken. Demgegenüber ist der mit dem Urheberrecht verbundene Schutz, der deutlich länger dauert, Gegenständen vorbehalten, die als Werke eingestuft werden können. In diesem Rahmen darf die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes für einen bereits als Muster oder Modell geschützten Gegenstand nicht dazu führen, dass die Zielsetzungen und die Wirksamkeit dieser beiden Regelungen beeinträchtigt werden, weshalb die kumulative Gewährung eines solchen Schutzes nur in bestimmten Fällen in Frage kommt.

Schließlich erläutert der Gerichtshof, dass die ästhetische Wirkung, die ein Muster oder Modell haben kann, für die Feststellung, ob das Modell oder Muster in einem konkreten Fall als „Werk“ eingestuft werden kann, keine Rolle spielt, da eine solche ästhetische Wirkung das Ergebnis einer naturgemäß subjektiven Schönheitsempfindung des jeweiligen Betrachters ist. Eine Einstufung als „Werk“ ist vielmehr nur dann möglich, wenn nachgewiesen wird, dass der fragliche Gegenstand zum einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbar ist und zum anderen eine geistige Schöpfung darstellt, die die Entscheidungsfreiheit und die Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelt.
Folglich können Modelle nicht allein aufgrund des Umstands, dass sie über ihren Gebrauchszweck hinaus eine spezielle ästhetische Wirkung haben, als „Werke“ eingestuft werden.

 

29.07.2019

"Gefällt mir"-Button von Facebook: Website-Betreiber kann für Datenerhebung und -übermittlung verantwortlich sein - Betreiber muss bereits bei Datenerhebung alle Informationen über die Zwecke der Verarbeitung usw. geben und jeweils im Einzelnen die Einwilligung des Besuchers einholen
(EuGH,  Urteil vom 29.07.2019 - C-40/17, Fashion ID GmbH & Co. KG) mehr


Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 29.07.2019 (C-40/17, Fashion ID GmbH & Co. KG/Verbraucherzentrale NRW eV) folgendes entschieden:

Der Betreiber einer Website, in der der „Gefällt mir“-Button von Facebook enthalten ist, kann für das Erheben und die Übermittlung der personenbezogenen Daten der Besucher seiner Website gemeinsam mit Facebook verantwortlich sein.Dagegen ist er grundsätzlich nicht für die spätere Verarbeitung dieser Daten allein durch Facebook verantwortlich.

Fashion ID, ein deutscher Online-Händler für Modeartikel, band in ihre Website den „Gefällt mir“-Button von Facebook ein. Anscheinend hat diese Einbindung zur Folge, dass beim Aufrufen der Website von Fashion ID durch einen Besucher die personenbezogenen Daten dieses Besuchers an Facebook Ireland übermittelt werden. Offenbar erfolgt diese Übermittlung, ohne dass sich der Besucher dessen bewusst ist und unabhängig davon, ob er Mitglied des sozialen Netzwerks Facebook ist oder den „Gefällt mir“-Button angeklickt hat.

Die Verbraucherzentrale NRW, ein gemeinnütziger Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen, wirft Fashion ID vor, personenbezogene Daten der Besucher ihrer Website ohne deren Einwilligung und unter Verstoß gegen die Informationspflichten nach den Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten an Facebook Ireland übermittelt zu haben.

Das mit dem Rechtsstreit befasste Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) ersucht um die Auslegung einer Reihe von Bestimmungen der früheren Datenschutzrichtlinie von 19951 (die weiterhin auf den Fall anwendbar ist, aber durch die neue Datenschutz-Grundverordnung von 20162 mit Wirkung vom 25. Mai 2018 ersetzt worden ist).

In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass die alte Datenschutzrichtlinie nicht dem entgegensteht, dass es Verbänden zur Wahrung von Verbraucherinteressen erlaubt ist, gegen den mutmaßlichen Verletzer von Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten Klage zu erheben. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die neue Datenschutz-Grundverordnung nunmehr ausdrücklich diese Möglichkeit vorsieht.

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass Fashion ID für die Datenverarbeitungsvorgänge, die Facebook Ireland nach der Übermittlung der Daten an sie vorgenommen hat, anscheinend nicht als verantwortlich angesehen werden kann. Es erscheint nämlich auf den ersten Blick ausgeschlossen, dass Fashion ID über die Zwecke und Mittel dieser Vorgänge entscheidet.

