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Arbeitsrecht kollektiv


Betriebsratsvergütung: Hat Arbeitgeber bereits geleistet, muss er vermeintlichen Fehler belegen

20.03.2025  |  Vergütungsanpassung: Zwar hat grundsätzlich das BR-BMitglied seinen Anspruch zu beweisen - hat aber Arbeitgeber bereits eingruppiert, muss er eine behauptete Fehlerhaftigkeit beweisen
(BAG, Urteil vom 20.03.2025 - 7 AZR 46/24) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.03.2025 (7 AZR 46/24) Folgendes entschieden:

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Mitglieder des Betriebsrats Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgelts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG*). Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Anspruchs ist grundsätzlich das Betriebsratsmitglied darlegungs- und beweisbelastet. Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten, einer Automobilherstellerin, beschäftigt. Er war als Anlagenführer tätig und wurde nach den einschlägigen (firmen-)tarifvertraglichen Regelungen entsprechend der sog. Entgeltstufe (ES) 13 vergütet. Seit 2002 ist er Mitglied des Betriebsrats und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Anfang 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Arbeitsentgelt werde entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG der ES 14 angepasst.

In der Folgezeit erhielt der Kläger ähnlich lautende Anpassungsmitteilungen hinsichtlich der jeweils nächsthöheren Entgeltstufe und bezog ab 1. Januar 2015 eine Vergütung nach ES 20. Im Oktober 2015 wurde ihm eine freie Stelle als Fertigungskoordinator angetragen, für die er intern als „Idealbesetzung“ galt. Aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit bewarb sich der Kläger nicht.

Im Nachgang zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22 – überprüfte die Beklagte die Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder. Beim Kläger erachtete sie eine Vergütung nach ES 18 als zutreffend und forderte für Oktober 2022 bis Januar 2023 die über die ES 18 hinaus gezahlte Vergütung zurück. Im Februar 2023 erhielt der Kläger Entgelt nach ES 17, seit März 2023 auf Grundlage von ES 18.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Vergütungsdifferenzen, den zurückgezahlten Betrag sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2015 nach den jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte in der ES 20 durchzuführen. Er hat sich neben den Anpassungsmitteilungen der Beklagten auch darauf berufen, eine Vergütung nach ES 20 entspreche seiner hypothetischen Karriere zu einer Tätigkeit als Fertigungskoordinator.
Das Landesarbeitsgericht hat den Zahlungsanträgen im Wesentlichen stattgegeben und nach der begehrten Feststellung – allerdings erst ab 1. Januar 2016 – erkannt. Es ist davon ausgegangen, der Kläger habe zwar keinen Anspruch auf Vergütung nach ES 20 gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (Vergütungsanpassung), wohl aber nach § 78 Satz 2 BetrVG** iVm. § 611a Abs. 2 BGB (fiktiver Beförderungsanspruch).

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, während der Kläger mit seiner Revision die teilweise Abweisung seines Feststellungsantrags angreift.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dagegen hatte die Revision des Klägers schon deshalb keinen Erfolg, weil sein Feststellungsbegehren unzulässig ist. Ob seine Zahlungsanträge begründet sind, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat bei dem hauptsächlich zur Entscheidung gestellten Anpassungsanspruch nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG die Darlegungs- und Beweislast bei dem Kläger gesehen.

Ermittelt jedoch – wie vorliegend – der Arbeitgeber eine für das Betriebsratsmitglied ersichtlich auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützte Vergütungsanpassung, teilt diese dem (freigestellten) Betriebsratsmitglied mit und zahlt eine dementsprechende Vergütung, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für deren objektive Fehlerhaftigkeit, wenn er im Nachhinein die Bemessung des Arbeitsentgelts korrigiert.

Erst wenn die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Vergütungsanpassung darzulegen und ggf. zu beweisen vermag, wird das Landesarbeitsgericht über die Zahlungsanträge aufgrund des hilfsweise erhobenen Anspruchs des Klägers infolge des Verbots einer Benachteiligung bei seiner beruflichen Entwicklung zu befinden haben. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Dieser bildet einen eigenständigen prozessualen Anspruch (Streitgegenstand); § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Diese Maßgabe ist mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22 – nicht in Frage gestellt.
(PM Nr. 13/25 v. 20.03.2025)


 

Mitgliederwerbung: Gewerkschaft hat keinen Anspruch auf "digitalen Zugang" beim Arbeitgeber

28.01.2025  |  Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einer Gewerkschaft Zugang zum internen Kommunikationssystem zu geben - auch keine Pflicht zur Übermittlung dienstlicher E-mail-Adressen
(BAG, Urteil vom 28.01.2025 - 1 AZR 33/24) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 28.01.2025 (1 AZR 33/24) Folgendes entschieden:

Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner – bereits vorhandenen und neu hinzukommenden – Arbeitnehmer zum Zweck der Mitgliederwerbung mitzuteilen. Ein solches Begehren kann nicht auf eine von den Gerichten – im Weg der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung – vorzunehmende Ausgestaltung der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit gestützt werden.

Die Parteien haben über Möglichkeiten der klagenden Gewerkschaft gestritten, im Betrieb der Beklagten digital Werbung zu betreiben.

