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Handels- und Gesellschaftsrecht


Auch bei fristloser Kündigung des Geschäftsführers: nur innerhalb von 2 Wochen möglich

17.01.2025  |  Ankündigung des entlassenen Geschäftsführers, dass Kündigungsprozess „nicht geräuschlos ablaufen“ werde, wenn keine Einigung gefunden werde, ist kein Kündigungsgrund
(BGH, Urteil vom 05.11.2024 - II ZR 35/23) mehr


Der Bundesgerichtshof hat mit heute veröffentlichtem Urteil vom 05.11.2024 (II ZR 35/23) Folgendes entschieden:

Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB.

Auf den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, sind die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren, in § 622 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Kündigungsfristen entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn er Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG ist und den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der Kommanditgesellschaft abgeschlossen hat.

Sachverhalt:
Die Beklagte ist ein in Form der sog. Einheits-GmbH & Co. KG organisiertes Biotechnologieunternehmen, d.h. die Gesellschaftsanteile der kapitalanteillosen Komplementärin hält zu 100 % die Beklagte. Der Kläger ist mit einem Anteil von 0,6 % als Kommanditist an der Beklagten beteiligt. Zudem war er aufgrund eines mit der Beklagten geschlossenen Geschäftsführeranstellungsvertrags (GAV) seit dem 1. Oktober 2001 als einer von zunächst zwei, später drei Geschäftsführern der Komplementär-GmbH tätig, wobei er auch die Geschäfte der Beklagten führte.

Für die ordentliche Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags ist in § 4 Abs. 1 GAV eine Frist von 12 Monaten vorgesehen. § 4 Abs. 2 GAV regelt ohne weitere Fristenregelung die Kündigung aus wichtigem Grund. Als wichtiger Grund ist u.a. die "Liquidation" der Gesellschaft aufgeführt.

Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss am 8. März 2016 in Anwesenheit des Klägers einstimmig die sofortige Auflösung der Gesellschaft, allein gegen die Stimmen des Klägers bezüglich seines Geschäftsführeranstellungsvertrags mit der Beklagten die sofortige außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Datum bzw. Beendigung mittels Aufhebungsvereinbarung.

Mit Schreiben vom 22. März 2016, dem Kläger zugegangen am 23. März 2016, kündigte der Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Dr. H. unter Bezugnahme auf den Beschluss der Beklagten vom 8. März 2016 namens der Beklagten und unter Verweis auf seine dort erfolgte Bevollmächtigung den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Kläger außerordentlich zum 30. April 2016, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Weiter heißt es in dem Schreiben, auch der Aufsichtsrat der Beklagten habe die außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung beschlossen und ihn bevollmächtigt, diese gegenüber dem Kläger auszusprechen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 kündigte der Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Dr. H. den Geschäftsführeranstellungsvertrag "erneut hilfsweise und vorsorglich", und zwar "außerordentlich, fristlos sowie erneut hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin" unter Beifügung des Protokolls des entsprechenden Aufsichtsratsbeschlusses der Beklagten.

Das Landgericht hat den Anträgen des Klägers auf Feststellung, dass sein Geschäftsführeranstellungsverhältnis mit der Beklagten durch die ausgesprochenen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist (Klageanträge zu 1 und 2) stattgegeben, den auf Zahlung seiner Fix-Vergütung nebst Verzugszinsen bis Januar 2017 gerichteten Klageantrag zu 3 als "derzeit unbegründet" abgewiesen und die mit Klageantrag zu 4 geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht zuerkannt.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt in der Berufungsinstanz gestellten
Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist nur teilweise begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf seine Vergütung für die Monate Mai und Juni 2016 in Höhe von 26.666,66 € nebst Zinsen.

Grundlage für den Anspruch des Klägers ist sein Geschäftsführeranstellungsvertrag, welcher jedenfalls bis einschließlich 30. Juni 2016 fortbestand, da weder die außerordentliche Kündigung vom 22. März 2016 noch die vom 7. Juni 2016 diesen zum 30. Juni 2016 beendet hat.

Die außerordentliche Kündigung vom 22. März 2016 konnte den Geschäftsführeranstellungsvertrag schon deswegen nicht beenden, da sie nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt ist. Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Zwar haben die Gesellschafter der Beklagten den maßgeblichen Kündigungsbeschluss auf der Gesellschafterversammlung am 8. März 2016 gefasst. Das Kündigungsschreiben vom 22. März 2016 ist dem Kläger aber erst am 23. März 2016 und damit nach Ablauf der Zweiwochenfrist zugegangen. Es handelt sich bei der mit Schreiben vom 22. März 2016 primär erklärten Kündigung aufgrund der "Liquidation" der Gesellschaft um eine Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB, so dass die Beklagte die Erklärungsfrist von zwei Wochen ab Kenntnis gemäß § 626 Abs. 2 BGB hätte wahren müssen. § 626 Abs. 2 BGB erfasst jede außerordentliche Kündigung.