Dagegen kann Fashion ID für die Vorgänge des Erhebens der in Rede stehenden Daten und deren Weiterleitung durch Übermittlung an Facebook Ireland als gemeinsam mit Facebook verantwortlich angesehen werden, da (vorbehaltlich der vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorzunehmenden Nachprüfung) davon ausgegangen werden kann, dass Fashion ID und Facebook Irland gemeinsam über die Zwecke und Mittel entscheiden.

Es scheint insbesondere, dass die Einbindung des „Gefällt mir“-Buttons von Facebook durch Fashion ID in ihre Website ihr ermöglicht, die Werbung für ihre Produkte zu optimieren, indem diese im sozialen Netzwerk Facebook sichtbarer gemacht werden, wenn ein Besucher ihrer Website den Button anklickt. Um in den Genuss dieses wirtschaftlichen Vorteils kommen zu können, der in einer solchen verbesserten Werbung für ihre Produkte besteht, scheint Fashion ID mit der Einbindung eines solchen Buttons in ihre Website zumindest stillschweigend in das Erheben personenbezogener Daten der Besucher ihrer Website und deren Weitergabe durch Übermittlung eingewilligt zu haben. Dabei werden diese Verarbeitungsvorgänge im wirtschaftlichen Interesse sowohl von Fashion ID als auch von Facebook Ireland durchgeführt, für die die Tatsache, über diese Daten für ihre eigenen wirtschaftlichen Zwecke verfügen zu können, die Gegenleistung für den Fashion ID gebotenen Vorteil darstellt.

Der Gerichtshof betont, dass der Betreiber einer Website wie Fashion ID für bestimmte Vorgänge der Verarbeitung der Daten der Besucher seiner Website wie das Erheben der Daten und deren Übermittlung an Facebook Ireland als (Mit-)Verantwortlicher diesen Besuchern zum Zeitpunkt des Erhebens bestimmte Informationen zu geben hat, wie beispielsweise seine Identität und die Zwecke der Verarbeitung.

Außerdem präzisiert der Gerichtshof noch zwei der sechs in der Richtlinie vorgesehenen Fälle einer rechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten.

Zu dem Fall, in dem die betroffene Person ihre Einwilligung gegeben hat, entscheidet der Gerichtshof, dass der Betreiber einer Website wie Fashion ID diese Einwilligung vorher (nur) für die Vorgänge einholen muss, für die er (mit-)verantwortlich ist, d. h. das Erheben und die Übermittlung der Daten.

Zu den Fällen, in denen die Datenverarbeitung zur Verwirklichung eines berechtigten Interesses erforderlich ist, entscheidet der Gerichtshof, dass jeder der für die Verarbeitung (Mit-)Verantwortlichen, d. h. der Betreiber einer Website und der Anbieter eines Social Plugins, mit dem Erheben und der Übermittlung der personenbezogenen Daten ein berechtigtes Interesse wahrnehmen muss, damit diese Vorgänge für jeden Einzelnen von ihnen gerechtfertigt sind.


 

20.12.2018

Wer als Besucher in einem Museum ausgestellte Werke entgegen einem Fotografierverbot abfotografiert oder Fotos davon aus einem Museumskatalog einscannt und z.B. in "Wikimedia Commons" hochlädt, verstößt gegen Urheberrechte und Benutzungsordnung des Museums - Verstoß führt zu Schadensersatz- und Unterlassungspflicht
(BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 104/17) mehr


Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20.12.2018 (I ZR 104/17) folgendes entschieden:

Fotografien von  so genannten gemeinfreien Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken genießen regelmäßig Lichtbildschutz nach § 72 UrhG. Der Träger eines kommunalen Kunstmuseums kann von einem Besucher, der unter Verstoß gegen das im Besichtigungsvertrag mittels Allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbarte Fotografierverbot Fotografien im Museum ausgestellter Werke anfertigt und im Internet öffentlich zugänglich macht, als Schadensersatz Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung verlangen.

Die Klägerin betreibt das Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim. Sie hat im Jahr 1992 durch einen Mitarbeiter dort ausgestellte Kunstwerke fotografieren lassen und diese Fotografien in einer Publikation veröffentlicht.