Die Beklagte entwickelt, produziert und vertreibt Sportartikel. Sie ist die Obergesellschaft eines weltweiten Konzerns. Die Klägerin ist die für die Beklagte zuständige Gewerkschaft. Im Betrieb sind etwa 5.400 Arbeitnehmer tätig. Ein erheblicher Teil der betriebsinternen Kommunikation findet digital – ua. über E-Mail, die von Microsoft 365 entwickelte Anwendung Viva Engage und das konzernweite Intranet – statt. Die meisten Arbeitnehmer verfügen über eine unter der Domain der Beklagten generierte – namensbezogene – E-Mail-Adresse.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr müsse für die Mitgliederwerbung ein „Zugang“ zu diesen Kommunikationssystemen eingeräumt werden. Die Beklagte sei daher ua. verpflichtet, ihr sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu übermitteln. Zumindest habe sie einen solchen Anspruch, um den Arbeitnehmern bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu 5 MB zu übersenden. Zudem sei ihr ein Zugang als „internal user“ zum konzernweiten Netzwerk bei Viva Engage zu gewähren, damit sie dort eine bestimmte Anzahl werbender Beiträge einstellen könne. Außerdem müsse die Beklagte auf der Startseite ihres Intranets eine Verlinkung mit einer Webseite der Klägerin vornehmen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet einer Gewerkschaft zwar grundsätzlich die Befugnis, betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu Werbezwecken und für deren Information zu nutzen.

Allerdings haben die Gerichte – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit auch die mit einem solchen Begehren konfligierenden Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 14 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie die ebenfalls berührten Grundrechte der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in den Blick zu nehmen. Sie haben alle betroffenen Positionen im Weg der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie trotz ihres Gegensatzes für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Hiervon ausgehend blieb der auf eine bloße Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen gerichtete Klageantrag erfolglos. Ein solches isoliertes Begehren ermöglicht keine – die kollidierenden Verfassungswerte ausgleichende – Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit.

Auch der hilfsweise Klageantrag, der auf eine Mitteilung der betrieblichen E-Mail-Adressen und eine Duldung ihrer Verwendung in bestimmtem Umfang abzielte, war unbegründet. Die mit dem Leistungs- und Duldungsverlangen jeweils einhergehenden Belastungen der Beklagten beeinträchtigen sie erheblich in ihrer verfassungsrechtlich garantierten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und begründen – schon jeweils für sich genommen – ihr überwiegendes Schutzbedürfnis gegen eine solche Inanspruchnahme.

Das Abwägungsergebnis hat nicht zur Folge, dass damit für die Klägerin keine Möglichkeit eröffnet wäre, das E-Mail-System der Beklagten zu Werbe- oder Informationsmaßnahmen zu nutzen. Ihr steht die Möglichkeit offen, die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse zu fragen. Auch für deren grundrechtlich verbürgte Belange stellt dies den schonendsten Ausgleich dar.

Der auf eine Nutzung des konzernweiten Netzwerks bei Viva Engage gerichtete Klageantrag blieb ebenfalls erfolglos. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Beklagten übersteigen das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Klägerin an der Durchführung solcher Werbemaßnahmen.

Auch der auf die Vornahme einer Verlinkung im Intranet der Beklagten abzielende Klageantrag war unbegründet. Die Klägerin konnte ihr Begehren mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG stützen. Ob sich ein solches Begehren grundsätzlich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben kann, konnte der Senat offenlassen. Jedenfalls kann die Klägerin nicht verlangen, dass ein auf ihre Webseite verweisender Link auf der Startseite des Intranets angebracht wird.
(PM 4/25 v. 28.01.2025)


 

Freigestelltes Betriebsratsmitglied: Gehaltserhöhung nicht mitbestimmungspflichtig

26.11.2024  |  Erhöhung der Vergütung eines freigestellten BR-Mitglieds ist Folge gesetzlicher Pflicht zur Anpassung - keine mitbestimungspflichtige Ein- oder Umgruppierung
(BAG, Beschluss vom 26.11.2024 - 1 ABR 12/23) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.11.2024 (1 ABR 12/23) Folgendes entschieden:

Die Erhöhung des Arbeitsentgelts eines von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG unterliegt nicht der Mitbeurteilung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG.

Die Arbeitgeberin, die regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, unterhält in Leipzig zwei Autohäuser, für die der antragstellende Betriebsrat errichtet ist. Nachdem der freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats im Jahr 2021 erfolgreich das Assessment Center „Führungskräftepotenzial“ durchlaufen hatte, vergütete ihn die Arbeitgeberin entsprechend einer höheren Entgeltgruppe des einschlägigen Tarifvertrags.

Der Betriebsrat hat gemeint, ihm stehe hierbei ein Mitbeurteilungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu, und hat im Rahmen dieses Beschlussverfahrens entsprechend § 101 BetrVG seine Beteiligung gerichtlich geltend gemacht.