Bei der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB handelt es sich um eine Frist i.S.v. § 187 Abs. 1 BGB, so dass die Frist von zwei Wochen am auf den 8. März 2016 folgenden Tag zu laufen begann und mit Ablauf des 22. März 2016 endete, nämlich mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung dem Tag entspricht, in den das Ereignis - hier: die Kenntniserlangung der Gesellschafterversammlung - fällt, § 188 Abs. 2 BGB. Die Beklagte hat die am 22. März 2016 abgelaufene Erklärungsfrist nicht gewahrt.

Auch die außerordentliche Kündigung vom 7. Juni 2016 hat den Geschäftsführeranstellungsvertrag vor dem 30. Juni 2016 nicht beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB für diese außerordentliche Kündigung, da der anwaltliche Schriftsatz vom 18. Mai 2016 keine "nötigenden" Passagen enthält.

Nach diesen Maßstäben liegt eine widerrechtliche Drohung und damit ein wichtiger Grund nicht vor. Zwar mag der Verweis darauf, dass die Auseinandersetzung im gerichtlichen Verfahren, also ohne eine einvernehmliche außergerichtliche Beendigung, eben nicht "geräuschlos" ablaufen werde, weil auch Interna aus dem Anstellungsverhältnis darzulegen sein werden, für die Beklagte ein empfindliches Übel darstellen. Das In-Aussicht-Stellen dieses Übels ist aber nicht widerrechtlich. Denn Anzeichen dafür, dass der Kläger falsche Tatsachen behaupten wollte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Verweis auf die Behandlung interner Tatsachen aus dem Anstellungsverhältnis in einem gerichtsöffentlichen Verfahren impliziert nicht die Ankündigung, der Kläger wolle seine Ziele durch Falschbehauptungen erreichen. Der anwaltliche Schriftsatz ist auch nicht so zu verstehen, dass der Kläger eine Offenlegung gegenüber einer weiteren Öffentlichkeit beabsichtigt.

Die Beklagte befand sich im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB). Kündigt die Gesellschaft das Anstellungsverhältnis und ist die Kündigung nicht gerechtfertigt, so kommt sie mit der Annahme der Arbeitsleistung auf jeden Fall dann in Verzug gemäß § 615 Satz 1 BGB, wenn der Geschäftsführer der Kündigung nachdrücklich widerspricht. Das Angebot, die Arbeitsleistung zu erbringen, liegt in diesem Widerspruch in Verbindung mit der bisherigen Dienstleistung. Der Kläger hat hier gegen beide ausgesprochenen Kündigungen unter dem 12. April 2016 bzw. 13. Juni 2016 Kündigungsschutzklage erhoben. Hierin lag ein deutlicher Widerspruch im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landgerichts im Übrigen zudem auch deutlich zu erkennen gegeben, dass für sie eine weitere Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer bzw. Liquidator unter keinen Umständen mehr in Frage kam.


 

"Sittenwidriger" Gesellschafter-Beschluss einer GmbH ist nichtig

16.07.2024  |  Geschäftsführer-Abberufung: Beschluss bei Verstoß gegen Satzung aber nur anfechtbar, nicht jedoch nichtig - Verletzung eines Zustimmungsvorbehalts nur zwischen den Gesellschaftern zu klären
(BGH, Urteil vom 16.07.2024 - II ZR 71/23) mehr


Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 16.07.2024 ( II ZR 71/23) Folgendes entschieden:

Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen,sind lediglich anfechtbar.
Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.

Sachverhalt:

Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH ist der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V.. Der Kläger Martin Kind ist im Handelsregister als Geschäftsführer der Beklagten eingetragen. Die Beklagte ist persönlich haftende Gesellschafterin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die die am Spielbetrieb der 2. Fußballbundesliga teilnehmende Fußballmannschaft Hannover 96 unterhält. Kommanditaktionärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG. Nach der Satzung der Beklagten ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. In einem sogenannten Hannover-96-Vertrag zwischen dem Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ist vorgesehen, dass der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt.