Der Beklagte ist ehrenamtlich für die deutschsprachige Ausgabe des Internet Lexikons Wikipedia mit dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons tätig. Der Beklagte hat Fotografien in die Mediendatenbank Wikimedia Commons hochgeladen und zum öffentlichen Abruf bereitgestellt, auf denen Werke - Gemälde und andere Objekte - aus der im Eigentum der Klägerin stehenden Sammlung zu sehen sind. Diese Werke sind sämtlich gemeinfrei, also wegen Ablaufs der Schutzfrist (§ 64 UrhG) urheberrechtlich nicht mehr geschützt. Bei den Fotografien handelte es sich teilweise um Aufnahmen aus der Publikation der Klägerin, die der Beklagte zuvor eingescannt hatte. Die übrigen Fotos hatte der Beklagte bei einem Museumsbesuch im Jahr 2007 selbst angefertigt und Wikimedia Commons unter Verzicht auf sein Urheberrecht zur Verfügung gestellt.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Unterlassung und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Sie stützt ihren Unterlassungsanspruch hinsichtlich der vom Beklagten eingescannten Fotografien auf Urheber- und Leistungsschutzrechte. Hinsichtlich der vom Beklagten selbst erstellten Fotografien beruft sie sich auf eine Verletzung des mit dem Beklagten geschlossenen Besichtigungsvertrags, der ein Fotografierverbot enthalte, sowie auf eine Verletzung ihres Eigentums an den ausgestellten Objekten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist - soweit für die Revision von Bedeutung - ohne Erfolg geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Das Hochladen der eingescannten Bilder aus der Publikation der Klägerin verletzt das der Klägerin vom Fotografen übertragene Recht, die Lichtbilder öffentlich zugänglich zu machen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG, § 72 Abs. 1 UrhG, § 19a UrhG). Die Fotografie eines Gemäldes genießt Lichtbildschutz nach § 72 Abs. 1 UrhG. Bei ihrer Anfertigung hat der Fotograf Entscheidungen über eine Reihe von gestalterischen Umständen zu treffen, zu denen Standort, Entfernung, Blickwinkel, Belichtung und Ausschnitt der Aufnahme zählen. Deshalb erreichen solche Fotografien regelmäßig - so auch im Streitfall - das für den Schutz nach § 72 Abs. 1 UrhG erforderliche Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung.

Mit der Anfertigung eigener Fotografien anlässlich eines Museumsbesuchs hat der Beklagte gegen das vertraglich vereinbarte Fotografierverbot verstoßen. Die entsprechende Vorschrift in der Benutzungsordnung und aushängende Piktogramme mit einem durchgestrichenen Fotoapparat stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die wirksam in den privatrechtlichen Besichtigungsvertrag einbezogen worden sind und der Inhaltskontrolle standhalten. Die Klägerin kann als Schadensersatz wegen der Vertragsverletzung des Beklagten gemäß § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB verlangen, dass der Beklagte es unterlässt, die Bildaufnahmen durch Hochladen im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Verhalten stellt ein äquivalent und adäquat kausales Schadensgeschehen dar, das einen hinreichenden inneren Zusammenhang mit der Vertragsverletzung aufweist.


 

07.08.2018

Verwendung einer frei zugänglichen Fotografie auf anderer Website (Homepage einer Schule) - Zustimmung des Urhebers (Fotografen) nötig - andernfalls drohen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche
(EuGH, Urteil vom 07.08.2018 - C-161/17) mehr

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 07.08.2018 (C-161/17) folgendes entschieden:

Die Einstellung einer Fotografie, die mit Zustimmung des Urhebers auf einer Website frei zugänglich ist, auf eine andere Website bedarf einer neuen Zustimmung des Urhebers. Denn durch ein solches Einstellen wird die Fotografie einem neuen Publikum zugänglich gemacht.

Ein Fotograf hatte den Betreibern eines Reisemagazin-Portals erlaubt, auf ihrer Website eine seiner Fotografien zu veröffentlichen. Eine Schülerin einer im Land Nordrhein-Westfalen gelegenen Schule hatte die betreffende Fotografie von dieser Website (wo sie frei zugänglich war) heruntergeladen, um ein Schülerreferat zu illustrieren. Dieses Referat wurde anschließend auf der Website der Schule veröffentlicht.

Der Fotograf hat das Land Nordrhein-Westfalen vor den deutschen Gerichten verklagt, um diesem die Vervielfältigung der Fotografie zu verbieten. Außerdem verlangt er 400 Euro Schadensersatz.