Die Vorinstanzen haben der Arbeitgeberin aufgegeben, beim Betriebsrat ein Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG einzuleiten. Die gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Dem Betriebsrat steht bei der Erhöhung des Arbeitsentgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf der Grundlage von § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG kein Mitbeurteilungsrecht nach § 99 BetrVG zu. Die Norm sieht eine Beteiligung des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen vor. Diese bestehen in der Zuordnung der zu verrichtenden Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe der maßgebenden Vergütungsordnung.

Bei der Erhöhung des Arbeitsentgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG erfolgt demgegenüber keine solche Einordnung, sondern eine Anpassung der Vergütung des Betriebsratsmitglieds nach Maßgabe der in diesen Normen geregelten gesetzlichen Vorgaben. Danach ist die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds entweder entsprechend der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer oder zur Vermeidung einer Benachteiligung anzupassen, weil das Betriebsratsmitglied nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine höher vergütete Position aufsteigen konnte.
(PM Nr. 31/24 v. 26.11.2024)


 

Homeoffice: keine Briefwahl des Betriebsrats bei nur optionaler Abwesenheit

23.10.2024  |  Briefwahl bei Wahl eines Betriebsrats nur in normierten Fällen zulässig - soweit Beschäftigte bekanntermaßen tatsächlich nicht im Betrieb anwesend sind
(BAG, Beschluss vom 23.10.2024 - 7 ABR 34/23) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23.10.2024 (7 ABR 34/23) Folgendes entschieden:

Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmern, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden.

Die Arbeitgeberin produziert an mehreren Standorten Kraftfahrzeuge. Im Frühjahr 2022 fand in ihrem Werk in Wolfsburg turnusgemäß die Betriebsratswahl statt. Bei Bekanntmachung des Wahlausschreibens im November 2021 galt für den Verwaltungsbereich infolge der Covid-19-Pandemie eine „bis auf Weiteres“ befristete betriebliche Anordnung, so weit wie möglich mobile Arbeit (Homeoffice) zu nutzen. Ausgenommen waren Beschäftigte, deren Tätigkeit eine Anwesenheit im Betrieb erforderte. Im Januar 2022 verlängerte die Arbeitgeberin ihre Anweisung; betroffen war auch der für die Wahl festgelegte Zeitraum vom 14. bis 18. März 2022.

Daraufhin übersandte der Wahlvorstand an ca. 26.000 in der Verwaltung tätige Arbeitnehmer unaufgefordert Briefwahlunterlagen. Ab Mitte Februar 2022 kam es im Werk außerdem zu Kurzarbeit infolge von Produktionsausfällen.

Deswegen beschloss der Wahlvorstand, alle ihm von der Arbeitgeberin gemeldeten und im Wahlzeitpunkt wegen der Kurzarbeit betriebsabwesenden Arbeitnehmer der schriftlichen Stimmabgabe zuzuordnen. Entsprechend erhielten ca. 33.000 Produktionsmitarbeiter Briefwahlunterlagen zugesandt. An der Betriebsratswahl beteiligten sich 39.498 Wahlberechtigte, davon etwa 35.000 im Wege der schriftlichen Stimmabgabe.

Mit dem von ihnen eingeleiteten Verfahren haben mehrere wahlberechtigte Arbeitnehmer die Betriebsratswahl angefochten. Sie haben – unter anderem im Zusammenhang mit der schriftlichen Stimmabgabe – verschiedene Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Ersten Verordnung zu dessen Durchführung (Wahlordnung) gerügt. Die Versendung von Briefwahlunterlagen an alle Arbeitnehmer im Homeoffice und in Kurzarbeit haben sie als unvereinbar mit der Wahlordnung angesehen.

Das Arbeitsgericht hat die Wahl antragsgemäß für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde hatten die Antragsteller Erfolg.

Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Die Fälle einer zulässigen Briefwahl sind in der Wahlordnung (WO) abschließend geregelt. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO erhalten die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe – ohne dies zu verlangen – diejenigen Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb anwesend sein werden. Hierunter fallen Arbeitnehmer, die während der Wahl wegen vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind.

Allerdings kann auf der Grundlage der bisher festgestellten Tatsachen nicht beurteilt werden, ob der Wahlvorstand – insoweit unter Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO – die Briefwahlunterlagen auch an zur mobilen Arbeit berechtigte Arbeitnehmer übersandt hat, von denen er wusste, dass sie im Wahlzeitraum wegen Unabkömmlichkeit ihre Tätigkeit im Betrieb verrichten. Hierzu ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht notwendig.

Zu den sonstigen von den Antragstellern beanstandeten Wahlfehlern hat der Senat abschließend befunden, dass sie die Anfechtung der Betriebsratswahl nicht begründen.
(PM 28/24 v. 23.10.2024)


 

Berliner Kita-Streik rechtswidrig: Landesarbeitsgericht bestätigt dessen Verbot

11.10.2024  |  Von ver.di bestreiktes Ziel wäre rechtswidrig, da es teilweise bereits Gegenstand des Tarifvertrages der Länder ist, zu dem eine Friedenspflicht läuft - dass sich ver.di damals nicht durchsetzen konnte, ist unbeachtlich
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2024 - 12 SaGa 886/24) mehr


Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 11.10.2024 (12 SaGa 886/24) Folgendes entschieden:

Die Berufung der Gewerkschaft ver.di gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin über die Untersagung des angekündigten unbefristeten Streiks in den Kitas der Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin wird zurückgewiesen.