Im Juli 2022 fassten Vertreter des Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. in einer Gesellschafterversammlung der Beklagten den Beschluss, den Kläger "mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer" der Beklagten abzuberufen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Mit seiner gegen die Beklagte gerichteten Klage verlangt der Kläger die Feststellung, dass dieser Beschluss über seine Abberufung nichtig ist. Das Landgericht Hannover hat der Klage stattgegeben und die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Celle zurückgewiesen. Der Beschluss sei entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig, weil er mit dem Wesen der GmbH nicht vereinbar sei. Er sei nicht vom Aufsichtsrat der Beklagten und damit kompetenzwidrig gefasst worden, was unter den besonderen Umständen des Streitfalls die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge habe. Die Kompetenzüberschreitung erschöpfe sich nicht in dem Verstoß gegen die Satzung der Beklagten. Vielmehr trete auch ein Verstoß gegen den Hannover-96-Vertrag hinzu. Überdies sei der Abberufungsbeschluss sittenwidrig und damit analog § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Er erweise sich als in besonderem Maße treuwidrig, weil sich der Alleingesellschafter seiner im Hannover-96-Vertrag eingegangenen Bindung bewusst gewesen sei und er die satzungsmäßige Kompetenzverteilung bewusst unterlaufen habe.

Mit ihrer vom BGH zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten ist nicht nichtig.

Der Abberufungsbeschluss ist nicht mit dem Wesen der GmbH unvereinbar und damit nicht entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig.

Nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts kann eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Satzungsbestimmungen, die dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen, gehören nicht dazu. Auch die Beachtung des sogenannten Hannover-96-Vertrags zählt nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Der Streit um die Folgen einer Verletzung dieses Vertrags ist zwischen den Vertragsparteien auszutragen.

Der Abberufungsbeschluss ist auch nicht entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Weder verstößt der Beschluss durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten noch begründet er eine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen. Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung macht einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, aber nicht sittenwidrig. Ebenso wenig ergibt sich aus einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags oder einer Gesamtbetrachtung die Sittenwidrigkeit des Beschlusses. Danach kann die Abberufung des Klägers durch den Verein als solche nicht zur Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG führen, selbst wenn man darin mit dem Berufungsgericht einen Verstoß gegen die in der Satzung der Beklagten bestimmte Kompetenz des Aufsichtsrats zur Abberufung des Geschäftsführers sehen wollte.

Der vom Verein gefasste Abberufungsbeschluss ist vielmehr schon deshalb mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts vereinbar, weil § 52 Abs. 1 GmbHG dem fakultativen Aufsichtsrat nicht von Gesetzes wegen die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer zuweist, sondern diese Kompetenz gemäß § 45 Abs. 2, § 46 Nr. 5 GmbHG vielmehr grundsätzlich der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist.

Ferner sind Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nur dann nichtig, wenn sie durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen. Der Beschluss muss also "für sich allein betrachtet" gegen die guten Sitten verstoßen. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern "nur" Beweggrund oder Zweck gegen die guten Sitten verstößt, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liegt, sind lediglich anfechtbar.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich schließlich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Der Beschluss über die Abberufung als Geschäftsführer ist weder unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig noch ist der Kläger, der nicht Gesellschafter der Beklagten ist, befugt, sich im Rahmen
einer Anfechtungsklage auf die von ihm geltend gemachte Verletzung der Satzung der Beklagten zu stützen.
(PM Nr. 149/2024 v. 16.07.2024)


 

Entlastung der Komplementärin: zugleich Entlastung des Geschäftsführers

22.09.2020  |  Wird Komplementärin einer GmbH & Co. KG entlastet, bewirkt das auch die Geschäftsführer-Entlastung - Geschäftsführer haftet aber auch dann als "sorgfältiger Kaufmann", wenn er KG-Gesellschafter ist
(BGH, Urteil vom 22.09.2020 - II ZR 141/19) mehr

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 22.09.2020 (II ZR 141/19) folgendes entschieden:

a) Die vorbehaltlose Entlastung der Komplementärin einer GmbH & Co. KG durch ihre Mitgesellschafter bewirkt zugleich die Entlastung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH im Verhältnis zur Kommanditgesellschaft.
b) Der Geschäftsführer der Komplementärin einer personalistisch strukturierten GmbH & Co. KG hat bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft auch dann die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden, wenn er Gesellschafter der Kommanditgesellschaft ist.

Eine GmbH, Komplementärin einer Kommanditgesellschaft, war Geschäftsführerin der GmbH & Co. KG. Sie hatte einen Hausverwalter beauftragt, um deren Immobilie zu bewirtschaften. Der Verwalter hatte über die Jahre rund eine halbe Million Euro unterschlagen. Die Komplementärin wurde für den gesamten Veruntreuungszeitraum von der Gesellschafterversammlung der Kommanditgesellschaft entlastet. Der Kläger, einer der fünf Kommanditisten, hielt diese Beschlüsse für treuwidrig und verlangte die Feststellung ihrer Nichtigkeit. Hintergrund ist eine Schadensersatzforderung gegen den Geschäftsführer der GmbH, der ebenfalls Mitglied der Kommanditgesellschaft ist. Er habe nach Ansicht des Klägers die Arbeit des Verwalters nicht ausreichend beaufsichtigt und solle dafür nach den Regeln der Geschäftsführerhaftung schadensersatzpflichtig gemacht werden.

Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage ab, das Oberlandesgericht Frankfurt hat die Entlastungen für nichtig erklärt. Die hiergegen gerichtete Revision vor dem Bundesgerichtshof war erfolgreich.

Wirkung des Entlastungsbeschlusses:
Die Entlastung der Komplementärin einer GmbH & Co KG durch ihre Mitgesellschafter bewirkt dem Bundesgerichtshof zufolge zugleich die Entlastung deren Geschäftsführers im Verhältnis zur Kommanditgesellschaft. Nachdem sie die Amtsführung der GmbH ausdrücklich gebilligt habe, könne sie den GmbH-Geschäftsführer nicht mehr haftbar machen. Etwas anderes gelte nur, wenn die Gesellschaftsversammlung sich die Geltendmachung bestimmter Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer vorbehalte, erklärte der BGH. 

Sorgfaltspflicht des GmbH-Geschäftsführers:
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet laut dem II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs gegenüber der GmbH & Co. KG nach denselben Grundsätzen wie gegenüber der GmbH nach § 43 Abs. 1 GmbHG. Die Tatsache, dass er gleichzeitig Kommanditist sei, vermindere den Sorgfaltsmaßstab nicht - vielmehr sei sein Verschulden im Verhältnis zu den Gesellschaften einheitlich zu betrachten.

Für eine andere Beurteilung bestehe kein Raum, weil die Kommanditisten auf die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit des GmbH-Geschäftsführers angewiesen seien, aber selbst in der Regel nicht befugt seien, unmittelbar auf ihn einzuwirken. Und die Komplementär-GmbH müsse darauf vertrauen dürfen, dass ihr Geschäftsführer den Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft die gleiche Sorgfalt widme wie ihren eigenen, so die Karlsruher Richter.

Über Entlastungsbeschlüsse konnte nicht entschieden werden.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hob der BGH auf, weil es rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, dass die Beweislast nach den besonderen Regeln des Haftungsprozesses verteilt ist. Gegenstand dieses Rechtsstreits sei aber gerade nicht die Schadensersatzforderung gewesen, sondern allein die Nichtigkeit der Entlastungsbeschlüsse. Hier gölten die regulären Beweislastregeln, wonach der Minderheitsgesellschafter alle anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss. Insofern sei es an ihm, einen schweren Pflichtverstoß des Geschäftsführers und einen daraus resultierenden "erheblichen Schaden" zu beweisen. Nur unter dieser Bedingung könne die Entlastung rechtsmissbräuchlich gewesen sein.
(becklink 2017773, beck-online)

 

Corona-Hilfe für Selbständige: Pfändung unzulässig

19.05.2020  |  Finanzamt darf staatliche Corona-Soforthilfe nicht pfänden - Zweckbindung als Billigkeitszuschuss unzulässig beeinträchtigt
(FG Münster, Beschluss vom 13.05.2020 - 1 V 1286/20 AO) mehr



Das Finanzgericht Münster hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 13.05.2020 (1 V 1286/20 AO) folgendes im Rahmen einstweiliger Anordnung entschieden:

Eine Kontenpfändung des Finanzamts, die auch Beträge der Corona-Soforthilfe umfasst, ist rechtswidrig.

Der Antragsteller betreibt einen Reparaturservice und erzielt heraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie war es dem Antragsteller nicht möglich, Reparaturaufträge zu erhalten. Er beantragte deshalb am 27.03.2020 zur Aufrechterhaltung seines Gewerbebetriebs beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe i.H.v. 9.000 EUR für Kleinstunternehmer und Soloselbständige, die mit Bescheid vom selben Tag von der Bezirksregierung bewilligt und auf sein Girokonto überwiesen wurde.

Da dieses Konto mit einer im November 2019 vom Finanzamt ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen Umsatzsteuerschulden aus den Jahren 2017 bis 2019 belastet war, verweigerte die Bank die Auszahlung der Corona-Soforthilfe. Der Antragsteller begehrte deshalb im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die einstweilige Einstellung der Pfändung des Girokontos.

Das Finanzgerichts Münster hat dem Antrag stattgegeben und das Finanzamt verpflichtet, die Kontenpfändung bis zum 27.06.2020 einstweilen einzustellen und die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben.