Der Fotograf macht geltend, nur den Betreibern des Reisemagazin-Portals ein Nutzungsrecht eingeräumt zu haben, und vertritt die Ansicht, dass die Einstellung der Fotografie auf der Website der Schule sein Urheberrecht verletze.

In diesem Kontext ersucht der Bundesgerichtshof (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie, der zufolge der Urheber eines Werkes grundsätzlich das ausschließliche Recht hat, die öffentliche Wiedergabe dieses Werks zu erlauben oder zu verbieten. Der Bundesgerichtshof möchte wissen, ob der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ die Einstellung einer Fotografie auf eine Website erfasst, wenn die Fotografie zuvor ohne eine Beschränkung, die ihr Herunterladen verhindert, und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer anderen Website veröffentlicht worden ist.

Mit seinem heutigen Urteil bejaht der EuGH diese Frage.

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass eine Fotografie urheberrechtlich geschützt sein kann, sofern sie (was das nationale Gericht zu prüfen hat) die eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellt, in der dessen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in dessen bei ihrer Herstellung getroffenen freien kreativen Entscheidungen ausdrückt.
Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass vorbehaltlich der in der Richtlinie erschöpfend aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen jede Nutzung eines Werks durch einen Dritten ohne eine vorherige Zustimmung des Urhebers die Rechte des Urhebers dieses Werks verletzt. Denn die Richtlinie soll ein hohes Schutzniveau für die Urheber erreichen, um diesen die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke u. a. bei einer öffentlichen Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu erhalten.

Im vorliegenden Fall ist es als „Zugänglichmachung“ und folglich als „Handlung der Wiedergabe“ einzustufen, wenn auf eine Website eine zuvor auf einer anderen Website veröffentlichte Fotografie eingestellt wird (vor diesem Einstellen war sie auf einen privaten Server kopiert worden). Denn durch ein solches Einstellen wird den Besuchern der Website, auf der die Einstellung erfolgt ist (vorliegend die Website der Schule), der Zugang zu der betreffenden Fotografie auf dieser Website ermöglicht.

Außerdem ist die Einstellung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf eine andere Website als die, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt ist, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als Zugänglichmachung für ein neues Publikum einzustufen. Denn unter solchen Umständen besteht das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werks auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, nur aus den Nutzern dieser Website und nicht

(1) aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhaber eingestellt worden ist, oder
(2) sonstigen Internetnutzern.

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein solches Einstellen von der Zugänglichmachung eines geschützten Werkes über einen anklickbaren Link, der auf eine andere Website verweist, auf der das Werk ursprünglich wiedergegeben worden ist, zu unterscheiden ist. Denn im Gegensatz zu Hyperlinks, die zum guten Funktionieren des Internets beitragen, trägt die Einstellung eines Werks auf eine Website ohne die Zustimmung des Urheberrechtsinhabers, nachdem es zuvor auf einer anderen Website mit dessen Zustimmung wiedergegeben worden war, nicht im gleichen Maße zu diesem Ziel bei.
Schließlich betont der Gerichtshof, dass es keine Rolle spielt, dass der Urheberrechtsinhaber – wie im vorliegenden Fall – die Möglichkeiten der Internetnutzer zur Nutzung der Fotografie nicht eingeschränkt hat.

 

01.03.2018

adidas kann der Eintragung von zwei Parallelstreifen auf Schuhen als Unionsmarke widersprechen - Verwechselungsgefahr zu hoch
(EuGH, Urteil vom 01.03.2018 - T-85/16 und T-629/16) mehr

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 01.03.2018 (T-85/16 und T-629/16 Shoe Branding Europe BVBA/EUIPO) folgendes entschieden:

Das Unternehmen adidas kan verlangen, dass die Eintragung von Schuhen mit zwei Paralellsreifen als Unionsmarke unterbleibt. Es besteht die Gefahr, dass die im vorliegenden Fall angemeldeten Marken die in der Darstellung von drei Parallelstreifen auf einem Schuh bestehende ältere Marke von adidas in unlauterer Weise ausnutzen.

In den Jahren 2009 und 2011 beantragte das belgische Unternehmen Shoe Branding Europe beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Eintragung von zwei Unionsmarken, eine davon für Schuhwaren, die andere für Sicherheits- und Schutzschuhe. Das deutsche Unternehmen adidas widersprach der Eintragung. Es berief sich u. a. auf seine Marke.