Die Gewerkschaft ver.di hatte am 26.09.2024 zu einem unbefristeten Streik in den Kitas der Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin aufgerufen. Ziel des Streiks war die Erzwingung von Tarifverhandlungen mit dem Land Berlin über die Regelung einer Mindestpersonalausstattung in den Kitas, über Regelungen zum Belastungsausgleich (Konsequenzenmanagement) und für mehr Zeit für Auszubildende.

Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Berliner Eigenbetriebs-Kitas richten sich nach dem zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Das Land Berlin lehnte Tarifverhandlungen mit ver.di ab, weil es als Mitglied der TdL nach deren Satzung keine von den Regelungen des TV-L abweichenden Tarifverträge schließen dürfe. Für den Fall eines Verstoßes dagegen habe die TdL bereits beschlossen, das Land Berlin aus ihrem Arbeitgeberverband auszuschließen. Im Übrigen verstoße ver.di mit den Streikforderungen betreffend Entlastungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Erzieher und für ein Mehr an Zeit für Auszubildende gegen die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge.

Das Arbeitsgericht hatte den ab dem 30.09.2024 angekündigten Streik durch Urteil vom 27.09.2024 untersagt.

Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Ergebnis bestätigt.

Das betrifft sowohl die Untersagung des aktuellen Streiks als auch die Einschätzung, dass der Gewerkschaft nicht grundsätzlich Streiks gegen das Land Berlin betreffend die Beschäftigten in Eigenbetriebs-Kitas verboten sind.

Das Risiko des Landes, aufgrund des Beschlusses der TdL aus dem Arbeitgeberverband ausgeschlossen zu werden, überwiege allerdings nicht das Grundrecht der Gewerkschaft auf Arbeitskampfmaßnahmen aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die TdL rechtlich gehindert wäre, ihren Beschluss unter besonderen Umständen zu ändern. Deshalb seien Streiks zur Durchsetzung von Tarifverhandlungen mit dem Land Berlin über Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher in den Eigenbetriebs-Kitas des Landes Berlin nicht grundsätzlich unzulässig.

Der aktuell angekündigte Streik sei jedoch rechtswidrig und deshalb zu untersagen, weil die Gewerkschaft mit einem Teil ihrer Streikforderungen gegen die Friedenspflicht verstoße. Die Friedenspflicht resultiere aus § 52 TV-L. Diese Regelung speziell für Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes der Länder Berlin, Bremen und Hamburg sei in der Tarifrunde zwischen der TdL und der Gewerkschaft ver.di im Dezember 2023 vereinbart worden. Ausgangspunkt dieser Vereinbarung sei die von ver.di geäußerte Erwartung gewesen, die Regelungen zur Entlastung von Erzieherinnen und Erziehern in der TV-L aufzunehmen, die ver.di tariflich mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände im Jahr 2022 geregelt hatte (TVöD-VKA). Dazu gehörten u.a. eine monatliche Zulage für Erzieherinnen und Erzieher und jährlich zwei Rehabilitationstage.

Im Zuge der Tarifverhandlungen mit der TdL sei über die diesbezüglichen Regelungen aus dem TVöD-VKA verhandelt worden. Ergebnis der Verhandlung sei die Aufnahme der Zulagenregelung in den TV-L gewesen, während sich die Gewerkschaft mit den weiteren Punkten nicht habe durchsetzen können. Da alle Regelungen des TVöD-Pakets Gegenstand der Verhandlungen gewesen seien, sei dieses Paket abschließend geregelt worden.

Die aktuellen Streikforderungen seien teilweise in diesem Regelungspaket enthalten, nämlich hinsichtlich der Regenerationstage und hinsichtlich der Vorbereitungszeit. Dadurch werde die Friedenspflicht verletzt.

Eine weitere Verletzung der Friedenspflicht durch die Forderung nach mehr Zeit für Auszubildende liege nicht vor. Darauf komme es aber entscheidungserheblich nicht mehr an, da der Streik aus anderen Gründen rechtswidrig sei.

Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig; sie ist rechtskräftig.
(PM Nr. 20/24 v. 11.10.2024)


 

Betriebsratsarbeit: Behinderung durch Arbeitgeber bei bloßem Bestreiten der Tätigkeit?

24.07.2024  |  Antrag auf zukünftige "Unterlassung" einer Kürzung von Betriebsratsvergütung unzulässig, da Voraussetzungen der Zahlungen noch nicht feststehen
(BAG, Beschluss vom 13.03.2024 - 7 ABR 11/23) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 13.03.2024 (7 ABR 11/23) Folgendes entschieden:

Ein auf die Vornahme einer künftigen Handlung gerichteter Antrag ist zwar nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 259 ZPO zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen.
Die Vorschrift ermöglicht jedoch nicht die Verfolgung von erst in der Zukunft entstehenden Ansprüchen.
Ein auf die zukünftige "Unterlassung" einer Kürzung von Vergütungsansprüchen gerichteter Antrag betrifft solche erst künftig entstehenden Ansprüche und ist daher unzulässig.