Für den gerichtlichen Antrag bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Corona-Soforthilfe nicht von den zivilrechtlichen Pfändungsschutzregelungen erfasst werde. Die Vollstreckung und die Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung führten ferner zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller. Durch eine Pfändung des Girokonto-Guthabens, das durch den Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe erhöht worden sei, werde die Zweckbindung dieses Billigkeitszuschusses beeinträchtigt. Die Corona-Soforthilfe erfolge ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie diene nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 01.03.2020 entstanden seien und somit nicht dem Zweck, die vor dem 01.03.2020 entstandenen Ansprüche des Finanzamts zu befriedigen. Da die Corona-Soforthilfe mit Bescheid vom 27.03.2020 für einen Zeitraum von drei Monaten bewilligt worden sei, sei die Vollstreckung bis zum 27.06.2020 einstweilen einzustellen.
(PM Nr. 11 v. 19.05.2020)


 

"Corona": Verspätete Bilanz-Offenlegung vorerst noch sanktionslos

08.04.2020  |  Jahresabschlüsse: keine Sanktionen gegen Unternehmen bei verspäteter Offenlegung, wenn sie wegen der "Corona-Krise" bedingt ist - Nachholung bis 12.06.2020
(Mitteilung des Bundesamtes für Justiz vom 08.04.2020) mehr


Anlässlich der Corona-Krise hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) mehrere entlastende Maßnahmen zu­gunsten derjenigen Unternehmen beschlossen, die ihre Jahresabschlüsse bisher nicht fristgerecht ein­reichen konnten.

Zwar besteht die gesetzliche Offenlegungsfrist nach § 325 Handelsgesetzbuch weiterhin fort. Es werden aber derzeit keine neuen Androhungs- und Ordnungsgeldverfügungen gegen Unternehmen erlassen. Unternehmen, die nach dem 5. Februar 2020 vom BfJ eine Androhungsverfügung erhalten haben, können die Offenlegung bis zum 12. Juni 2020 nachholen, auch wenn die sechs­wöchige Nachfrist für die versäumte Offenlegung schon vorher abgelaufen ist bzw. ablaufen wird. Wird die Offenlegung bis zum 12. Juni 2020 nachgeholt, wird das zuvor angedrohte Ordnungsgeld nicht festgesetzt.

Gegen kapitalmarktorientierte Unternehmen, deren Frist zur Offenlegung für den Jahres­abschluss 2019 regulär am 30. April 2020 abläuft, wird das BfJ vor dem 1. Juli 2020 kein Ordnungsgeldverfahren einleiten. Es folgt insoweit der Empfehlung der European Securities and Markets Authority (ESMA) vom 27. März 2020.

Ferner leitet das BfJ wegen bestehender Forderungen aus EHUG-Ordnungsgeldverfahren gegen die betroffenen Unternehmen derzeit keine neuen Vollstreckungsmaßnahmen ein. Dies gilt sowohl für Vollstreckungsaufträge an Gerichtsvollzieher als auch für Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegenüber Banken.

Außerdem wird den Unternehmen – bei entsprechendem Sachvor­trag – eine an die aktuelle Situation angepasste Stundung gewährt. Hierzu reicht der sachlich nachvoll­ziehbare Vortrag, von der Corona-Krise betroffen zu sein, aus. Im Zusammenhang mit einer Stundung werden auch etwaige Pfändungs- und Überweisungs­beschlüsse insbesondere gegenüber Banken zurückgenommen.

 

10.05.2019

Kündigung des Fremdgeschäftsführers einer GmbH – Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsführers – Altersdiskriminierung – Rechtfertigung durch Unternehmensinteressen
(BGH, Urteil vom 26.03.2019 - II ZR 244/17) mehr


Der Bundesgerichtshof hat mit am 10.05.2019 veröffentlichtem Urteil vom 26.03.2019 (II ZR 244/17) folgendes entschieden:

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet ist. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist insoweit maßgeblich, nicht hingegen der allgemeine nationalrechtliche Arbeitnehmerbegriff.

I.
Der am 28. März 1955 geborene Kläger war seit dem 1. September 2005 Geschäftsführer der Beklagten, die bis zum Jahre 2014 unter der Bezeichnung "T. GmbH" firmierte. Der Anstellungsvertrag vom 16. August 2005 (im Folgenden: Dienstvertrag) enthält zu der Vertragsdauer in § 7 folgende Regelung:

"1. Dieser Dienstvertrag wird für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.08.2010 abgeschlossen; über eine Anschlussregelung werden frühzeitig Gespräche aufgenommen.
2. Erfolgt keine Wiederbestellung, endet dieser Vertrag mit Ablauf der Bestellung.
3. Unabhängig davon behalten sich beide Vertragsschließenden vor, mit Ihrem Eintritt in das 61. Lebensjahr das Dienstverhältnis durch eine einseitige Erklärung mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende zu beenden. Eine solche Beendigung des Dienstverhältnisses gilt als Übergang in den Ruhestand und löst die Leistungen nach den Versorgungszusagen aus. Hinsichtlich der Höhe der Versorgungszusagen wird bei einer Beendigung durch die Gesellschaft unterstellt, das Dienstverhältnis hätte bei der regulären Laufzeit des Vertrages geendet. Diese Ankündigung der z.Z. geltenden Regelung steht unter dem Vorbehalt einer etwaigen Änderung."