Das EUIPO gab den Widersprüchen von adidas mit Entscheidungen von 2015 und 2016 statt und lehnte die Eintragung der beiden von Shoe Branding Europe angemeldeten Marken ab. Das EUIPO ging insbesondere davon aus, dass – in Anbetracht einer gewissen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken, der Identität bzw. Ähnlichkeit der von ihnen bezeichneten Waren und der hohen Wertschätzung der älteren Marke von adidas – die Gefahr bestehe, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die beiden sich gegenüberstehenden Marken miteinander in Verbindung brächten. Ebenso bestehe die Gefahr, dass durch die Benutzung der angemeldeten Marken – für die kein rechtfertigender Grund bestehe – die Wertschätzung der Marke von adidas in unlauterer Weise ausgenutzt werde.

Mit seinen heutigen Urteilen weist das Gericht die von Shoe Branding Europe gegen die beiden Entscheidungen des EUIPO erhobenen Klagen ab und bestätigt damit diese Entscheidungen.
Nach Auffassung des Gerichts ist die Beurteilung des EUIPO, nach der es u. a.
(i) wahrscheinlich sei, dass durch die Benutzung der angemeldeten Marken die Wertschätzung der Marke von adidas in unlauterer Weise ausgenutzt werde, und
(ii) Shoe Branding Europe keinen rechtfertigenden Grund für die Benutzung der angemeldeten Marken dargetan habe, fehlerfrei.

Über die von Shoe Branding Europe im Jahr 2009 für Schuhwaren angemeldete Marke entscheidet das Gericht bereits zum zweiten Mal. Mit Urteil vom 21.05.2015 hat es nämlich eine frühere Entscheidung aufgehoben, in der das EUIPO die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken zu Unrecht verneint hatte. Dieses Urteil des Gerichts ist vom Gerichtshof mit Beschluss vom 17.02.2016 bestätigt worden.

 

12.05.2016

Bundesgerichtshof schränkt Störerhaftung weiter ein - das Ende der Abmahnwellen gegen Inhaber privater Internetanschlüsse?
(BGH,Urteil vom 12.05.2016 - I ZR 86/15) mehr

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat hat sich erneut mit Fragen der Haftung wegen der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen befasst.

Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte an dem Film "Silver Linings Playbook". Sie hat von der Beklagten als Inhaberin eines Internetanschlusses wegen der unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachung des Werks den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 € verlangt. Die Beklagte hat eingewandt, ihre in Australien lebende Nichte und deren Lebensgefährte hätten anlässlich eines Besuchs mithilfe des ihnen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Verletzungshandlung begangen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hat das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts wiederhergestellt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts haftet die Beklagte nicht als Störer wegen von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten begangener Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung. Als Grund für die Haftung kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs


 

17.09.2015

Keine Vergütungspflicht einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegenüber GEMA für Gemeinschaftsantennenanlagen
(BGH vom 17. September 2015 - I ZR 228/14) mehr

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft keine Vergütung für die Weiterübertragung der über die Gemeinschaftsantenne der Wohnanlage per Satellit empfangenen Fernseh- und Hörfunksignale durch ein Kabelnetz an die Empfangsgeräte der einzelnen Wohnungseigentümer schuldet.

Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten urheberrechtlichen Nutzungsrechte wahr. Außerdem führt die Klägerin das Inkasso für auf vergütungspflichtigen Kabelweitersendungen beruhende Ansprüche anderer Verwertungsgesellschaften durch. Diese Verwertungsgesellschaften nehmen die ihnen von Urhebern, ausübenden Künstlern, Sendeunternehmen und Filmherstellern eingeräumten urheberrechtlichen Nutzungsrechte wahr.

Die Beklagte ist die Wohnungseigentümergemeinschaft eines Wohngebäudes mit 343 Wohneinheiten. Sie betreibt in dem Gebäude ein Kabelnetz, mit dem das von einer Gemeinschaftsantenne abgeleitete Sendesignal in die einzelnen Wohnungen weitergeleitet wird. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verletze mit der Weiterleitung der Sendesignale das Kabelweitersenderecht der von ihr vertretenen Urheber und Leistungsschutzberechtigten. Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin ihren Klageantrag weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen.