Die Beteiligten streiten über eine vom Betriebsrat geltend gemachte Störung und Behinderung seiner Gremienarbeit durch die Arbeitgeberin und in diesem Zusammenhang über mehrere Unterlassungs- und Feststellungsansprüche.

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Textileinzelhandelsbranche mit deutschlandweit zahlreichen Filialen. Antragsteller ist der in ihrer Filiale K gewählte Betriebsrat mit sieben Mitgliedern. Dieser hatte während der Covid-19-Pandemie entschieden, Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz durchzuführen und so seinen – mit einer täglichen Arbeitszeit von fünf bzw. sechs Stunden beschäftigten – Mitgliedern die Sitzungsteilnahme von zu Hause aus zu ermöglichen; hierzu hatte er sich eine entsprechende Geschäftsordnung gegeben.

Zwischen August 2021 und Mai 2022 wies die Arbeitgeberin bei mehreren Betriebsratsmitgliedern auf deren Abrechnungen des Arbeitsentgelts unter „Bezeichnung“ und „Lohnart“ eine „unbez. Fehlzeit“ sowie „520“ aus und stellte in Abrede, dass diese während der von ihr angenommenen Fehlzeiten an Betriebsratssitzungen von zu Hause aus mittels Videokonferenz teilgenommen oder zu Hause (vor bzw. nach den virtuellen Sitzungen) Betriebsratsaufgaben wahrgenommen haben.

Hiergegen hat sich der Betriebsrat mit seinem Anfang Februar 2022 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Verfahren gewandt und von der Arbeitgeberin das Unterlassen von Gehaltsabzügen bei Betriebsrats- und Ersatzmitgliedern – für näher angeführte Zeiten – geltend gemacht.

Der Betriebsrat hat zuletzt u.a. beantragt,

1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten durchzuführen, zu denen sie von zu Hause aus als geladene Teilnehmer an Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG iVm. der Geschäftsordnung des Betriebsrats per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben;

2. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten durchzuführen, zu denen sie von zu Hause aus vor oder nach einer Betriebsratssitzung, an der sie als geladene Teilnehmer nach § 30 Abs. 2 BetrVG iVm. der Geschäftsordnung des Betriebsrats per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben, erforderliche Betriebsratstätigkeit iSv. § 37 Abs. 2 BetrVG ausgeübt haben.

Das Arbeitsgericht hat die – bei ihm anhängigen – Unterlassungsbegehren abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen erhobene und die Feststellungsbegehren umfassende Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine zuletzt gestellten Anträge weiter.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts – einschließlich der mit ihr weiter angebrachten Begehren – zu Recht zurückgewiesen.

Die von den Anträgen zu 1. und 2. umfassten Rechtsschutzziele betreffen solche erst künftig entstehenden Ansprüche. Das Unterlassen der Kürzung von Entgelt – ausgewiesen in der Entgeltabrechnung und umgesetzt in einer  abrechnungsgemäßen Entgeltzahlung – bedeutet inhaltlich die Forderung nach einer künftig anderen Abrechnung des Arbeitsentgelts und dessen ungekürzter Zahlung. Wie der Betriebsrat in der mündlichen Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, würde die Arbeitgeberin den dem Wortlaut der Anträge zu 1. und 2. nach erstrebten Unterlassungen allein durch die Abrechnung des Arbeitsentgelts der Betriebsrats- und Ersatzmitglieder ohne Berücksichtigung von Fehlzeiten (für die näher beschriebenen Zeiten) und durch die Zahlung der Vergütung an diese (ohne Abzug für Fehlzeiten) nachkommen können.

Damit richtet sich das Begehren des Betriebsrats der Sache nach aber auf künftige Handlungen. Für die Betriebsrats- und Ersatzmitglieder entsteht der Anspruch auf Abrechnung von Arbeitsentgelt nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO (erst) bei dessen Zahlung und der Anspruch auf Vergütung (erst) mit Erbringung der Arbeitsleistung oder bei Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen sie Anspruch auf Vergütung ohne Arbeitsleistung haben. Für die Entstehung des Anspruchs reicht weder der Abschluss des Arbeitsvertrags aus noch der Umstand, dass Betriebsratsmitglieder (im Vertretungsfall: Ersatzmitglieder) nach § 37 Abs. 2 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien sind, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

Insoweit begründet § 37 Abs. 2 BetrVG keinen eigenständigen Vergütungsanspruch, sondern sichert den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag, indem er dem Arbeitgeber den Einwand des nicht erfüllten Vertrags nimmt. Entsprechend vermag sich auch die vom Betriebsrat beanspruchte – auf eine Störung und Behinderung seiner Tätigkeit gestützte – kollektiv-rechtliche Position auf keine künftig erst entstehenden Abrechnungs- und Zahlungspflichten der Arbeitgeberin zu richten. Die Arbeitgeberin „kürzt“ keinen (noch nicht entstandenen) Vergütungsanspruch, sondern bestreitet dessen Entstehen für die von ihr angenommenen Fehlzeiten.
Ein darauf gestützter Unterlassungsantrag ist wegen der erst künftig entstehenden und damit bezüglich deren Erfüllung insoweit noch ungewissen Vergütungsvoraussetzungen (Erbringung der Arbeitsleistung bzw. Anspruch ohne Arbeitsleistung wegen Betriebsratsarbeit) unzulässig.