Der Dienstvertrag wurde mehrfach verlängert, zuletzt für die Zeit vom 31. August 2013 bis zum 31. August 2018. Mit Schreiben vom 23. Juni 2016 erklärte die Beklagte unter Beifügung des Gesellschafterbeschlusses der Beklagten vom selben Tag die Kündigung des Dienstvertrags des Klägers zum 31. Dezember 2016.

Der Kläger verlangt mit seiner Klage die Feststellung, dass sein Dienstvertrag durch die Kündigung vom 23. Juni 2016 nicht beendet wurde, insbesondere nicht zum 31. Dezember 2016.

II.
Die Annahme des Berufungsgerichts als Vorinstanz, die Kündigungsregelung in § 7 Nr. 3 des Dienstvertrags des Klägers sei nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, beruht auf einer fehlerhaften Anwendung von § 10 AGG.

1.
Die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind auf den Streitfall anzuwenden. Der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist eröffnet. Die Vereinbarung der Möglichkeit, mit Eintritt in das 61. Lebensjahr das Dienstverhältnis des Klägers durch eine einseitige Erklärung mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende zu beenden, ist eine Entlassungsbedingung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Entlassungsbedingungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG sind insbesondere Kündigungen. Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf den vorliegenden Sachverhalt ist nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen. Denn der Ausschluss ist auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, nicht anzuwenden. Und auf einen Geschäftsführerdienstvertrag findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung.

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist aber bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet ist.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Organmitglieder keine Arbeitnehmer im Sinne der arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind, sondern selbst Arbeitgeberfunktionen ausüben, geht von dem im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblichen nationalen Arbeitnehmerbegriff aus. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Natur des Beschäftigungsverhältnisses nach nationalem Recht für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts jedoch ohne Bedeutung.

Ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das gegen Entgelt Leistungen gegenüber der Gesellschaft erbringt, die es bestellt hat und in die es eingegliedert ist, das seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und das jederzeit ohne Einschränkung von seinem Amt abberufen werden kann, erfüllt die Voraussetzungen, um als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts zu gelten.

2.
Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers im Sinne von § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 1 AGG bejaht. Die Regelung in § 7 Nr. 3 des Dienstvertrags räumt der Beklagten ein Kündigungsrecht für den Fall des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze durch den Kläger ein. Damit ist das Kündigungsrecht der Beklagten an einen der in § 1 AGG genannten Gründe, nämlich das Alter, geknüpft. Hierdurch wird der Kläger wegen seines Alters benachteiligt, weil ein solches Kündigungsrecht gegenüber einem jüngeren Geschäftsführer nicht bestehen würde.

Nicht frei von Rechtsfehlern ist indes die Annahme des Berufungsgerichts, die Ungleichbehandlung des Klägers durch die Vereinbarung in § 7 Nr. 3 des Dienstvertrags sei vor dem Hintergrund betriebs- und unternehmensbezogener Interessen gemäß § 10 AGG gerechtfertigt. Dem bisherigen Parteivortrag lässt sich kein legitimes Ziel für eine unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen seines Alters entnehmen. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungslast nicht mit allgemeinen Ausführungen. Vielmehr hat er substanziierten Sachvortrag zu leisten. Das Berufungsgericht ist ferner der Auffassung, das Anforderungsprofil für Unternehmensleiter sei regelmäßig besonders hoch, weshalb vor dem Hintergrund betriebs- und unternehmensbezogener Interessen ein Bedürfnis nach der Vereinbarung von unterhalb des gesetzlichen Renteneintrittsalters liegenden Altersgrenzen bestehe. Der von dem Berufungsgericht gebildete Erfahrungssatz existiert nicht. Gerade Ältere können über besondere Stärken, insbesondere über fachliche Erfahrung als Resultat langjähriger Tätigkeit verfügen, die sie für bestimmte anspruchsvolle Aufgaben in besonderem Maße geeignet machen.

3.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass betriebs- und unternehmensbezogene Interessen eine Ungleichbehandlung wegen des Alters jedenfalls insoweit rechtfertigen können, wie sie sich als Teil eines sozialpolitischen (Gesamt-)Ziels darstellen.