Das Oberlandesgericht hat, so der Bundesgerichtshof, mit Recht angenommen, dass die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft durch den Betrieb der Kabelanlage nicht das von der Klägerin wahrgenommene ausschließliche Recht von Urhebern, ausübenden Künstlern, Sendeunternehmen und Filmherstellern zur Kabelweitersendung verletzt hat. Eine Kabelweitersendung setzt eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG* voraus. Die Rechte der Urheber und Leistungsschutzberechtigten wegen einer öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke und Leistungen durch Kabelweitersendung beruhen auf Richtlinien der Europäischen Union (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 der Richtlinie 2006/115/EG). Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG ist deshalb in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen dieser Richtlinien und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Danach setzt die Öffentlichkeit einer Wiedergabe voraus, dass einer "unbestimmten Zahl potentieller Adressaten" der Zugang zu denselben Werken und Leistungen eröffnet wird. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Wiedergabe auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören.

Eine Wiedergabe beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf "besondere Personen", wenn sie für einen begrenzten Personenkreis vorgenommen wird. So verhält es sich hier. Die Empfänger der von der Beklagten über eine Gemeinschaftsantenne per Satellit und durch ein Kabelnetz in die Wohnungen der Wohnanlage weitergeleiteten Sendesignale sind in ihrer Eigenschaft als Bewohner der Wohnanlage von anderen Personenkreisen abgegrenzt.

Der für den unionsrechtlichen Begriff der Öffentlichkeit maßgebliche Begriff der "privaten Gruppe" kann nicht ohne Weiteres mit dem für den nationalen Begriff der Öffentlichkeit im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG maßgeblichen Begriff der "persönlichen Verbundenheit" gleichgesetzt werden. Es handelt sich dabei um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich nicht, dass eine "private Gruppe" aus wenigen Personen bestehen muss.

Bei der Beurteilung der Frage, ob im Streitfall die über eine Gemeinschaftsantenne empfangenen und durch ein Kabelnetz weitergeleiteten Sendesignale einer "privaten Gruppe" übermittelt werden, ist zu berücksichtigen, dass diese Sendesignale von einer Wohnungseigentümergemeinschaft ausschließlich in die Wohnungen der dieser Gemeinschaft angehörenden Wohnungseigentümer übermittelt werden. Bei einer wertenden Betrachtung unterscheiden sich der Empfang mittels einer gemeinsamen Satellitenschüssel und die Weiterleitung über ein Kabelnetz in die einzelnen Wohnungen nicht von der Fallgestaltung, dass jeder einzelne Eigentümer für seine eigene Wohnung eine gesonderte Antenne installiert und die empfangenen Sendesignale über Kabel an die Empfangsgeräte in seiner Wohnung weiterleitet. Im zuletzt genannten Fall liegt keine Wiedergabe für eine Öffentlichkeit vor, weil die Wiedergabe auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören. Wenn die Gesamtheit der Wohnungseigentümer anstelle zahlreicher Einzelantennen eine Gemeinschaftsantenne installiert und die empfangenen Sendesignale über Kabel an die Empfangsgeräte der einzelnen Wohnungen weiterleitet, ist das daher gleichfalls als eine Wiedergabe anzusehen, die auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören. Im Ergebnis leiten die einzelnen Eigentümer die Sendungen nur an sich selbst weiter.

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs


 

18.06.2015

Hintergrundmusik in Arztpraxen keine "öffentliche Widergabe" - GEMA kann keine Gebühren verlangen
(BGH-Urteil vom 18.06.2015 - I ZR 14/14) mehr


Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen im Allgemeinen keine - vergütungspflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechtsgesetzes darstellt.

Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Sie ist von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.

Die Parteien haben am 6. August 2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag geschlossen, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat.

Der Beklagte hat der Klägerin zum 17. Dezember 2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Diese hat er damit begründet, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.

Die Klägerin hat den Beklagten mit ihrer Klage auf Zahlung der für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 geschuldeten Vergütung von 113,57 € in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 61,64 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 16. Dezember 2012 in Höhe von 61,64 € beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden.

Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 entfallenden Vergütung 51,93 € erstrebt. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin kann die restliche Vergütung nicht beanspruchen, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden ist. Der Beklagte war zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 entfallen ist.

Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 6. August 2003 in der damals zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine - vergütungspflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG).

Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 ist zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.

Der Bundesgerichtshof ist an die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen. Der vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Sachverhalt stimmte darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt überein, der dem Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte. Der Bundesgerichtshof hat daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen - und so auch bei dem Beklagten - nicht öffentlich und damit auch nicht vergütungspflichtig ist.

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofes

 
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