 

Zustimmungsverfahren bei Einstellung: Digitales Leserecht für den Betriebsrat genügt

10.04.2024  |  Führt Arbeitgeber Bewerbungsverfahren mit Software durch, reicht für Beteiligungsverfahren des Betriebsrats die digitale Vorlage – keine datenschutzrechtlichen Bedenken
(BAG, Beschluss vom 13.12.2023 – 1 ABR 28/22) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 13.12.2023 (1 ABR 28/22) Folgendes entschieden:

Der Arbeitgeber, der den Bewerbungsprozess um eine ausgeschriebene Stelle mithilfe eines Softwareprogramms digital durchführt, genügt seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat, wenn er dessen Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes – mithilfe von zur Verfügung gestellten Laptops jederzeit nutzbares – Einsichtsrecht gewährt und die Möglichkeit besteht, Notizen anzufertigen.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme.

Die Arbeitgeberin unterhält in L einen Betrieb, in dem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Die Mitglieder des Betriebsrats verfügen über Laptops, die sie für ihre Betriebsratstätigkeit nutzen können.

Die Arbeitgeberin verwendet in ihrem Unternehmen eine Software zum „Recruiting“. Das Programm verwaltet ua. Stellenausschreibungen und enthält ein internes und externes Bewerberportal. Ausweislich der Anlage 3b der hierzu geschlossenen Rahmen-Konzernbetriebsvereinbarung 01/2019 (KBV) müssen sich externe Bewerber einen Account anlegen, um am Bewerbungsprozess teilzunehmen. Bewerbungen, die dennoch in Papierform eingehen, werden zuvor manuell erfasst. Die weitere Bearbeitung erfolgt, nachdem der jeweilige Nutzer seine Zustimmung zur Datenverarbeitung erteilt hat. Den Mitgliedern des Betriebsrats steht ein Einsichtsrecht in die „Datenfelder“ des Programms zu. Sie enthalten ua. die persönlichen Angaben des Bewerbers, sein „Anschreiben“ und seinen Lebenslauf sowie etwaige Zeugnisse und Zertifikate.

Die Arbeitgeberin schrieb im Frühjahr 2021 die Stelle eines „Prozess- und Projektspezialisten Technik“ aus. Hierauf gingen 33 externe Bewerbungen ein. Die „Bewerbungsunterlagen“ wurden im Programm „Recruiting“ hinterlegt.
Die Arbeitgeberin bat den Betriebsrat am 8. Juni 2021 um Zustimmung zu der beabsichtigten Einstellung von Herrn G. Als „geplantes Eintrittsdatum“ war der 1. Oktober 2021 angegeben. Nachdem dem Betriebsrat auf seine Bitte hin die Protokolle der Bewerbungsgespräche und die Stellenbeschreibung nachgereicht worden waren, verweigerte er mit Schreiben vom 24. Juni 2021 die Zustimmung zu der geplanten Einstellung. Am 7. Juli 2021 ersuchte die Arbeitgeberin den Betriebsrat erneut um Zustimmung zu der geplanten Einstellung, die er mit Schreiben vom 12. Juli 2021 verweigerte.
Anfang August 2021 beantragte die Arbeitgeberin die gerichtliche Zustimmungsersetzung. Das Arbeitsgericht entschied über den Antrag am 10. November 2021. Am 15. November 2021 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie werde Herrn G ab dem 1. Dezember 2021 vorläufig einstellen. Nachdem der Betriebsrat die Dringlichkeit dieser Maßnahme bestritten hatte, leitete die Arbeitgeberin am 23. November 2021 ein weiteres, auf eine entsprechende Feststellung gerichtetes Beschlussverfahren ein.

Das Arbeitsgericht hat den – dort in der Hauptsache zur Entscheidung gestellten – Antrag der Arbeitgeberin auf Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung von Herrn G als erteilt gilt, abgewiesen. Dem als Hilfsantrag angebrachten Zustimmungsersetzungsantrag hat es stattgegeben. Hiergegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt. Dem Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat das Arbeitsgericht ebenfalls entsprochen. Gegen diesen Beschluss haben der Betriebsrat Beschwerde und die Arbeitgeberin Anschlussbeschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat beide Beschwerden des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren auf vollständige Antragsabweisung weiter.

Das Bundesarbeitsgericht hat daraufhin wie folgt entscheiden:

Der Zustimmungsersetzungsantrag hat Erfolg. Die Arbeitgeberin kam zudem ihrer Verpflichtung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach, dem Betriebsrat die erforderlichen „Bewerbungsunterlagen“ vorzulegen.