 

28.02.2019

Liquidationslose Vollbeendigung einer GmbH & Co. KG - Titelumschreibung auf den ehemaligen Kommanditisten - Einwendung der Haftungsbeschränkung
(BAG, Beschluss vom 28.02.2019 - 10 AZB 44/18) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 28.02.2019 (10 AZB 44/18) folgendes entschieden:

Gegen den ausgeschiedenen Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, die wegen der Löschung ihrer vermögenslosen Komplementärin ohne Liquidation aufgelöst wurde, kann eine neue vollstreckbare Ausfertigung des gegen die GmbH & Co. KG ergangenen Urteils erteilt werden. Der ausgeschiedene Kommanditist haftet für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur mit dem ihm zugefallenen Gesellschaftsvermögen.

Die Gläubigerin begehrt die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung gegen den Antragsgegner als Rechtsnachfolger der Schuldnerin, gegen die sie einen rechtskräftigen Zahlungstitel erlangt hat. Bei der Schuldnerin handelte es sich um eine GmbH & Co. KG. Für sie wurden im Handelsregister am 10. September 2010 das Ausscheiden des einzigen Kommanditisten B und das Eintreten des Antragsgegners als Kommanditist im Weg der Sonderrechtsnachfolge eingetragen. Für die Kom-plementärin der Schuldnerin weist der Handelsregistereintrag vom 18. Oktober 2010 die Abberu-fung von Herrn B als bis zu diesem Zeitpunkt alleinigem Geschäftsführer und die Bestellung des Antragsgegners zum Geschäftsführer aus. Die Gläubigerin war bei der Schuldnerin als technische Zeichnerin beschäftigt. Das Arbeitsgericht Solingen hat die Schuldnerin mit rechtskräftigem Ver-säumnisurteil vom 12. Januar 2011, ihr zugestellt am 7. Juni 2011, zur Zahlung ausstehender Vergü-tung für die Monate September bis November 2010 in Höhe von insgesamt 5.670,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt. Das Arbeitsgericht hat der Gläubigerin am 27. Januar 2012 antragsgemäß eine vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils erteilt.

Die Gläubigerin hat mit Schriftsatz vom 15. Juni 2016 die „Umschreibung“ der vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 12. Januar 2011 gegen den Antragsgegner als Rechtsnachfol-ger der Schuldnerin beantragt. Die Löschung der Komplementärin der Schuldnerin sowie der Schuldnerin selbst hat sie durch notariell beglaubigte Ablichtungen der entsprechenden Handelsre-gisterauszüge nachgewiesen.

Die Rechtspflegerin hat den Antrag mit Beschluss vom 4. September 2017 zurückgewiesen. Der sofortigen Beschwerde der Gläubigerin vom 25. September 2017 gegen den ihr am 11. September 2017 zugestellten Beschluss hat sie mit Beschluss vom 22. November 2017 nicht abgeholfen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung vom 4. September 2017 aufgehoben und das Arbeitsgericht angewiesen, die „Titelumschreibung“ auf den Antrags-gegner vorzunehmen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Antragsgegner den Beschluss vom 4. September 2017 wiederhergestellt wissen. Hilfsweise beantragt er, die Vollstreckungsklausel bzw. die Zwangsvollstreckung aus dem Titel auf das Vermögen der Schuldnerin zu beschränken.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat der Gläubigerin nach § 727 Abs. 1 ZPO eine neue vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 12. Januar 2011 gegen den Antragsgegner als Rechtsnachfolger der Schuldnerin zu erteilen.

Gegen den ausgeschiedenen Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, die wegen der Löschung ihrer vermögenslosen Komplementärin nach § 394 Abs 1 S 2 FamFG ohne Liquidation gemäß § 131 Abs 2 S 1 Nr 2 i.V.m. § 161 Abs 2 HGB aufgelöst wurde, kann eine neue vollstreckbare Ausfertigung des gegen die GmbH & Co. KG ergangenen Urteils nach § 733 Abs 1 i.V.m. § 727 Abs 1 ZPO erteilt werden. Der ausgeschiedene Kommanditist haftet für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur mit dem ihm zugefallenen Gesellschaftsvermögen. Eine Haftungsbegrenzung kann bei Gesamtrechtsnach-folge nur durch eine Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden. Übernimmt der Kommanditist das Vermögen des Rechtsvorgängers erst nachdem der Titel bereits rechtskräftig geworden ist, hat er, wie der Erbe, nach § 785 ZPO die Möglichkeit die Einwendung der beschränkten Haftung nach §§ 767, 769, 770 ZPO geltend zu machen.


