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Arbeitsrecht kollektiv


Betriebsratsschulung: Präsenz statt Webinar - trotz höherer Kosten

07.02.2024  |  Auch bei Auswahl des Schulungsformats: Betriebsrat hat Ermessensspielraum - Gebot der Kostenschonung ist aber zu beachten
(BAG, Beschluss vom 07.02.204 - 7 ABR 8/23) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.02.2024 (7 ABR 8/23) Folgendes entschieden:

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderliche Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber zu tragen hat. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.

Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam.

Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu tragen hat. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar. Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme steht dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Allerdings steht die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung nach § 40 I BetrVG unter dem in § 2 I BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wozu namentlich das Gebot zur kostenschonenden Tätigkeit der Betriebsratsarbeit gehört.
(PM Nr. 5/24 v. 07.02.2024)


 

Handyverbot im Betrieb: Betriebsrat kann nicht mitbestimmen

12.01.2024  |  Arbeitgeber kann private Nutzung des Smartphones verbieten - in erster Linie ist Arbeitsverhalten betroffen - Betriebsrat steht daher kein Mitbestimmungsrecht zu
(BAG, Beschluss vom 17.10.2023 – 1 ABR 24/22) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 17.10.2023 (1 ABR 24/22) Folgendes entschieden:

Dem Betriebsrat steht kein Mitbestimmungsrecht zu, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern die private Nutzung von Smartphones während der Arbeitszeit untersagt, um eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung sicherzustellen.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts.

Die Arbeitgeberin stellt Brems- und Kraftstoffsysteme für Fahrzeuge her. Antragsteller ist der für ihren Betrieb gebildete Betriebsrat.

An einigen Arbeitsplätzen in der Produktion sowie den Bereichen Versand und Wareneingang kommt es zuweilen – etwa aufgrund eines notwendigen Maschinenumbaus oder ausstehender Wareneingänge – zu Arbeitsunterbrechungen. Während dieser Zeiten werden die Arbeitnehmer teilweise von der Arbeitgeberin anderweitig eingesetzt oder sie sollen – ohne konkrete Anweisung im Einzelfall – anfallende Nebenarbeiten erledigen. Hierzu gehören zB das Aufräumen des Arbeitsplatzes oder das Nachfüllen von Verbrauchsmaterial.

Die Arbeitgeberin wies die Arbeitnehmer durch eine im Betrieb ausgehängte Mitarbeiterinformation vom 18. November 2021 mit der Überschrift „Regeln zur Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit“ darauf hin, dass „jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet“ sei. Bei Verstößen sei mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen „bis hin zur fristlosen Kündigung“ zu rechnen. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin unter Hinweis auf ein Mitbestimmungsrecht vergeblich auf, diese Maßnahme zu unterlassen.

Der Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, die Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu verbieten, solange er dem Verbot nicht zugestimmt hat oder seine fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

Die Arbeitgeberin hat kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot, Mobiltelefone und Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu benutzen, unterfällt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Es beruht darauf, dass sie ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb seinem Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt die streitbefangene Anordnung der Arbeitgeberin nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Das von ihr ausgesprochene Verbot ist in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet.

Nach ihrem objektiven Inhalt zielt die Weisung, während der Arbeitszeit keine Mobiltelefone oder Smartphones zu privaten Zwecken zu benutzen, darauf ab, zügiges und konzentriertes Arbeiten der Arbeitnehmer sicherzustellen, indem mögliche Ablenkungen privater Natur durch die Verwendung dieser Geräte unterbunden werden sollen. Die genannten Geräte – im allgemeinen Sprachgebrauch als Handys bezeichnet – verfügen über eine Vielzahl unterschiedlichster Funktionen, die die Aufmerksamkeit der Arbeitnehmer binden und sie von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung abhalten oder zumindest ablenken können. So können neben dem Führen von Telefonaten durch verschiedene Messengerdienste Sprach- und Wortmitteilungen versendet oder entgegengenommen, auf die im Internet verfügbaren Inhalte und sozialen Netzwerke zugegriffen, Filme oder Videos angesehen sowie Musik abgespielt und ggf. elektronische Spiele gespielt werden. Die genannten – typischen – Verwendungsarten zeichnen sich dadurch aus, dass sie jeweils eine – ggf. auch nur kurze – aktive Bedienung des jeweiligen Geräts erfordern. Diese soll während der Arbeitszeit unterbleiben. Damit ist das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet.