Die sprachliche Fassung der Norm steht der Annahme, ein Arbeitgeber könne seine Vorlagepflicht gegenüber dem Betriebsrat durch die Gewährung eines jederzeitigen digitalen Leserechts – wie hier nach Nr. 8 der Anlage 3b zur KBV – erfüllen, nicht entgegen. Zwar zeigen die Begriffe „Bewerbungsunterlagen“ und „vor(zu)legen“, dass dem im Jahr 1972 in Kraft getretenen § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG – entsprechend der damaligen Lebenswirklichkeit – die Vorstellung zugrunde liegt, derartige Unterlagen würden stets in physisch verkörperter Form eingereicht und müssten dem Betriebsrat daher auch in dieser Form überlassen werden. Umgangssprachlich beschreibt eine „Unterlage“ etwas „schriftlich Niedergelegtes, das als Beweis, Beleg, Bestätigung … für etwas dient“. Das Verb „vorlegen“ bedeutet typischerweise „etwas vor jemanden zur Ansicht, Begutachtung, Bearbeitung … hinlegen“ oder etwas „vorzeigen, zeigen, vorweisen“.

Der durch den Wortlaut der Norm vermittelte Wortsinn lässt jedoch erkennen, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat digital verfügbare „Bewerbungsunterlagen“ auch nur in dieser Form zur Verfügung stellen muss. Bei einem funktionalen Verständnis sind solche „Unterlagen“ alle Interessenbekundungen und dem Arbeitgeber zu diesem Zweck übermittelten Daten, die von den Bewerbern übersandt werden.

In welchem Format die Einreichung dieser Angaben beim Arbeitgeber erfolgt, ist für ihre Eigenschaft als Grundlage für dessen spätere Auswahlentscheidung unerheblich.

Diesen Vorgaben ist genügt, wenn der Arbeitgeber – wie hier – den Mitgliedern des Betriebsrats für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG ein auf die digital vorhandenen „Bewerbungsunterlagen“ aller Interessenten bezogenes Einsichts- und Leserecht gewährt. Damit hat der Betriebsrat die Möglichkeit, sich diejenigen Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um eine Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG abgeben zu können. Der jederzeit mögliche Zugriff auf die hinterlegten Bewerberdaten mithilfe der vorhandenen Laptops erlaubt es ihm, eigene Vorschläge für eine Auswahl zu unterbreiten oder auf Umstände hinzuweisen, die nach seiner Auffassung für einen anderen Bewerber sprechen.

Datenschutzrechtliche Erwägungen führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Das digitale Einsichtsrecht des Betriebsrats beschränkt sich im Entscheidungsfall auf diejenigen Unterlagen, die – wenn sie physisch vorhanden wären – dem Betriebsrat in dieser Form hätten überlassen werden müssen. Die darin liegende Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DSGVO iVm. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG erforderlich, weil sie der Erfüllung einer in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgesehenen Pflicht des Arbeitgebers dient.

Zudem sind die Mitglieder des Betriebsrats in jedem Fall verpflichtet, über die ihnen in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer Stillschweigen zu bewahren.


 

Betriebsratsschulung: Präsenz statt Webinar - trotz höherer Kosten

07.02.2024  |  Auch bei Auswahl des Schulungsformats: Betriebsrat hat Ermessensspielraum - Gebot der Kostenschonung ist aber zu beachten
(BAG, Beschluss vom 07.02.204 - 7 ABR 8/23) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.02.2024 (7 ABR 8/23) Folgendes entschieden:

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderliche Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber zu tragen hat. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.

Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam.

Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu tragen hat. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar. Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme steht dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Allerdings steht die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung nach § 40 I BetrVG unter dem in § 2 I BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wozu namentlich das Gebot zur kostenschonenden Tätigkeit der Betriebsratsarbeit gehört.
(PM Nr. 5/24 v. 07.02.2024)


 

Handyverbot im Betrieb: Betriebsrat kann nicht mitbestimmen

12.01.2024  |  Arbeitgeber kann private Nutzung des Smartphones verbieten - in erster Linie ist Arbeitsverhalten betroffen - Betriebsrat steht daher kein Mitbestimmungsrecht zu
(BAG, Beschluss vom 17.10.2023 – 1 ABR 24/22) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 17.10.2023 (1 ABR 24/22) Folgendes entschieden:

Dem Betriebsrat steht kein Mitbestimmungsrecht zu, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern die private Nutzung von Smartphones während der Arbeitszeit untersagt, um eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung sicherzustellen.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts.

Die Arbeitgeberin stellt Brems- und Kraftstoffsysteme für Fahrzeuge her. Antragsteller ist der für ihren Betrieb gebildete Betriebsrat.

An einigen Arbeitsplätzen in der Produktion sowie den Bereichen Versand und Wareneingang kommt es zuweilen – etwa aufgrund eines notwendigen Maschinenumbaus oder ausstehender Wareneingänge – zu Arbeitsunterbrechungen. Während dieser Zeiten werden die Arbeitnehmer teilweise von der Arbeitgeberin anderweitig eingesetzt oder sie sollen – ohne konkrete Anweisung im Einzelfall – anfallende Nebenarbeiten erledigen. Hierzu gehören zB das Aufräumen des Arbeitsplatzes oder das Nachfüllen von Verbrauchsmaterial.