 

21.01.2019

Fremdgeschäftsführer einer GmbH regelmäßig kein Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person – Abgrenzungskriterium: Weisungsbefugnis der Gesellschaft bezüglich der konkreten Umstände der Leistungserbringung
(BAG, Beschluss vom 21.01.2019 - 9 AZB 23/18) mehr


Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.01.2019 (9 AZB 23/18) folgendes entschieden:

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH nimmt Arbeitgeberfunktionen wahr und ist deshalb keine arbeitnehmerähnliche, sondern eine arbeitgeberähnliche Person. Der Geschäftsführer einer GmbH wird für diese in aller Regel auf der Grundlage eines freien Dienstvertrags, nicht eines Arbeitsvertrags tätig. Sein Dienstvertrag ist auf eine Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Geschäftsführeramts gerichtet.

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen und in der Hauptsache über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung.

Unternehmensgegenstand der Beklagten ist der Betrieb von Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen. Sie beschäftigt ca. 1.000 Mitarbeiter. Ihr jährliches Umsatzvolumen beträgt ca. 55 Mio. Euro. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 7. April 2016 wurde die Klägerin zur Geschäftsführerin der Beklagten gewählt. Zur Regelung der Geschäftsführertätigkeit schlossen die Parteien am 27./29. April 2016 einen „Dienstvertrag“. Darüber hinaus vereinbarten die Parteien im Dienstvertrag ua. als Vergütung der Klägerin ein Jahresgehalt iHv. 175.000,00 Euro brutto sowie eine variable Vergütung iHv. 20.000,00 Euro pro Jahr bei 100-prozentiger Zielerreichung, die Gestellung eines Dienstwagens mit dem Recht der Klägerin zur Privatnutzung, bei einer von der Klägerin nicht zu vertretenden Arbeitsunfähigkeit die Fortzahlung der Vergütung für den Zeitraum von sechs Wochen sowie anschließend weitere Zahlungen, Leistungen der Beklagten zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung und die Zahlung eines Sterbegelds an die Erben der Klägerin.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht eröffnet. Es handelt sich nicht um eine Streitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG.

Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten sowie sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Auszugehen ist dabei vom allgemeinen nationalen und nicht von einem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff.

Die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der nationalen Gerichte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Das Arbeitsgerichtsgesetz basiert nicht auf Unionsrecht und setzt dieses nicht um. § 5 ArbGG liegt keine unionsrechtliche Bestimmung zugrunde. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist in Bereichen, in denen Unionsrecht anzuwenden ist, das nicht auf den Arbeitnehmerbegriff des nationalen Rechts verweist, unabhängig davon zu beachten, ob der Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen oder den ordentlichen Gerichten geführt wird.

Ein Arbeitsverhältnis eines Geschäftsführers würde voraussetzen, dass die Gesellschaft eine - über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht hinausgehende - Weisungsbefugnis auch bezüglich der Umstände hat, unter denen der Geschäftsführer seine Leistung zu erbringen hat, und die konkreten Modalitäten der Leistungserbringung durch arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen bestimmen kann. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbstständige, die nach § 5 Abs. 1 S 2 ArbGG als Arbeitnehmer gelten. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbstständigkeit. Außerdem muss die wirtschaftlich abhängige Person ihrer gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein.

Der Geschäftsführer einer GmbH wird für diese in aller Regel auf der Grundlage eines freien Dienstvertrags, nicht eines Arbeitsvertrags tätig. Sein Dienstvertrag ist auf eine Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Geschäftsführeramts gerichtet. Dies gilt unabhängig davon, ob der (Fremd-)Geschäftsführer einen starken Anteilseigner oder einen weiteren Geschäftsführer neben sich hat, der die konkrete Geschäftstätigkeit bestimmend mitgestaltet.

Es kommt insoweit nicht entscheidend darauf an, welchen Gebrauch der GmbH-Geschäftsführer im Innenverhältnis nach § 37 Abs. 1 GmbHG von seiner im Außenverhältnis wegen §§ 35, 37 Abs. 2 GmbHG unbeschränkten Vertretungsbefugnis machen darf. § 37 Abs. 1 GmbHG ist eine Norm zur Abgrenzung der Kompetenzen der Gesellschaftsorgane untereinander. Auch gegenüber einem Geschäftsführer als freiem Dienstnehmer steht der Gesellschaft ein unternehmerisches Weisungsrecht zu. Berücksichtigt man dies, kann eine Weisungsgebundenheit des GmbH-Geschäftsführers, die so stark ist, dass sie darüber hinaus auf einen Status des betroffenen GmbH-Geschäftsführers als Arbeitnehmer schließen lässt, allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ein Arbeitsverhältnis setzt voraus, dass die Gesellschaft eine - über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht hinausgehende - Weisungsbefugnis auch bezüglich der Umstände hat, unter denen der Geschäftsführer seine Leistung zu erbringen hat, und die konkreten Modalitäten der Leistungserbringung durch arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen bestimmen kann.

Die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmefalls sind im Streitfall nicht erfüllt.


 
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