Entgegen der Ansicht des Betriebsrats ist eine andere Beurteilung nicht deshalb geboten, weil das streitbefangene Verbot Zeiträume mit umfasst, in denen es aus betrieblichen Gründen zu Arbeitsunterbrechungen kommen kann. Die Arbeitgeberin ist auch während dieser Zeiten aufgrund ihres Direktionsrechts berechtigt, die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer abzufordern und ihnen bestimmte Aufgaben zuzuweisen. Darüber hinaus soll die Anordnung sicherstellen, dass die Arbeitnehmer diese Zeiträume nutzen, um selbständig etwaige Nebenarbeiten auszuführen. Damit ist insoweit ebenfalls nicht das Ordnungs-, sondern das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsverhalten betroffen.

Für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts kommt es zudem nicht darauf an, ob – wie die Rechtsbeschwerde geltend macht – eine Nutzung von Mobiltelefonen und Smartphones als sozialadäquat anzusehen und ein entsprechendes Verbot mit Blick auf seinen Umfang deshalb individualrechtlich unzulässig ist oder das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer verletzt. Die bloße – etwaige – Rechtswidrigkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung begründet weder ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG noch lässt sie dieses entfallen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vorliegen.


 

Leiharbeit: Geringeres Entgelt zulässig - wenn ein Tarifvertrag greift

31.05.2023  |  Wenn einschlägiger Tarivertrag die Schutzregeln für Leiharbeitnehmer beachtet, darf für sie eine niedrigere Vegütung vereinbart werden - Mindestlohn darf aber nicht unterschritten werden
(BAG, Urteil vom 31.05.2023 - 5 AZR 143/19) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 31.05.2023 (5 AZR 143/19) Folgendes entschieden:

Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („equal pay“), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG* ein Tarifvertrag „nach unten“ abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss.

Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG** (Leiharbeits-RL).

Die Klägerin war aufgrund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt. Sie war im Streitzeitraum Januar bis April 2017 hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 Euro brutto/Stunde. Sie hat behauptet, vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto und mit ihrer Klage unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung iHv. 1.296,72 Euro brutto verlangt. Sie hat gemeint, das auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di sei mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das Tarifwerk von iGZ und ver.di verstoße nicht gegen Unionsrecht, außerdem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers mit Nichtwissen bestritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Um unionsrechtliche Fragen zu klären, hatte der Senat zunächst mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 (- 5 AZR 143/19 (A) – BAGE 173, 251) das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL verlangten, aber nicht näher definierten „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ ersucht. Diese hat der EuGH mit Urteil vom 15. Dezember 2022 (- C-311/21 – [TimePartner Personalmanagement]) beantwortet.

Nach Fortsetzung der Revisionsverhandlung hat der Senat heute die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen.

Dieses Tarifwerk genügt, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Trifft der Sachvortrag der Klägerin zur Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer zu, hat die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Eine solche Schlechterstellung lässt aber Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt.

Dazu müssen nach der Vorgabe des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält.

Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann. Auch hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.
(PM 25/23 v. 31.05.2023)


 

Betriebsratswahlen: Wenn Arbeitgeber "mit harten Bandagen" kämpfen - und unterliegen

08.11.2022  |  Initiatorin von Betriebsratswahlen: 3 Kündigungen unwirksam - Abmahnung fehlte - besonderer Schutz als Wahlbewerberin - überwiegendes Interesse an Wahlaufruf
(LAD Düsseldorf, Urtel vom 08.11.2022 ( 8 Sa 243/22) mehr


Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 08.11.2022 (8 Sa 243/22) Folgendes entschieden:

Eine Kündigung ist als außerordentliche und ordentliche rechtsunwirksam, wenn eine erforderliche vorherige Abmahnung nicht erteilt wurde.
Eine Kündigung ist ferner rechtsunwirksam, wenn eine die Wahl initiiernde Arbeitnehmerin den Schutz als Wahlbewerberin gemäß § 15 Abs. 3a KSchG genoss; darauf darf sie sich berufen; dies ist nicht rechtsmissbräuchlich.
Eine Kündigng ist schließlich rechtsunwirksam, wenn zwar "an sich" ein Kündigungsgrund vorliegt, die Gesamtumstände jedoch zu Gunsten einer Wahlinitiatorin von Betriebsratswahlen ausschlagen, wozu auch der Versuch der Arbeitgeberin gehört, eine Betriebsratswahl "mit harten Bandagen" zu verhindern und Wahlaushänge zu verhindern.

Die Klägerin war seit Mai 2018 bei der Beklagten, einer Autovermietung, am Flughafen Düsseldorf als Rental Sales Agentin, bei der kein Betriebsrat gebildet ist, beschäftigt.

Am 16.01.2021 erteilte die Beklagte der Klägerin wegen angeblichen Zuspätkommens an drei Tagen eine Abmahnung. Am 09.08.2021, 11.08.2021, 14.08.2021 und 17.08.2021 stempelte die Klägerin sich zwischen vier bis 22 Minuten zu spät ein.

Gemeinsam mit zwei Kolleginnen lud die Klägerin mit Schreiben vom 20.08.2021 zu einer Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl ein.

Mit Schreiben vom 27.08.2021 kündigte die Beklagte der Klägerin fristlos und hilfsweise fristgerecht (erste Kündigung). Sie begründet dies mit den viermaligen Verspätungen im August 2021 sowie privaten Telefonaten am Counter. Die Klägerin wendet ein, sie habe jeweils am Counter Bescheid gegeben. Es seien bei Arbeitsantritt sämtliche Rechner besetzt gewesen seien, an denen sie hätte einstempeln können. Private Telefonate habe sie nur im BackOffice geführt.

Am 21.09.2021 sollte die Betriebsversammlung in einem Raum im Flughafengebäude stattfinden. Der dafür vorgesehene Raum war wegen der Corona-Beschränkungen für den erschienen Mitarbeiterkreis zu klein. Die Beklagte bot den Wechsel in einen größeren Raum in einem nahe gelegen Hotel an. Dies wurde abgelehnt und die Wahlversammlung fand nicht statt.

Die Beklagte kündigte der Klägerin darauf mit Schreiben vom 03.11.2021 erneut fristlos und hilfsweise fristgerecht (zweite Kündigung). Sie warf ihr vor, zusammen mit ihren Kolleginnen absichtlich einen zu kleinen Raum angemietet zu haben. Der Plan sei gewesen, sich selbst zum Wahlvorstand zu wählen, wenn kaum Beschäftigte der Einladung folgen. Sollte dies anders sein, hätte die Gefahr bestanden, nicht die nötige Mehrheit zu erhalten. Es sei für diesen Fall - wie geschehen - der Plan gewesen, die Veranstaltung abzusagen und sich als Wahlvorstand durch das Arbeitsgericht einsetzen zu lassen. Die Klägerin wendet ein, dass der Raum nicht durch sie, sondern den Gewerkschaftssekretär gebucht worden sei. Die Raumkapazität sei ihr und ihren beiden Kolleginnen vorher nicht bekannt gewesen.

Am 09.12.2021 betrat die Klägerin ohne vorherige Absprache mit der Beklagten zusammen mit einer Kollegin den Backoffice-Bereich der Filiale und hängte dort eine neue Einladung zu einer Wahlversammlung aus. Die Beklagte sah in dem Verhalten einen Hausfriedensbruch und kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 22.12.2021 erneut fristlos und hilfsweise fristgerecht (dritte Kündigung). Zudem habe sie beim Durchqueren der Filiale Kunden massiv verschreckt. Dem widerspricht die Klägerin.

Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat ebenso wie das Arbeitsgericht alle drei Kündigungen für rechtsunwirksam erachtet. Die Berufung der Arbeitgeberin hatte keinen Erfolg.

Die erste Kündigung war als außerordentliche und ordentliche rechtsunwirksam, weil es einer erneuten Abmahnung bedurft hätte. Es war zu würdigen, dass die Klägerin auch nach der Abmahnung am 16.01.2021 in den folgenden sieben Monaten regelmäßig zu spät kam, ohne dass dies Folgen hatte. Die Warnfunktion der vorherigen Abmahnung war dadurch verbraucht. Bezogen auf die angebliche private Handynutzung am Counter fehlte es von vornherein an einer Abmahnung. Die Beklagte hatte zudem keine nennenswerten konkreten negativen Folgen des beanstandeten Fehlverhaltens aufgezeigt.

Unabhängig davon konnte die erste Kündigung als ordentliche nicht rechtswirksam sein, weil die Klägerin den Schutz als Wahlbewerberin gemäß § 15 Abs. 3a KSchG genoss. Darauf durfte sie sich berufen. Dies war nicht rechtsmissbräuchlich. Die tatsächlichen Anhaltspunkte genügten zur Überzeugung der Kammer nicht, um von dem von der Arbeitgeberin behaupteten Plan auszugehen. Aus diesem Grund war auch die zweite Kündigung mangels Vorliegen eines Kündigungsgrundes unwirksam. Der von der Arbeitgeberin behauptete Plan sei zwar als Möglichkeit denkbar. Dies genügte indes nicht, weil es ebenso möglich war, dass die Klägerin und die beiden anderen Initiatorinnen trotz des tatsächlich zu kleinen Raums den Willen hatten, ordnungsgemäß eine Wahlversammlung abzuhalten. Unabhängig davon läge selbst bei Verfolgung des behaupteten Plans keine zur Kündigung berechtigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor. Der etwaige Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten berechtigte nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Betreffend die dritte Kündigung liegt an sich ein Kündigungsgrund vor. Als fristlos gekündigte Mitarbeiterin durfte die Klägerin die Räumlichkeiten der Arbeitgeberin nicht mehr betreten, um dort die Einladung aufzuhängen. Sie verletzte damit deren Hausrecht. Die Interessenabwägung fiel indes zu Gunsten der Klägerin aus. Hierbei war zu würdigen, dass die Arbeitgeberin, so die Kammer in der Verhandlung, im Zusammenhang mit dem Versuch der Bildung eines Betriebsrats mit "harten Bandagen“ gespielt hatte. Blieben die Verspätungen der Klägerin sieben Monate folgenlos, erfolgte ca. eine Woche nach Einladung zur Wahlversammlung die fristlose Kündigung. Die anderen beiden Initiatorinnen wurden freigestellt und erhielten Abfindungsangebote. Die Begründung dafür, dass eine der beiden Initiatorinnen ohnehin das Haus verlassen wollte, war nicht nachvollziehbar. Sie hatte nur einen Monat zuvor ihren Vertrag verlängert. Wenn in einer solchen Situation auf Seiten der Arbeitnehmerinnen der Eindruck entstehe, dass beabsichtigt sei, einen möglichen Wahlvorstand aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen, sei dies nachvollzieh-bar. Wenn dann die Klägerin trotz fristloser Kündigung nochmals versuche, zur Wahlversammlung einzuladen, rechtfertige dies in der Abwägung aller Umstände keine Kündigung.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
(PM v. 08.11.2022)


 

Arbeitszeiterfassung: Teil des Arbeitsschutzes - kein Initiativrecht des Betriebsrats

13.09.2022  |  Arbeitszeit: Arbeitgeber ist zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung verpflichtet - Betriebsrat hat kein Intitiativrecht, da die Einführung eine gesetzlich zwingende Pflicht ist
(BAG, Beschluss vom 13.09.2022 - 1 ABR 22/21) mehr

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) Folgendes entschieden:

Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.
Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande.

Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG* ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.
(PM Nr.35/22 v. 13.09.2022)
 

Überstundenvergütung: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten?

28.10.2021  |  Verstößt ein Tarifvertrag gegen EU-Recht, wenn bei Überstundenentgelt nur auf Vollzeitbeschäftigte abgestellt wird? - BAG legt dem EuGH Fall zu unterschiedlicher Bezahlung vor
(BAG, Beschluss v. 28.10.2021 - 8 AZR 370/20 (A)) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom 28.10.2021 (8 AZR 370/20 (A)) u.a. folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Liegt nach europäischem Recht eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten vor, wenn ein nationaler (hier: deutscher) Tarifvertrag regelt, dass die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für solche Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden?

Die Parteien streiten in der Revision über einen Anspruch der Klägerin auf eine Gutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto sowie über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Der Beklagte ist ein bundesweit tätiger ambulanter Dialyseanbieter. Die Klägerin ist für den Beklagten in B. als Pflegekraft in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 40 Prozent der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt.
Nach § 10 Ziffer 7 Satz 2 des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen, zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Beklagten geschlossenen Manteltarifvertrags (MTV) sind zuschlagspflichtig mit einem Zuschlag von 30 Prozent Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine Honorierung durch entsprechende Zeitgutschriften im Arbeitszeitkonto vorgesehen.

Das für die Klägerin geführte Arbeitszeitkonto wies zum Ende des Monats März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Hierbei handelt es sich um die von der Klägerin über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden. Der Beklagte hat der Klägerin für diese Stunden weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch hat er im Arbeitszeitkonto der Klägerin eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift vorgenommen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Beklagten ua. auf eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift in ihrem Arbeitszeitkonto von 38 Stunden und 49 Minuten sowie auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie werde durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung in § 10 Ziffer 7 Satz 2 MTV unzulässig als Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Zugleich werde sie als Teilzeitbeschäftigte mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin die geforderten Stunden gutzuschreiben. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen.

Mit ihrer Revision beim BAG verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision und im Wege der Anschlussrevision, die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, ua. die folgenden Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht zu beantworten, und zwar:

Sind Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?

Ist Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?
(PM 35/21 v. 28.10.2021)


 

GDL unterliegt erneut: Keine einstweilige Verfügung zur Anwendung ihrer Tarifverträge

19.08.2021  |  Minderheitsgewerkschaft GDL kann nicht mit angeblicher Verfassungswidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes gehört werden - Tarifverträge der EVG gehen vor
(LAG Berlin-Brandenburg, Beschuss vom 19.08.2021 - 14 SaGa 955/21) mehr


Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschuss vom 19.08.2021 (14 SaGa 955/21) folgendes entschieden:

Der Antrag der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) gegen den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Es fehlt bereits an der Eilbedürftigkeit.
Zudem kann behauptete Verfassungswidrigkeit des § 4a TVG nicht im einstweiligen Rechtsschutz geprüft werden.

Der AGV MOVE hat sowohl mit der GDL als auch mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EGV) Tarifverträge abgeschlossen. Unternehmen der Bahn gehen davon aus, dass die EGV in ihren Betrieben mehr Mitglieder hat als die GDL und wollen deshalb nach § 4a Tarifvertragsgesetz (TVG) nur noch die Tarifverträge der EGV anwenden.

Die GDL hält § 4a TVG für nicht verfassungsgemäß. Sie wollte mit dem vorliegenden Verfahren erreichen, dass der AGV MOVE auf seine Mitgliedsunternehmen einwirkt und auf eine Anwendung der Tarifverträge der GDL dringt.

Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag – wie schon das Arbeitsgericht Berlin – zurückgewiesen. Es fehle bereits an der erforderlichen Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, weil das Arbeitsgericht Berlin bereits in einem Monat über das Begehren der GDL im Hauptsacheverfahren verhandele.

Im Übrigen könne von dem AGV MOVE und seinen Mitgliedsunternehmen nicht verlangt werden, dass sie § 4a TVG allein wegen der Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit nicht anwenden. Ob diese Vorschrift unverhältnismäßig in die Grundrechte der GDL eingreife, könne nicht im einstweiligen Rechtsschutz entschieden werden.

Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
(PM Nr. 23/21 v. 19.08.2021)


 

"DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V." besitzt keine Tariffähigkeit

22.06.2021  |  DHV verfügt nicht über die notwendige Durchsetzungskraft gegenüber sozialem Gegenspieler - Mitgliederzahl für "soziale Mächtigkeit" zu niedrig
(BAG, Beschluss vom 22.06.2021 - 1 ABR 28/20) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 22.06.2021 (1 ABR 28/20) Folgendes entschieden:

Die DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) ist nicht tariffähig.

Denn Tarifverträge kann nur eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung schließen. Das setzt voraus, dass die Vereinigung über eine Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite und eine hinreichende organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs verfügt. Diese soziale Mächtigkeit wird regelmäßig durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer vermittelt.

Die im Jahr 1950 als Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen neu gegründete DHV verstand sich nach ihrer 1972 geltenden Satzung als eine Gewerkschaft der Angestellten im Handel, in der Industrie und dem privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich; seit 2002 als eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer in Bereichen, die durch kaufmännische und verwaltende Berufe geprägt sind. Nach mehreren weiteren Änderungen des Organisationsbereichs erstreckt sich ihre Tarifzuständigkeit auf der Grundlage einer im November 2014 beschlossenen Satzung nunmehr auf Arbeitnehmer in unterschiedlichsten Bereichen, so ua. private Banken und Bausparkassen, Versicherungsgewerbe, Einzel- und Binnengroßhandel, Krankenhäuser in privatrechtlicher Rechtsform, Rettungsdienste, Deutsches Rotes Kreuz, Fleischwarenindustrie, Reiseveranstalter, Textilreinigung, Einrichtungen der privaten Alten- und Behindertenpflege sowie IT-Dienstleistungsunternehmen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte.

Die DHV verfügt - nach eigenem Bekunden - über 66.826 Mitglieder, die in ihrem satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereich beschäftigt sind. Dieser erfasst nach Angaben der DHV um die 6,3 Mio. Arbeitnehmer, was einem Gesamtorganisationsgrad von etwa einem Prozent entspricht. In den einzelnen Zuständigkeitsbereichen schwankt ihr Organisationsgrad zwischen ungefähr 0,3 % (kaufmännische und verwaltende Berufe bei kommunalen Arbeitgebern) und 2,4 % (Versicherungsgewerbe).

In einem u.a. von den Gewerkschaften IG Metall, ver.di und NGG eingeleiteten Beschlussverfahren haben diese die - zuletzt auf die Zeit ab dem 21. April 2015 bezogene - Feststellung begehrt, dass die DHV nicht tariffähig ist.

Das Arbeitsgericht hatte dem Antrag stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hatte ihn abgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2018 und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht hat dieses festgestellt, dass die DHV auf der Grundlage ihrer letzten Satzung seit dem 21. April 2015 nicht tariffähig ist.

Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde der DHV hatte vor dem Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht führte dazu u.a. aus: Wie die gebotene Gesamtwürdigung ergibt, kann selbst bei Zugrundelegung der Angaben der DHV nicht prognostiziert werden, dass diese in ihrem eigenständig bestimmten Zuständigkeitsbereich über die notwendige mitgliedervermittelte Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den sozialen Gegenspielern verfügt. Die DHV kann ihre soziale Mächtigkeit auch nicht aus ihrer Teilnahme am Tarifgeschehen auf der Grundlage ihrer aktuellen Satzung herleiten.
(PM Nr. 15/21 v. 22.06.2021)


 

GDL unterliegt: Gesetz zur Regelung einer Tarifkollision nicht verfassungswidrig

15.06.2021 | Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft GDL nicht über einstweilige Verfügung durchsetzbar – Tarifverträge der Mehrheitsgewerkschaft EVG genießen Vorrang nach § 4a Tarifvertragsgesetz
(ArbG Berlin, Beschluss vom 15.06.2021 - 30 Ga 5272/21) mehr


Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 15.06.2021 (30 Ga 5272/21) folgendes entschieden:

Der Antrag der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE) betreffend Unternehmen der Bahn als Mitglieder des AGV MOVE auf Anwendung der von der GDL abgeschlossenen Tarifverträge wird zurückgewiesen; denn eine einstweilige Verfügung würde der gesetzlichen Wertung, bei konkurrierenden Gewerkschaften – wie hier zwischen der GDL und der EVG – werde der Minderheitstarifvertrag – hier also derjenige der GDL – verdrängt, entgegenlaufen; der GDL stehe grundsätzlich nur ein gesondertes Verfahren, nicht hingegen ein einstweiliges Verfügungsverfahren offen.

Der Antrag der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) war auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE) gerichtet.

Der AGV MOVE schließt als Arbeitgeberverband für Unternehmen der Deutschen Bahn Tarifverträge ab. Mit dem Antrag verlangt die GDL, der AGV MOVE solle auf im Einzelnen benannte Unternehmen der Bahn einwirken, von der GDL abgeschlossene, im Einzelnen benannte Tarifverträge weiterhin anzuwenden.

Der Arbeitgeberverband AGV MOVE hat sowohl mit der GDL als auch mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Tarifverträge abgeschlossen. In einem am 30. Mai 2015 abgeschlossenen Tarifvertrag zur Regelung von Grundsatzfragen wurden Vereinbarungen zur Anwendung von Tarifverträgen der GDL getroffen. Die Geltung dieses Tarifvertrages war bis 31. Dezember 2020 befristet. Unternehmen der Bahn gehen davon aus, dass nunmehr gemäß § 4a Tarifvertragsgesetz in Betrieben mit einer angenommenen mehrheitlichen Vertretung der EVG allein die mit der EVG geschlossenen Tarifverträge zur Anwendung kommen.

Hiergegen wendet sich die GDL und verlangt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die den AGV MOVE verpflichtet, auf die Unternehmen der Bahn als Mitglieder des AGV MOVE einzuwirken, die mit der GDL abgeschlossenen Tarifverträge auf Mitglieder der GDL anzuwenden. Zur Begründung macht die GDL geltend, § 4a Tarifvertragsgesetz könne nicht zur Anwendung kommen. Die Regelung sei verfassungs- und europarechtswidrig, zudem seien die Voraussetzungen einer Anwendung nicht gegeben.

Das ArbG Berlin hat den Antrag der GDL auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE) betreffend Unternehmen der Bahn als Mitglieder des AGV MOVE auf Anwendung der von der GDL abgeschlossenen Tarifverträge zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, mit der Regelung in § 99 Arbeitsgerichtsgesetz stehe ein eigenes Verfahren zur Klärung der Frage zur Verfügung, welcher Tarifvertrag im Falle konkurrierender Gewerkschaften zur Anwendung komme. Auch während der Durchführung dieses Verfahrens gelte die von § 4a Tarifvertragsgesetz vorgesehene Verdrängung des Minderheitstarifvertrages kraft Gesetzes. Dieser gesetzlichen Wertung würde der Erlass von einstweiligen Verfügungen zu Einwirkungspflichten mit einer damit verbundenen vorläufigen Entscheidung über die Geltung von Tarifverträgen entgegenlaufen. Entsprechend komme der Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung allenfalls in Fällen einer deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsacheverfahren in Betracht. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben.

Soweit es sich um von der GDL gekündigte Tarifverträge handle, wie dies weit überwiegend der Fall sei, bestehe ohnehin kein Anspruch auf Einwirkung zur Durchführung dieser Tarifverträge. Darüber hinaus sei die Regelung in § 4a Tarifvertragsgesetz nicht offensichtlich verfassungswidrig.

Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gegeben.
(PM Nr. 20/2021 v. 15.06.2021)


 

Außerordentliche Kündigung: Amt als Personalrat ruht nur bei offenbarer Unwirksamkeit

08.02.2021  |  Mitglied des Personalrats des BND nach außerordentlicher Kündigung an der Ausübung seines Amtes rechtlich verhindert - maßgeblich ist, dass Kündigung nicht offensichtlich unwirksam war
(BVerwG, Beschluss vom 04.02.2021 - 5 VR 1.20) mehr

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 04.02.2021 (5 VR 1.20) folgendes entschieden:

Ein dem Personalrat angehörender Arbeitnehmer, der nach der außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ein Kündigungsschutzverfahren einleitet, darf in der Ausübung seines Personalratsamtes nicht behindert werden, wenn die angegriffene Kündigung offensichtlich unwirksam ist. HIngegen ist bei nicht offensichtlicher Unwirksamkeit der Kündigung das betreffende Personalratsmitglied grundsätzlich aus rechtlichen Gründen an der Ausübung seines Personalratsamtes verhindert.

Der Antragsteller ist seit 1993 als Tarifbeschäftigter beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt. Seit den Personalratswahlen im Jahre 2020 ist er Mitglied des Gesamtpersonalrats beim BND in Berlin. Einige Monate nach der Wahl wurde das Arbeitsverhältnis des Antragstellers mit Zustimmung des Gesamtpersonalrats außerordentlich gekündigt.

Hiergegen hat der Antragsteller vor dem Arbeitsgericht Berlin Kündigungsschutzklage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Parallel dazu hat er ein personalvertretungsrechtliches Hauptsache- und Eilverfahren eingeleitet.

In der Hauptsache begehrt er die Feststellung, dass der Beschluss des Gesamtpersonalrats über die Zustimmung zu seiner außerordentlichen Kündigung unwirksam und er weiterhin Mitglied des Gesamtpersonalrats sei.

Mit seinem Eilantrag möchte der Antragsteller in der Sache erreichen, dass er vom Gesamtpersonalrat sowie dem Präsidenten des BND in der Ausübung seines Personalratsamtes bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Hauptsache nicht behindert wird. Dazu macht er geltend, dass der Zustimmungsbeschluss des Gesamtpersonalrats zur Kündigung fehlerhaft und die Kündigung aus verschiedenen Gründen rechtswidrig sei.

Das in erster und letzter Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung abgelehnt. Ein außerordentlich gekündigtes Personalratsmitglied, das seine Kündigung im Wege der Kündigungsschutzklage vor den Arbeitsgerichten angreift, ist weiterhin Mitglied des Personalrats. Die Mitgliedschaft im Personalrat setzt nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG) bei Arbeitnehmern ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Die für ein Erlöschen der Mitgliedschaft erforderliche Gewissheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist im Falle der Erhebung einer Kündigungsschutzklage in der Regel erst mit einer rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren gegeben. Einem Mitglied des Personalrats steht (nach § 8 BPersVG) ein Anspruch auf ungestörte Ausübung seines Amtes und der damit verbundenen Tätigkeiten zu. Dieser Anspruch erstreckt sich gegenüber dem Dienststellenleiter auch auf den ungehinderten Zutritt zur Dienststelle und zu allen Räumlichkeiten in ihr, soweit dies zur Erledigung der Personalratstätigkeit erforderlich ist. Der Anspruch kann im Eilverfahren erfolgreich geltend gemacht werden, wenn das gekündigte Personalratsmitglied glaubhaft macht, dass die angegriffene Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Denn bei einer derartigen Kündigung ist in Wahrheit kein ernstzunehmender Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegeben, sodass der Rechtsposition des Personalratsmitglieds der Vorrang einzuräumen ist.

An einer entsprechenden Glaubhaftmachung fehlt es hier. Lässt sich danach die offensichtliche Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht feststellen, geht die rechtliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der davon abhängenden Mitgliedschaft im Personalrat dergestalt zu Lasten des gekündigten Personalratsmitglieds - hier des Antragstellers -, dass dieser bis auf Weiteres (nach § 31 Abs. 1 Satz 2 BPersVG) aus rechtlichen Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert ist.
(PM Nr. 11/2021)

 
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