Die Arbeitgeberin wies die Arbeitnehmer durch eine im Betrieb ausgehängte Mitarbeiterinformation vom 18. November 2021 mit der Überschrift „Regeln zur Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit“ darauf hin, dass „jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet“ sei. Bei Verstößen sei mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen „bis hin zur fristlosen Kündigung“ zu rechnen. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin unter Hinweis auf ein Mitbestimmungsrecht vergeblich auf, diese Maßnahme zu unterlassen.

Der Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, die Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu verbieten, solange er dem Verbot nicht zugestimmt hat oder seine fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

Die Arbeitgeberin hat kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot, Mobiltelefone und Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu benutzen, unterfällt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Es beruht darauf, dass sie ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb seinem Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt die streitbefangene Anordnung der Arbeitgeberin nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Das von ihr ausgesprochene Verbot ist in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet.

Nach ihrem objektiven Inhalt zielt die Weisung, während der Arbeitszeit keine Mobiltelefone oder Smartphones zu privaten Zwecken zu benutzen, darauf ab, zügiges und konzentriertes Arbeiten der Arbeitnehmer sicherzustellen, indem mögliche Ablenkungen privater Natur durch die Verwendung dieser Geräte unterbunden werden sollen. Die genannten Geräte – im allgemeinen Sprachgebrauch als Handys bezeichnet – verfügen über eine Vielzahl unterschiedlichster Funktionen, die die Aufmerksamkeit der Arbeitnehmer binden und sie von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung abhalten oder zumindest ablenken können. So können neben dem Führen von Telefonaten durch verschiedene Messengerdienste Sprach- und Wortmitteilungen versendet oder entgegengenommen, auf die im Internet verfügbaren Inhalte und sozialen Netzwerke zugegriffen, Filme oder Videos angesehen sowie Musik abgespielt und ggf. elektronische Spiele gespielt werden. Die genannten – typischen – Verwendungsarten zeichnen sich dadurch aus, dass sie jeweils eine – ggf. auch nur kurze – aktive Bedienung des jeweiligen Geräts erfordern. Diese soll während der Arbeitszeit unterbleiben. Damit ist das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet.

Entgegen der Ansicht des Betriebsrats ist eine andere Beurteilung nicht deshalb geboten, weil das streitbefangene Verbot Zeiträume mit umfasst, in denen es aus betrieblichen Gründen zu Arbeitsunterbrechungen kommen kann. Die Arbeitgeberin ist auch während dieser Zeiten aufgrund ihres Direktionsrechts berechtigt, die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer abzufordern und ihnen bestimmte Aufgaben zuzuweisen. Darüber hinaus soll die Anordnung sicherstellen, dass die Arbeitnehmer diese Zeiträume nutzen, um selbständig etwaige Nebenarbeiten auszuführen. Damit ist insoweit ebenfalls nicht das Ordnungs-, sondern das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsverhalten betroffen.

Für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts kommt es zudem nicht darauf an, ob – wie die Rechtsbeschwerde geltend macht – eine Nutzung von Mobiltelefonen und Smartphones als sozialadäquat anzusehen und ein entsprechendes Verbot mit Blick auf seinen Umfang deshalb individualrechtlich unzulässig ist oder das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer verletzt. Die bloße – etwaige – Rechtswidrigkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung begründet weder ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG noch lässt sie dieses entfallen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vorliegen.


 

Leiharbeit: Geringeres Entgelt zulässig - wenn ein Tarifvertrag greift

31.05.2023  |  Wenn einschlägiger Tarivertrag die Schutzregeln für Leiharbeitnehmer beachtet, darf für sie eine niedrigere Vegütung vereinbart werden - Mindestlohn darf aber nicht unterschritten werden
(BAG, Urteil vom 31.05.2023 - 5 AZR 143/19) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 31.05.2023 (5 AZR 143/19) Folgendes entschieden:

Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („equal pay“), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG* ein Tarifvertrag „nach unten“ abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss.

Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG** (Leiharbeits-RL).

Die Klägerin war aufgrund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt. Sie war im Streitzeitraum Januar bis April 2017 hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 Euro brutto/Stunde. Sie hat behauptet, vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto und mit ihrer Klage unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung iHv. 1.296,72 Euro brutto verlangt. Sie hat gemeint, das auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di sei mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das Tarifwerk von iGZ und ver.di verstoße nicht gegen Unionsrecht, außerdem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers mit Nichtwissen bestritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Um unionsrechtliche Fragen zu klären, hatte der Senat zunächst mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 (- 5 AZR 143/19 (A) – BAGE 173, 251) das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL verlangten, aber nicht näher definierten „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ ersucht. Diese hat der EuGH mit Urteil vom 15. Dezember 2022 (- C-311/21 – [TimePartner Personalmanagement]) beantwortet.

Nach Fortsetzung der Revisionsverhandlung hat der Senat heute die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen.

Dieses Tarifwerk genügt, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Trifft der Sachvortrag der Klägerin zur Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer zu, hat die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Eine solche Schlechterstellung lässt aber Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt.

Dazu müssen nach der Vorgabe des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält.

Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann. Auch hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.
(PM 25/23 v. 31.05.2023)


 
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